Chronologie
der Ereignisse des Jahres 1938
Die Vorgeschichte zu den Ereignissen des Jahres 1938 benötigen eine kurze Einleitung. Als sich zu Beginn der Dreißigerjahre die Lage der Sudetendeutschen Bevölkerung immer noch nicht gebessert, sondern im Gegenteil noch verschlimmert hatte, betrat Konrad Henlein
(oben mit Familie)
die politische Bühne, um die erstarrten politischen Verhältnisse aufzubrechen. Am 30.9.1933 veröffentlichte er seinen Aufruf zur Vereinigung des Sudetendeutschtums und erhielt großen Zuspruch.
In seiner Grundsatzrede am „Tag der Heimat“ (in
Leipa , 21.10.1934) verkündete er ein staatstreues Programm das auf Grundlage der Demokratie und des Volkswillens auf aufrichtige Verständigung zwischen Tschechen und Deutschen und Stärkung des Sudetendeutschtums im Staat ausgerichtet war. Bemerkenswert ist auch, daß er den (italienischen) Faschismus „abscheulich“ nannte und auch zum NS hin die Distanz wahrte, indem er „grundsätzliche Vorbehalte“ anmeldete und den er auf hiesige Verhältnisse „nicht übertragbar“ bezeichnete. Er würde nicht „auf die vorbehaltlose Achtung der Persönlichkeitsrechte als einer grundsätzlichen Haltung bei der Bestimmung der Beziehungen der Menschen untereinander verzichten.“ Kritiker bemerkten, daß das Programm eigentlich nicht viel neues enthält. Neu sei besonders die Kühnheit der Formulierungen und die Art wie es gesagt wurde. Es sei das Geheimnis von Henleins Wirkung auf die Volksmassen, daß aus ihm der Geist der Wahrhaftigkeit spricht und der Mut, auch dann seine Überzeugungen öffentlich auszusprechen, wenn sie mit Überlieferungen bricht und nicht populär ist.
Mit einen überwältigenden Wahlsieg bei den Parlamentswahlen vom 19.5.1935 (aus den Stand auf 67% der deutschen Stimmen und stimmenstärker als die größte tschechische Partei) wurde die Sudetendeutsche Partei (SdP) Konrad Henleins die berufene Vertreterin des Sudetendeutschtums.
An der tschechischen Entdeutschungspolitik änderte dies nichts. Ziel war weiterhin – wie schon seit vielen Jahrzehnten – die Expansion der Tschechen ins Sudetengebiet; in den „verdeutschten Gebieten“ gemischtsprachige und in weiterer Folge rein tschechische Gebiete zu schaffen, um die „deutschen Kolonisten
und Emigranten“ zu verdrängen, die tschechische Volksausbreitung an die historischen Grenzen der böhmischen Länder auszudehnen.
Die öffentliche Meinung der westeuropäischen Länder war einer Revision der in Versailles getroffenen verhängnisvollen Fehlentscheidungen in mehreren Aspekten zugeneigt; im Falle der Tschechoslowakei förderten die Veröffentlichungen
von Memoiren und Akten über die Vorgänge bei Weltkriegsende, sowie die fortgesetzte Praxis der tschechischen Nationalitätenpolitik die Auffassung, daß bei der Gründung der CSR demokratische und nationale Grundsätze verletzt worden seien, die es zu berichtigen gelte.
Beneš wurde zunehmend als der Lügner erkannt, der er war. So wurde das Nationalitätenproblem langsam aber unaufhaltsam zur Lebensfrage des Staates. Eines Staates „von Tschechen für Tschechen“ wie es der damalige britische Botschafter in Prag, Addison, ausdrückte. Und: „Durch eine angemessene Behandlung der Nationalitäten wäre nämlich die tschechische Minderheitenherrschaft verschwunden, die Kern des Staatsaufbaues ist.“
Im März 1938 änderte sich die sudetendeutsche Situation grundlegend. Aus zwei Schutzmächten, Österreich und Deutschland, mit zwei verschiedenen politischen Systemen war nun eine geworden. Das nun größere Deutschland, insbesondere die sichtbare Begeisterung der österreichischen Bevölkerung anläßlich dieses Ereignisses, wirkten mit der suggestiven Macht massenpsychologischer Vorgänge auf die Sudetendeutschen sowohl auf die SdP-Führung als auch – über sie hinweg – unmittelbar auf das gesamte Sudetendeutschtum. Gestärkt wurde Sudetendeutsche Partei durch die vom 22.- 25.3.1938 erfolgte Auflösung, bzw. Eingliederung der Deutschen Gewerbepartei, des Bundes der Landwirte und der Deutschen Christlichsozialen Volkspartei. Auf dem Parteitag der Sudetendeutschen Partei am 23.- 24.4.1938 in Karlsbad wurden die Forderungen in 8 Punkten zusammengefaßt:
1. Herstellung der vollen Gleichberechtigung der deutschen Volksgruppe mit dem tschechischen Volk.
2. Anerkennung der deutschen Volksgruppe als Rechtspersönlichkeit zur Wahrung dieser gleichberechtigten Stellung im Staate.
3. Feststellung und Anerkennung des sudetendeutschen Siedlungsgebietes.
4. Aufbau einer sudetendeutschen Selbstverwaltung im sudetendeutschen Siedlungsgebiet in allen Bereichen des
öffentlichen Lebens, soweit es sich um die Interessen und Angelegenheiten der deutschen Volksgruppe handelt.
5. Schaffung gesetzlicher Schutzbestimmungen für jene sudetendeutschen Staatsangehörigen, die außerhalb des
geschlossenen Siedlungsgebietes ihrer Volksgruppe leben.
6. Beseitigung des dem Sudetendeutschtum seit dem Jahr 1918 zugefügten Unrechts und Wiedergutmachung der ihm
entstandenen Schäden.
7. Anerkennung und Durchführung des Grundsatzes: Im deutschen Gebiet deutsche öffentliche Angestellte.
8. Volle Freiheit des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum und zur deutschen Weltanschauung.
Der weitere Ablauf der Ereignisse bis zum „Münchner Abkommen“:
26.4.: Während die tschechische Presse massiv gegen die SdP hetzt, zeigen sich Regierungspolitiker zurückhaltend kompromißbereit.
29.4.: Die Westmächte Großbritannien und Frankreich stellen gegenüber Deutschland und der CSR fest, daß sie den Tschechen ein Höchstmaß an Konzessionen an die Sudetendeutschen anraten.
7.5.: Gesandte der Westmächte verlangen von der CSR-Regierung mit der SdP Verhandlungen aufzunehmen.
12.-14.5.: Henleins erneute Reise nach London.
17.5.: Verhandlungen der SdP mit der tschechischen Regierung
19.5.: Abbruch der Verhandlungen wegen falschen Gerüchten über deutsche Truppenbewegungen.
20.5.: Der Entwurf zu „Fall Grün“ an die Wehrmacht: “Es liegt nicht in meiner Absicht, die CSR ohne Herausforderung schon in nächster Zeit militärisch zu zerschlagen, es sei denn, daß eine unabwendbare Entwicklung der politischen Verhältnisse dazu zwingt …“
21.5.: Tschechische Teilmobilmachung.
22.5.: Die sudetendeutsche Bevölkerung verhält sich ruhig. Die Gemeindewahlen in Gegenwart tschechischer Bajonette und Panzer werden zu einen triumphalen Erfolg für die Sudetendeutsche Partei, die 92,6% der deutschen Stimmen auf sich vereint.
25.5.: Der britische Außenminister Halifax drängt
Beneš, den Sudetendeutschen ein Angebot zu machen, das dem Schweizer Verfassungsmodel entspricht (so wie es
Beneš bereits 1919 versprochen hatte).
30.5.: Hitlers Weisung zu „Fall Grün“ an die Wehrmacht: “Es ist mein unabänderlicher Entschluß die CSR in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen. Den politisch und militärisch geeigneten Zeitpunkt abzuwarten oder herbeizuführen ist Sache der politischen Führung …“
7.6.: Die SdP übergibt der CSR-Regierung ein Memorandum (Inhalt entsprechend Beschlüsse v. Karlsbader Parteitag v. April).
3.8.: Der tschechischen Hinhaltetaktik überdrüssig, entsenden die Westmächte den Briten Lord Runciman als Sondervermittler, der an diesem Tage in Prag seine Arbeit beginnt.
18.8.: Erstes Zusammentreffen Runcimans mit Konrad Henlein.
30.8.: Beneš präsentiert auf Veranlassung Runcimans einen neuen Reformplan („III. Plan“). Dieser enthält jedoch wieder nur geringfügige Konzessionen und wird selbst von Runciman als unzureichend zurückgewiesen
2.9.: Die SdP lehnt den Beneš-Plan ab.
Besuch Henleins bei Hitler.
10.9.: Der „IV.Plan“, den in Ermangelung eigener Konzepte ein Memorandum der sudetend. Sozialdemokraten zugrunde liegt (und von dem
Beneš später zugab ihn nicht ernst gemeint zu haben), wird von der Regierung veröffentlicht (erarbeitet wurde er am 5.9.).
12.9.: Verhängung des Standrechts über fast alle Gebiete im Sudetenland. Gewaltwelle gegen Sudetendeutsche erreicht neuen Höhepunkt. Daraufhin bricht die Sudetendeutsche Delegation die Verhandlungen mit der Regierung ab.
Hitler fordert auf seiner Parteitagsrede in Nürnberg das Selbstbestimmungsrecht für die Sudetendeutschen.
13.9.: Die Tschechen ergreifen scharfe polizeiliche und militärische Maßnahmen und führen Massenverhaftungen durch.
14.9.: Lord Runciman beendet seine Mission und empfiehlt in seinem Abschlußbericht die Abtretung des Sudetenlandes an Deutschland.
15.9.: Konrad Henlein fordert die Wiedervereinigung der Sudetengebiete mit Deutschland.
Premierminister Chamberlain trifft bei Hitler in Berchtesgarden zu Verhandlungen ein. Ergebnis: Chamberlain sagt zu, sich bei der britischen Regierung für eine Lösung im Sinne der sudetendeutschen Wünsche einzusetzen.
16.9.: Verbot der Sudetendeutschen Partei.
15.-17.9.: Beneš schlägt mittels seines Sondergesandten, den Fürsorgeminister Necas, den Westmächten vor, sie sollen
sich dafür einsetzen rund 15-20 % der Fläche des Sudetengebietes abzutreten, aber nur, wenn Deutschland dann 1,5 – 2 Millionen Sudetendeutsche aufnehmen würde, was einer Massenaussiedlung gleichkäme. Darüber hinaus erwartet er noch, das die Westmächte den tschechischen Ursprung dieser Idee verschweigen und selber die Verantwortung dafür übernehmen mögen.
17.9.: Bildung des Sudetendeutschen Freikorps in Deutschland.
18.9.: Mussolini wendet sich gegen den „Mosaikstaat“ CSR.
Die tschechische Regierung schließt die Grenzen und hebt die bürgerlichen Rechte auf.
In London verhandeln Briten und Franzosen über die CSR-Frage. Eine gemeinsame Erklärung wird ausgearbeitet, in der sie auf Grund der Berichte Runcimans und der Besprechungen am Obersalzberg nunmehr der tschechischen Regierung dringend raten, das Gebiet, soweit es mehr als 50% von Deutschen bewohnt ist, freiwillig an Deutschland abzutreten.
19.9.: Die Tags zuvor ausgearbeitete Erklärung der Westmächte betreffend der Loslösung des Sudetengebietes von der Tschechenherrschaft wird der CSR-Regierung unterbreitet.
20.9.: Die CSR-Regierung lehnt die Vorschläge der Westmächte ab.
Aussprache Hitlers mit dem ungarischen Staatsmännern. Reichsverweser Horthy zu Gast bei Göring.
21.9.: Um 2 Uhr früh britisch-französische Demarche bei
Beneš. Um 17 Uhr erfolgt die Antwort von Außenminister Krofta.
Die tschechische Regierung anerkennt den britisch-französischen Vertrag und damit die Abtretung des Sudetenlandes an Deutschland. Um 19:20 Uhr wird im tschechischen Rundfunk die Zustimmung zu den Vorschlägen verkündet. Die ungarische Regierung fordert die Abtretung jener Gebiete der Slowakei, die von Ungarn bewohnt sind, und die polnische Regierung die von Polen besiedelten Gebiete Ostschlesiens (Olsa-Gebiet).
22.9.: Chamberlain trifft zur Aussprache mit Hitler in Bad Godesberg ein.
In Prag tritt die Regierung Milan Hodza zurück und wird eine neue (Militär)-Regierung mit General Jan Syrovy an der Spitze gebildet.
Die tschechischen Grenzorgane, die in der Nacht zuvor das deutsche Gebiet teils geräumt hatten, rücken wieder vor.
113600 sudetendeutsche Flüchtlinge in Deutschland eingetroffen.
23.9.: Mehrstündige Aussprache Chamberlains mit Hitler, welcher ein deutsches Memorandum zwecks Weitergabe nach
Prag übergibt, das eine Räumung der sudetendeutschen Gebiete bis 1.10 fordert.
Die Prager Regierung verfügt die Generalmobilmachung.
Lokale Kämpfe zwischen tschechischen Einheiten und den Sudetendeutschen Freikorps.
25.9.: Der Prager Rundfunk verbreitet eine von England sofort energisch dementierte Meldung, daß die tschechische
Mobilisierung in Übereinstimmung mit London und Paris erfolgt sei. Massenverhaftungen im gesamten Staatsgebiet.
26.9.: Hitlers Ansprache enthält ultimative Forderungen an Prag nach Freigabe des Sudetenlandes bis zum 1.10.
27.9.: Aussprache Hitlers und Ribbentrops mit Chamberlains Sonderbeauftragten, Sir Horace Wilson, der die Situation folgendermaßen darlegt: England und Frankreich stünden zu den Wünschen Hitlers, wenn die Tschechen bereit wären, das Memorandum anzunehmen. Lehnten sie aber ab, und würde Hitler zu Gewaltmaßnahmen greifen,
dann hätte Hitler England und Frankreich zum Feinde. Hitler erklärt sich nicht bereit nachzugeben und weist darauf hin, daß die Tschechen nur deshalb das Memorandum ablehnen würden, weil sie die Westmächte hinter sich glaubten. Kritische Stunden während der ganzen Krise. Die Verhandlungen drohten zu scheitern.
Die deutsche Wehrmacht hat die Aufmarschräume bezogen.
28.9.: Mussolini beantragt eine Konferenz der vier Staaten England, Frankreich, Italien und Deutschland.
Mussolini, Chamberlain und der franz. Ministerpräsident Daladier werden nach München eingeladen.
29.9.: Konferenz der vier Mächte. Nach Vorschlag Mussolinis wird in der Frage der Abtrennung des Sudetenlandes Einstimmigkeit erzielt. In der zweiten Besprechung, die gegen 17 Uhr stattfindet, werden nur noch Einzelheiten behandelt und vier Zusatzerklärungen ausgearbeitet.
30.9.1938: Das „Münchner Abkommen“ wird unterzeichnet und bald darauf durch die verwaltungsmäßige Eingliederung des Sudetenlandes in Deutschland vollzogen. Einleitend wird im Text angeführt, daß dieses Abkommen nicht den Beschluß der Abtretung darstellt, sondern daß darin jene Übereinkunft zugrunde liegt welche bereits erzielt worden war (siehe 21.9.).
Die Bedingungen und Modalitäten der Abtretung waren Inhalt des Abkommens.
Der tschechische Ministerpräsident Syvory spricht im Rundfunk, die Prager Regierung nimmt unter Protest die Münchner Entschließung an.
Das Münchner Abkommen ist seinem Inhalt nach eines der gerechtesten Vertragswerke das die Böhmischen Länder und Europa jemals erlebt hatten, völlig unabhängig davon, was man an der Art des Zustandekommens auszusetzen hat (freilich muß man sich dann allerdings fragen ob ohne Druck Deutschlands ein Zustandekommen möglich gewesen wäre) oder wie sympathisch man nun seine einzelnen Exponenten findet und sie geschichtlich einordnet. Nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung der Regierung der CSR betrachtete die internationale Staatengemeinschaft und betrachtet die Völkerrechtslehre das Münchner Abkommen als rechtlich gültig zustande gekommen. Von
Gutmenschenquäler Oct 1, 2010 at 14:59
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