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„Aller
Welt zum erfreulichen Beispiel“
Das
Wartburgfest von 1817
und seine Auswirkungen
auf
die demokratischen deutschen Verfassungen*
von
Peter Kaupp
Dieburg 2003
„Gruß
zuvor! Liebe Freunde! Da in diesem Jahr das
Reformationsjubiläum gefeiert wird,
so wünschen wir, gewiß mit allen braven Burschen,
[...] es auch in unsrer Art zu feiern.
Um aber nicht in Collision zu kommen mit jenen übrigen
Feierlichkeiten, welche
durch uns leicht gestört werden könnten, und da
auch das Siegesfest der Schlacht
bei Leipzig in diese Zeit fällt, so sind wir darüber
einig geworden, dieses Fest am
18ten Oct. 1817 und zwar auf der Wartburg zu feiern
[...] in drei schönen Beziehungen,
nämlich der Reformation, des Sieges bei Leipzig,
und der ersten freudigen
und freundschaftlichen Zusammenkunft deutscher
Burschen von den meisten
vaterländischen Hochschulen am dritten großen
Jubiläum der Reformation [...]
Zu diesem feierlichen Tage laden wir Euch demnach
freundschaftlichst ein, und bitten
Euch in großer Menge, als möglich, und falls dieß
sich nicht machen sollte, doch
gewiß durch einige Abgeordnete Theil zu nehmen
[...] Ueberhaupt aber ersuchen wir
Euch, [...] nichts zu unterlassen, was dieses Fest
von vielen gefeiert und so aller Welt
zum erfreulichen Beispiel machen kann.“1
Mit
diesen Worten lud der damals einundzwanzigjährige
Student der Rechte Robert
Wesselhöft – begeisterter Anhänger des
Turnvaters Friedrich Ludwig Jahn, Mitgründer
der Burschenschaft 1815 in Jena und neben Scheidler,
Horn und Riemann einer
der führenden Repräsentanten der Jenaischen
Burschenschaft – am 11. August 1817
„im Namen der Burschenschaft zu Jena“ zum
Wartburgfest ein. Von wem die Anregung
stammte, die Erinnerung an die Reformation von
1517/19 und an den Sieg in
der Völkerschlacht von Leipzig 1813 als nationales
deutsches Studentenfest auf der Wartburg zu feiern,
wissen wir nicht. Sowohl Hans Ferdinand Maßmann als
auch sein Freund
und Bundesbruder Christian Eduard Leopold Dürre –
zwei der ersten und engsten
Freunde des Turnvaters Jahn, von Berlin an die „Salana“
gewechselt und dort Hauptinitiatoren
der Turnbewegung – haben darauf Anspruch erhoben.
Es ist nicht ausgeschlossen,
daß die Anregung von Jahn selbst stammte, der über
die
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*
Zuerst in: Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für
corpsstudentische Geschichtsforschung 48 (2003), S.
181– 203.
1
Kieser, Dietrich Georg: Das Wartburgfest am 18. October
1817. S. l. 1818. S.
16 f. Zit. nach Asmus, Helmut: Das
Wartburgfest. Studentische Reformbewegung
17170–1819. o.O. 1995. S. 12. Rede abgedruckt bei
Steiger, Günter:
Urburschenschaft und Wartburgfest. 2. Aufl. 1991. S.
248 f. Aus jüngerer Zeit sind zu diesem Thema noch
nachzutragen: Hirche, Walter: Die aktuelle Bedeutung
des Wartburg-Festes von 1817. o. O. 1988; Rollbetzki,
Dietrich [Red.]: Wartburgfest 1817. Aufbruch zur
deutschen Einheit. Hrsg. von der Landeszentrale für
politische Bildung Baden-Württemberg. 1991; Bauer,
Joachim: Das Wartburgfest 1817. Hrsg. von der Landeszentrale
für politische Bildung Thüringen. 1995; Wolf,
Heinz: Das Wartburgfest 1817. Hrsg. von der Landeszentrale
für politische Bildung Thüringen. 1995; Sudholt,
Gerd [Hrsg.]: 180 Jahre Wartburgfest. 1997.
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Vorbereitungen
des Festes recht genau orientiert war und ursprünglich
selbst daran teilnehmen
wollte. Auch das von Ernst Moritz Arndt – neben
Jahn und Fichte der dritte
bedeutende geistige Wegbereiter der Burschenschaft
– bereits 1814 in seiner Schrift
„Ein Wort über die Feier der Leipziger
Schlacht“ skizzierte Programm solcher Feiern glich
bis in die Details, z. B. der mit Eichenlaub geschmückten
Festtracht, dem Ablauf
und dem äußeren Bild des Wartburgfestes.2
Nach
dem Zeugnis des Jahn-Jüngers Hans Ferdinand Maßmann
soll der Gedanke
zum Wartburgfest bereits im Herbst 1816 während
eines Gesprächs über das Vaterland
entstanden sein, das er mit dem Gießener Studenten
Karl PfaffenbergerHoffmann geführt hatte.
Pfaffenberger gehörte zum linken Flügel der
Burschenschaft und
war ein Stiefsohn des in Rödelheim bei Frankfurt a.
M. lebenden Justizrates Karl Heinrich
Wilhelm Hoffmann, des wohl bedeutendsten Vertreters
des nationalliberalen,
an der Vorherrschaft Preußens orientierten „Hoffmann-Snellschen“
Geheimbundes
von 1814/15 – und der Adressenbewegung, der 1815
ein Buch „Des Teutschen
Volkes feuriger Dank- und Ehrentempel“
herausgegeben hatte, in dem für patriotische
Erinnerungsfeiern an die Völkerschlacht bei Leipzig
geworben wurde.3
Pfingsten
1817 trafen sich Vertreter der Halleschen und
Jenaischen Burschenschaft in Naumburg
und beschlossen dort, „um eine engere Verbindung
zwischen den / Studenten
der / deutschen Hochschulen zu erstreben, an alle
[!] Universitäten zu schreiben
und zu einer Versammlung auf der Wartburg [...]
einzuladen“.4
Da die Hallesche
Burschenschaft zu jener Zeit intern zerstritten war
und bereits unter scharfer politischer
und polizeilicher Beobachtung stand, übernahm Jena
allein die Vorbereitung
und Durchführung des Festes.
Wichtiger
als die Frage nach den Anregern ist die Tatsache, daß
die Initiative offenbar
von burschenschaftlichen Turnern im Umkreis von Jahn
ausging, die von Berlin
nach Jena gekommen waren. Das Wartburgfest von 1817
war als erstes national-gesamtdeutsches
Treffen von außerordentlicher Bedeutung, nicht nur
für die Geschichte
des Korporationsstudententums, speziell der
Burschenschaft, sondern für die
demokratisch-politische Entwicklung in Deutschland.
Anders als das spätere Hambacher
Fest von 1832 war es aber keine weinselige
volksfestartige Massenversammlung,
sondern eine von hohem sittlichen Ernst getragene,
rein studentische
Veranstaltung. Dem ausgesprochen protestantischen
Charakter des Festes entsprechend wurden lediglich
die Studentenschaften (und zwar Burschenschaften und
Landsmannschaften/Corps) der dreizehn ganz oder überwiegend
protestantischen Universitäten
eingeladen, d. h. nicht die katholischen Hochschulen
(z. B. Würzburg), auch
nicht die im deutschsprachigen Gebiet der Habsburger
Monarchie gelegenen Universitäten
Wien, Graz und Innsbruck, die schon damals durch die
strenge
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2
Dazu und zum folgenden vgl. Steiger (wie Anm. 1), S.
85 ff.
3
Anm. der Schriftleitung: Karl Hoffmann hatte als
Student in Gießen 1787/88 der Landsmannschaft der Rheinländer
(später der Franken) und dem Schwarzen Orden (der
Harmonie) angehört. Vgl. Groos, Fritz: Die erste
und zweite Franconia zu Gießen (1788–1795 und
1801–1814) im Spiegel des politischen und studentengeschichtlichen
Zeitgeschehens. In: Einst und Jetzt 7 (1962), S.
49–79. – Auch mehrere andere geistige Väter
der Burschenschaft wie Jahn, Fichte und Ernst Moritz
Arndt waren ehemalige Ordensbrüder. Vgl. Hümmer,
Hans Peter: Tradition und Zeitgeist an der Wiege der
Burschenschaft. Eine Bestandsaufnahme aus corpsstudentischer
Sicht. In: Einst und Jetzt Bd. 37. 1992. S.
93–113.
4
Staatsarchiv Wiesbaden: Abt. 210, Nr. 2790 b, Bd.
14, § 3 a. Zit. nach Steiger (wie Anm. 1), S. 86.
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Abschirmungspolitik
Metternichs aus dem Gesichtskreis der deutschen Studentenschaft
zu rücken begannen.
ABCD
Die
Einladung löste überall Begeisterung aus. Der
Gedanke einer erstmaligen übergreifenden
Zusammenkunft deutscher Studenten ließ bereits in
der Vorbereitung alle
internen Streitigkeiten an einzelnen Hochschulorten
zurücktreten und festigte die Einheit
der Studentenschaft. Überschwenglich schrieben die
Tübinger Studenten in ihrer
Antwort u. a.: „Wer sollte auch nicht wünschen,
einem solchen Feste beizuwohnen,
welches eine herrliche Veranlassung, einen so schönen
Zweck, und einen
so geheiligten Ort hat; einem Feste, wie noch keines
gefeiert wurde, und vielleicht
keines wieder gefeiert wird! [...] Mag auch immerhin
mancher mit tiefer Traurigkeit
sehen, wie so manche schöne Hoffnung vereitelt und
so manche gerechte Erwartung
des braven deutschen Volkes nicht erfüllt wurde:
Den Jüngling muß die Hoffnung
beleben, und das Gefühl, für die Zukunft sich mit
Muth und Kraft dem Guten
zu widmen, ihn mit Freude erfüllen.“5
Die
Jenaische Burschenschaft muß sich der Zustimmung
der Behörden ziemlich sicher
gewesen sein, denn bei der Einladung lag die behördliche
Zustimmung noch nicht vor. Erst am 21. September
1817, also über vier Wochen später, reichte sie
bei der Universität einen offiziellen Antrag auf
Genehmigung des Festes ein, der vom Rektor
und einigen patriotischen Professoren wärmstens
unterstützt wurde. Inzwischen hatten
mehrere Regierungen – allen voran Hannover – von
der geplanten Veranstaltung
Wind bekommen und das weimarische Staatsministerium
vor den gefährlichen
politischen Folgen des Treffens gewarnt. Das
Weimarer Ministerium ließ sich
aber davon nicht beeindrucken und empfahl dem Großherzog
Carl August die Genehmigung
des Festes. Die Eisenacher Behörden wurden
aufgefordert, dem Studententreffen
Wohlwollen entgegenzubringen, die Räume der Burg zu
öffnen sowie
Holz für das geplanten Freudenfeuer
bereitzustellen. Gleichzeitig wurden die örtlichen Behörden jedoch aufgefordert, diskret Vorkehrungen für
eventuell zu erwartende
Exzesse zu treffen. Notfalls sollte auch, wie das
Ministerium empfahl, der Eisenacher
Landsturm gegen die Studenten eingesetzt werden.
Eisenachs Gastwirte, Metzger, Bäcker und
Bierbrauer freuten sich auf ein gutes Geschäft. Mit
Freude stellten die Bürger unentgeltlich ausreichend Privatquartiere zur Verfügung.
Das Treffen
versprach eine willkommene Abwechslung im eintönigen
Alltag dieser biedermeierlichen
Kleinstadt. Auch die Mädchen mögen sich in
Erwartung so vieler Studenten
gefreut haben. Der Gasthof zum Rautenkranz am Markt
war von der Burschenschaft
zum Empfangsbüro bestimmt worden. Hier gab es
Quartierscheine, hier
trugen sich die Teilnehmer ein. Durch Unterschrift
mußte sich jeder Teilnehmer verpflichten,
den Anordnungen des studentischen Festausschusses
Folge zu leiten sowie
weder Beleidigungen auszusprechen noch Händel
anzufangen.
Bei
sonnigem Herbstwetter reisten insgesamt mehr als 450
Studenten aus fast allen
Staaten des Deutschen Bundes zum Wartburgfest nach
Eisenach, einzeln, häufiger
in Gruppen, fast alle zu Fuß, das Bündel oder
einen Ranzen auf dem Rücken. Bei
einer Gesamtzahl von nur rund 8.500 damals an
deutschen Studierenden bedeutete das,
daß etwa jeder zwanzigste damalige Student am
Wartburgfest teilnahm. Hinzu kamen
zahlreiche Altakademiker sowie deutsche und ausländische
Studenten von
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5
Antwortschreiben nach Jena, Tübingen 1. September
1817; bei Kieser (wie Anm. 1), S. 99–101, zit.
nach Steiger
(wie Anm. 1), S. 88.
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Hochschulen,
die keine Einladung erhalten hatten.6
Zahlreiche Teilnehmer erlangten später in Politik,
Literatur und Wissenschaft führende Positionen.
Einigen von ihnen begegnen
wir 1848/49 als Abgeordnete der Frankfurter
Nationalversammlung. Zu den Teilnehmern
gehörten u. a. der Dichter und Schriftsteller
August Daniel von Binzer, der
slowakische Dichter und Gelehrte Ján Kollár sowie
der durch seinen Abenteuerroman
„Rinaldo Rinaldini“ (1799) bekannte
Schriftsteller und Schwager Goethes, Christian
August Vulpius. Aus Jena waren die liberalen
Professoren Jakob Friedrich
Fries, Dietrich Georg Kieser, Lorenz Oken und
Christian Wilhelm Schweitzer
gekommen.
Die
historische Bedeutung des Wartburgfestes von 1817 für
die demokratisch- rechtsstaatliche
Entwicklung Deutschlands ist heute unbestritten.
Klaus Malettke bezeichnet
das Fest als „die erste spontane politische
Veranstaltung, in der sich freigebildete
Gruppen unmittelbar und ohne obrigkeitliches Mandat
oder Sanktion im Namen des ‚Volkes’ und für das ganze Volk zu Wort meldeten.“7
Der eigentliche Verlauf
des Festes ist schon von den Zeitgenossen (z. T. von
Teilnehmern und Augenzeugen
selbst) wiederholt ausführlich dargestellt und
dokumentiert worden,8
so daß
wir hier nicht in Einzelheiten darauf einzugehen
brauchen. Paarweise, meist schwarz
gekleidet, von Glockengeläut und festlicher Musik
begleitet, zogen am frühen Morgen
des 18. Oktober, es war ein sonniger Herbsttag, die
Teilnehmer vom Marktplatz
zur Wartburg. An der Spitze des Zuges mit dem
Burschenschwert9
in der Hand
schritt als „Burgvogt“, Ordner und Anführer des
Ganzen der Jenaer Student und spätere
Philosophieprofessor Karl Herrmann Scheidler. Als
einzige Fahne wurde die goldumsäumte
rot-schwarz-rote Fahne der Jenaischen
Burschenschaft, mit einem goldenen
Eichenlaub in der Mitte, mitgeführt.10
Einer der vier Fahnenbegleiter – Abgesandter
der Erlanger Burschenschaft – war übrigens der
unglückliche Karl Ludwig
Sand, dessen späterer Mord an dem russischen
Staatsrat und Dramatiker August
von Kotzebue (1819) einen willkommenen Anlass zur
ersten „Demagogenverfolgung“
bot.
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6
Über die Zahl und soziale Struktur der Teilnehmer
(mit namentlicher Auflistung) vgl. Steiger, Günter:
Die Teilnehmer
des Wartburgfestes von 1817. Erste Ausgabe der sog.
„Präsenzliste“. In: Darstellungen und Quellen zur
Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im
neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Bd. 4.
1963. S. 65–133;
und Steiger (wie Anm. 1), S. 95 ff. und S. 280 f.
7
Malettke, Klaus [Hrsg.]: 175 Jahre Wartburgfest. 18.
Oktober 1817–18. Oktober 1992. In: Darstellungen
und Quellen
zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im
neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Bd. 14. Heidelberg
1992. S. 26.
8
Außer den Darstellungen von Kieser (wie Anm. 1) und
Oken (s. Anm. 14) vgl. u. a. Maßmann, Hans Ferdinand:
Kurze und wahrhaftige Beschreibung des großen
Burschenfestes auf der Wartburg bei Eisenach am 1
8ten und 1 9ten des Siegesmonds 1817. Eisenach 1817.
Zeitgenössische Quellen und Literatur bei Erman, Wilhelm
und Horn, Ewald: Bibliographie der deutschen
Universitäten. 1. Teil. Leipzig und Berlin 1904. S.
673– 677.
9
Heute wieder im Besitz der Burschenschaft Arminia
auf dem Burgkeller-Jena.
10
Zum Schicksal dieser „von den Frauen und
Jungfrauen zu Jena am 31. März“ gestifteten Fahne
(heute als gemeinsamer
Besitz der Jenaischen Burschenschaften Arminia a. d.
Burgkeller, Germania und Teutonia im Stadtmuseum
Jena; im Saal der Wartburg hängt eine größere
Kopie) vgl. Volquartz, Hans: Die Insignien der Jenaischen
Burschenschaft und ihre Geschichte 1815–1965. o.
O. 1965. Vgl. außerdem Kaupp, Peter: „Lasset uns
eine Farbe tragen, die Farbe des Vaterlands“. Von
den Farben der Jenaischen Urburschenschaft zu den deutschen
Farben. Ein Beitrag zur Frühgeschichte von
Schwarz-Rot-Gold. In: Jahrbuch der HambachGesellschaft
1990/91 (1991), S. 9–44, mit farbiger Abbildung
der sogen. „Wartburgfahne“ S. 23.
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Auf
der Burg gegen 10.00 Uhr von den Eisenacher Behörden,
den vier Jenaer Professoren
sowie zahlreichen Ehrengästen erwartet, ergriff
zuerst Heinrich Herrmann Riemann
aus Ratzeburg als von der Jenaer Burschenschaft
beauftragter Sprecher das Wort
zu einer mutigen, selbstbewussten und vielbeachteten
Rede.11
Als Zweck des Treffens
stellte er vor allem die Verantwortung der
akademischen Jugend für das Schicksal
des Vaterlands in den Vordergrund, „daß wir
gemeinschaftlich das Bild der Vergangenheit
uns vor die Seele rufen, um aus ihr Kraft zu schöpfen
für die lebendige That
in der Gegenwart; daß wir gemeinschaftlich uns
berathen über unser Thun und Treiben,
unsere Ansichten austauschen, [...] und endlich, daß
wir unserm Volke zeigen wollen,
was es von seiner Jugend zu erhoffen hat, welcher
Geist sie beseelt, wie Eintracht
und Brudersinn von uns geehrt werden, wie wir ringen
und streben den Geist der
Zeit zu verstehen.“12
Anschließend sprach Professor Fries noch ein
„kurzes Wort des
Gefühls“. Die Feier schloß in kirchlicher Form
mit dem gemeinsamen Gesang des Chorals
„Nun danket alle Gott“ und einem von Dürre
gesprochenen Schlußsegen, wie es
beim protestantischen Gottesdienst üblich ist.
Danach, wie während des ganzes Festes,
erklangen Lieder aus einem gerade noch rechtzeitig
fertiggestellten Liederbuch.13
Vor
einer etwas größeren um ihn gescharten Gruppe
forderte der aus Vorderösterreich
stammende, vaterländisch begeisterte Naturforscher
Professor Oken die
freiwillige Auflösung der „Landsmannschaften“
und die rasche Bildung von all e Studenten
umfassenden einheitlichen Burschenschaften auf den
Hochschulen. Es sei eine
Schande, „durch Studieren es nicht weiter gebracht
zu haben, als ein Thüringer, ein
Hesse, ein Franke, ein Schwabe, ein Rheinländer
geblieben zu sein“. Der Student müsse
„ein universaler Kopf und ein gebildeter
Deutscher“ werden, kein engstirniger „Provinzial-Landmann“. Entschieden lehnte er die kleinstaatlichen
Zersplitterung Deutschlands
ab, warnte aber die Studenten zugleich mit
Nachdruck, politisch zu weit vorzupreschen:
„Der Staat ist euch jetzt fremd und nur in sofern
gehört er euer, als ihr einst
wirksame Theile darinnen werden könnet. Ihr habt
nicht zu bereden, was im Staat geschehen
oder nicht soll; nur das geziemt euch zu überlegen,
wie ihr einst im Staat handeln
sollt, und wie ihr euch dazu würdig vorbereitet.“14
Gegen 14.00 Uhr bewegte sich
der Zug in gleicher Ordnung wie beim Aufzug wieder
zur Stadt zurück. Dort fand gemeinsam
mit dem Landsturm ein öffentlicher Festgottesdienst
in der Eisenacher Hauptkirche
statt. Anschließend kam es zu einer Verbrüderung
mit dem Landsturm, der
eigentlich als Schutz- und Ordnungsmacht gegen die
Studenten gedacht war, und zu
Vorführungen Jahnscher Turnübungen vor der
staunenden Eisenacher Bevölkerung.
Am
Abend versammelten sich die Festteilnehmer mit dem
Landsturm und Eisenacher
Bürgern zu einem Siegesfeuer auf dem nahen
Wartenberg. Hier artikulierte der
Jenaer Philosophiestudent und Fries-Schüler Ludwig
Rödiger aus der Pfalz in seiner
begeistert aufgenommenen, stark religiös gefärbten,
pathetischen Ansprache am
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11
Abgedruckt bei Steiger (wie Anm. 1), S. 250–252.
Zu Riemann vgl. Koch, Friedrich: Heinrich Arminius Riemann,
der Wartburgredner von 1817. Sein Leben und Wirken.
1922. Neuauflage 1992.
12
Zit. nach Steiger (wie Anm. 1), S. 250 f.
13
„Lieder von Deutschland’s Burschen zu singen auf
der Wartburg am achtzehnten Oktober des Reformationsjubeljahrs
1817“.
14
Oken, Lorenz: Der Studentenfrieden auf der Wartburg.
In: Isis, XI und XII, 195, 1817. Hier zit. nach
Steiger (wie
Anm. 1), S. 114 f.
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schärfsten
den studentischen Protest, der in den vielzitierten
Worten gipfelte: „Wer bluten darf für das
Vaterland, der darf auch davon reden, wie er ihm am
besten diene im
Frieden. So stehn wir unter freiem Himmel und sagen
das Wahre und Rechte laut. Denn
die Zeit ist gottlob gekommen, wo sich der Deutsche
nicht mehr fürchten soll vor
den Schlangenzungen der Lauscher und dem Henkerbeil
der Tyrannen und sich niemand
entschuldigen muß, wenn er vom Heiligen und Wahren
spricht.“15
Für den russischen
Gesandten am Berliner Hof, Franz David von Alopëus,
belegte die veröffentlichte
und schnell vergriffene Rede deutlich eine
revolutionäre Gesinnung der Studenten.
Dagegen gewann Rödiger die Sympathie Professor
Kiesers und vor allem Goethes,
der nach der Lektüre seinen Beifall über die Rede
aussprach. Als Rödiger den
Dichter und Staatsminister im Dezember 1817
aufsuchte, mußte er an sich halten, wie
er später vertraulich zu den Frommanns in Jena äußerte,
dem „lieben Jungen“ nicht
„um den Hals zu fallen und ihn tüchtig zu küssen.“16
Der
Protest eskalierte, als einige Burschenturner unter
der Führung von Maßmann
(vielleicht unter geistiger Vaterschaft von Jahn) im
Anschluß an Rödigers Feuerrede
außerhalb des offiziellen Programms, aber wohl mit
Zustimmung der Mehrzahl der noch Anwesenden, entsprechend kommentiert, Bücher (genauer: Makulaturballen,
Bücher wären zu teuer gewesen) in das Feuer
warfen, darunter vor allem
Schriften von Gegnern des Turnwesens und der
Burschenschaft, insbesondere des
Schriftstellers August von Kotzebue, des verhaßten
preußischen Polizeiministers Christoph
Karl Heinrich von Kamptz und des jüdischen
Schriftstellers Saul Ascher. Dem
Autodafé zum Opfer fielen auch ein preußischer
Ulanenschnürleib, ein österreichischer
Korporalstock sowie ein kurhessischer Militärzopf
– Symbole der verhaßten stehenden Heere und des
Protestes gegen die sich im Geiste der Heiligen Allianz
immer stärker durchsetzende restaurative Politik in
Deutschland – sowie als Sinnbild
der französischen Fremdherrschaft ein Exemplar des
Code Napoléon, des damals
fortschrittlichsten Rechtswerkes und insofern kein
Ruhmesblatt für die jugendlichen
Veranstalter.17
Derartige öffentliche Bücherverbrennungen hatten
schon damals eine lange Tradition und waren den
Zeitgenossen nicht unvertraut. Im übrigen unterschied
sich die „Bücherbrennung auf der Wartburg 1817“
(wie es bis heute oft fälschlich
heißt) grundlegend von der berüchtigten, planmäßig
von oben herab durch die
Nationalsozialisten inszenierten Bücherverbrennung
vom Mai 1933.18
Der
zweite Tag des Wartburgfestes verlief für die Öffentlichkeit
weniger aufregend.
Noch einmal versammelten sich am 19. Oktober fast
alle Studenten in den Räumen
der Burg, um auf hohem Niveau und in sachlicher, von
gegenseitigem Respekt
getragener Diskussion Fragen der studentischen
Verantwortung gegenüber dem
Staat zu diskutieren. Nach dem Verlesen einer schon
vor dem Fest gedruckten
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15
Rödiger, Ludwig: Ein deutsches Wort an
Deutschland’s Burschen gesprochen vor dem Feuer
auf dem Wartenberg
bei Eisenach. (1817). S. 17 f.; hier zit. nach
Steiger (wie Anm. 1), S. 119.
16
Vgl. Frommann, F. J.: Das Frommansche Haus und seine
Freunde. 3. Aufl. 1889. Hier zit. nach Steiger (wie Anm.
1), S. 122.
17
Eine Aufzählung und Glossierung der auf dem
Wartenberg verbrannten Bücher und Gegenstände
bietet Lorenz
Okens Aufsatz „Der Studentenfrieden auf der
Wartburg“. In: Isis. Bd. 1. 1817. XI und XII. Nr.
195. S. 1158.
18
Dazu vgl. die Ausführungen des DDR-Historikers
Steiger (wie Anm. 1), S. 126 ff. – Anm. der
Schriftleitung: Trotzdem
ist die Bücherverbrennung als Verirrung des
Wartburgfestes anzusehen. Zur Rolle Maßmanns und Jahns
vgl. auch Treitschke, Heinrich von: Deutsche
Geschichte. 1917. S. 415 u. 429.
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und
am Vortag verteilten Schrift von Fries19
ergriff Friedrich Wilhelm Carové, Sprecher
der Heidelberger Burschenschaft, das Wort zur
letzten großen Rede des Wartburgfestes.
Selbst Katholik, hatte er die konfessionellen Gegensätze
überwunden, waren
ihm – anders als bei manchen Jahnjüngern –
Franzosenhaß und Judenfeindschaft
fremd. „Die Standesehre der Hochschüler mit der
Volksehre zu versöhnen“,
ermahnte er seine Mitbrüder, und verlangte, „daß
die Willkür ende, und daß das Recht
gesichert werde [...] Und wie wir kein Unrecht gegen
unsere Standesgefährten
mehr üben wollen, so müssen wir auch allen übrigen
Ständen ihr Recht
nicht verkümmern, denn so lange noch ein Stand den
anderen im Staate verachtet
oder befeindet, so lange ist der Staat noch kein
Staat, sondern ein krankhaftes
Zwittergeschöpf.“20
Die hohe Anforderungen stellende, auf philosophischen
und historischen Anforderungen aufbauende Rede Carovés
„war die bedeutendste
geistige Leistung des Festes“.21
Danach wandten sich die Teilnehmer handfesten
studentischen Fragen zu, insbesondere den an vielen
Universitäten immer noch
vorhandenen Differenzen zwischen
Landsmannschaften/Corps und Burschenschaften.
Feste protokollierte Abmachungen wurden einem späteren
Zeitpunkt
überlassen. Zum Abschluß vereinte sich noch einmal
ein großer Teil der Studenten
in der Eisenacher Stadtkirche, um nach dem
Gottesdienst das Abendmahl zu empfangen.
Die
Auswirkungen des Wartburgfestes von 1817 sind
bekannt und brauchen hier
nicht näher dargestellt zu werden. Die Bücherverbrennung
auf dem Wartenberg, die
Ermordung des Dramatikers und russischen Staatsrates
August von Kotzebue durch
Karl Ludwig Sand (23. März 1819) führten im
September 1819 zu den berüchtigten
Karlsbader Beschlüssen, zur Einsetzung der Zentraluntersuchungskommission in Mainz und zur ersten sogenannten „Demagogenverfolgung“,
der zahlreiche Burschenschafter und liberale
Professoren zum Opfer fielen.
Das
bleibende und in den demokratischen deutschen
Verfassungen nachwirkende
Erbe des Wartburgfestes sind die „Grundsätze und
Beschlüsse des achtzehnen
Oktobers [1817]“,22
denen wir uns im folgenden zuwenden wollen. Ziemlich sicher sind sie in den Tagen nach dem Wartburgfest durch Riemann
und seinen
Mecklenburger Landsmann Karl Johann Heinrich Müller
aus Penzlin Ende 1817
ausgearbeitet und in einem burschenschaftsinternen,
auf der „Grünen Tanne“ in Jena
tagenden Verein, dem auch Heinrich von Gagern, der
spätere erste Präsident der Frankfurter
Nationalversammlung 1848/49 angehörte, intensiv
beraten worden. Eingeflossen
ist dabei ein programmatischer Entwurf des liberalen
Kieler Arztes und
---------------------------------
19
Fries, Jakob Friedrich: Rede an die deutschen
Burschen. (1817).
20
Carové, Friedrich Wilhelm: Rede gehalten am 19ten
October 1817 zu denen, auf der Wartburg
versammelten, deutschen
Burschen. (1817). Abgedruckt bei Steiger (wie Anm.
1), S. 253 f. Zitat ebd.
21
Steiger (wie Anm. 1), S. 137.
22
Erster, nahezu vollständiger Druck der „Grundsätze
und Beschlüsse des 18. Oktobers, gemeinsam beraten,
reiflich
erwogen, einmütig bekannt und den studierenden Brüdern
auf andern Hochschulen zur Annahme, dem gesamten
Vaterlande aber zur Würdigung vorgelegt von den
Studierenden zu Jena“ bei Herbst, Ferdinand: Ideale
und Irrtümer des akademischen Lebens. (1823). S.
184–205, allerdings mit zahlreichen
sinnentstellenden Fehlern
und deutlichen Spuren der Zensur in den Grundsätzen
30, 31 und 34. Erste quellenkritische Veröffentlichung
im Anhang des Aufsatzes von Ehrentreich, Hans:
Heinrich Luden und sein Einfluß auf die Burschenschaft.
In: Quellen und Darstellungen zur Geschichte der
deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und
zwanzigsten Jahrhundert. Bd. 4. 1913. Neuauflage
1966. S. 109–129.
---------------------------------
Professors
Franz Hegewisch,23
den dieser seinem jungen Freund, dem Kieler Burschenschafter
Justus Olshausen, zum Wartburgfest mitgegeben hatte.
Vermutlich hat
Olshausen diesen Entwurf an Riemann weitergegeben.
Unverkennbar
in Geist und Formulierungen ist in den „Grundsätzen
und Beschlüssen“
der maßvolle Einfluß des bereits mehrfach erwähnten
liberalen Jenaer Philosophieprofessors
und Förderers der Burschenschaft, Heinrich Luden.
Schon im Hauptbericht
der Mainzer Zentraluntersuchungskommission lesen
wir: „Die ‚Grundsätze
und Beschlüsse des achtzehnten Oktobers‘ [...] drücken
sich über das Wünschenswerte
in der Verfassung und Verwaltung von Deutschland
zwar in dem Sinn
der Einheit und Freiheit, aber in einer ruhigen und
bestimmten, von den neblichten
Phantastereien der jugendlichen und älteren
Wartburgredner sehr entfernten Sprache
aus (§ 257). Inhalt und Form derselben möchte wohl
einen erfahreneren und geübteren
Denker und eine gewandtere Feder verraten, als in
der Regel bei dem Alter derjenigen
vorausgesetzt werden kann, die sich vor der Welt
dazu hätten bekennen sollen
(§ 257).“24
Wie
Riemann in seinen Erinnerungen berichtet, fand die
programmatische Erklärung
im Kreise seiner engeren Freunde „völlige
Billigung“. Das Vorsteherkollegium
lehnte es jedoch von vornherein ab, „solche
Gegenstände zur Beratung zu bringen, weil die
Burschenschaft als solche sich mit politischen
Fragen nicht
zu befassen habe“. Dennoch wurden die „Grundsätze
und Beschlüsse“ im Januar 1818
auf einer allgemeinen Studentenversammlung in Jena
nicht nur zur Beratung, sondern
sogar zur Abstimmung gestellt. Einigen, vor allem Rödiger,
gingen die Forderungen
nicht weit genug, andere hielten sie für zu
weitgehend. „Unzweifelhaft hätten wir eine große
Menge von Unterschriften erhalten“, schreibt
Riemann, „wenn nicht
plötzlich Scheidler aufgetreten wäre mit den
Worten: ‚Ich gebe Euch das eine zu bedenken:
wenn ihr das unterschreibt, so kriegt ihr künftig
keine Stellen!‘ [...] Und vorbei
war’s mit aller Teilnahme.“25
Die Warnung Scheidlers führte dazu, daß die Grundsätze
und Beschlüsse von der Jenaer Burschenschaft nicht
offiziell als Programm
verabschiedet wurden.
Die
oft noch unklaren, gelegentlich von einem etwas überspannten
jugendlichen Idealismus
und einem träumerischen, unrealistischen
Nationalgefühl getragenen Forderungen
des Wartburgfestes von 1817 haben erst in den Grundsätzen
und Beschlüssen
ihren konkreten Niederschlag und damit eine
zukunftweisende politische Bedeutung
gefunden. Auch wenn sie offiziell nicht beschlossen
und nicht gedruckt, wohl
aber durch viele Abschriften von Gleichgesinnten
heimlich in ganz Deutschland verbreitet
wurden, entsprachen sie sicher der politischen
Grundstimmung der Mehrheit der
Jenaischen Burschenschaft. Sie sind nicht nur für
die Frühzeit der burschenschaftlichen,
sondern auch der deutschen Einheits- und Verfassungsbewegung
überhaupt von außerordentlicher Bedeutung. Die
Grundsätze und
Beschlüsse wurden bald – über studentische
Forderungen hinaus – zu einem ersten
geschlossenen Programm des deutschen Liberalismus
und zu einem wichtigen Anstoß
für den deutschen Verfassungsstaat. Im Vorwort
kommt die Verantwortung für
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23
„Vorschlag zu einigen Beschlüssen, welche am 18.
October auf der Wartburg gefaßt und ausgesprochen werden
mögen“.
24
Zit. nach Ehrentreich (wie Anm. 22), S. 109.
25
Ebd., S. 86.
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das
Vaterland, die Universität und die eigene Ehre
deutlich zum Ausdruck: „Wir glauben
dies dem Vaterlande schuldig zu sein, das auf uns
rechnen soll und will, [...] den
hohen Schulen, denen wir unsere Bildung verdanken,
[...] aber auch unserer eigenen
Ehre [...], denn wir können es nicht gleichgültig
ansehen, daß man uns als tollkühne
Gesellen darzustellen sucht, welche mit dem
Heiligsten, das wir kennen, mit dem
Vaterlande, ein Wagstück zu unternehmen verbunden
seien.“26
Gefordert wurden vor
allem die Menschen- und Bürgerrechte. Unübersehbar
kommt die soziale Komponente
zum Ausdruck: Wir wollen „uns der untersten
Klassen der Gesellschaft um so lebendiger annehmen,
je tiefer sie im Elende sind“.27
Fast wie eine Präambel wird im Grundsatz Nr. 1 des
Wartburgprogramms die Einheit Deutschlands
gefordert: „Ein
Deutschland ist, und ein Deutschland soll sein und
bleiben. Je mehr die Deutschen
durch verschiedene Staaten getrennt sind, desto
heiliger ist die Pflicht für jeden
frommen und edlen deutschen Mann und Jüngling,
dahin zu streben, daß die Einheit
nicht verloren gehe und das Vaterland nicht
verschwinde.“28
Die
Hauptziele der „Grundsätze und Beschlüsse“
galten, wie es Malettke bezeichnet
hat,29
der Realisierung nationaler Einheit und
konstitutioneller Freiheit sowie
der Verwirklichung nationaler Repräsentation und
Verfassung. Sie waren gegen den
Partikular- und Polizeistaat sowie die Relikte der
Feudalgesellschaft gerichtet. „Dabei
verbanden sich – nicht immer stimmig – Ideen der
Französischen Revolution von
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, von
Demokratie und aggressivem Rationalismus
mit romantischen Vorstellungen von organischer
Gemeinschaft, christlichem
Charakter, mittelalterlichem Kaisertum und
Enthusiasmus des Gemüts.“30
In
diesem 1817/18 von Mitgliedern der Jenaischen
Burschenschaft entworfenen Katalog sind die klassische Forderungen des deutschen Liberalismus
enthalten, insbesondere
Freiheit der Person, Sicherheit des Eigentums,
Garantie der Meinungsund Pressefreiheit,
Einrichtung von Schwurgerichten, Durchsetzung von
Ministerverantwortlichkeit sowie Gleichheit vor dem
Gesetz. Mit Recht hat der Verfassungshistoriker
Ernst Rudolf Huber deshalb die maßvollen, in ihrem
Kern die Grundpositionen
des deutschen Liberalismus widerspiegelnden
„Grundsätze und Beschlüsse“
als „das erste deutsche Parteiprogramm“
bezeichnet. „Es ist die erste programmatische Zusammenstellung der Leitgedanken des liberalen
Nationalismus in Deutschland.
Im Grund änderte sich bis 1848 und auch darüber
hinaus an diesem schon 1818 formulierten
liberal-nationalen Programm nichts mehr.“31
Verfassungsgeschichtlich,
d. h. der „Grundsätze und Beschlüsse“ wegen,
war das Wartburgfest
„die erste Manifestation des
nationaldemokratischen Prinzips in Deutschland“.32
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26
Ebd., S. 116.
27
Beschluss Nr. 11, zit. nach Ehrentreich (wie Anm.
22), S. 128.
28
Ebd., S. 117.
29
Vgl. Malettke (wie Anm. 7), S. 20 f.
30
Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866.
Bürgerwelt und starker Staat. 2. Aufl., München
1984. S.
102 f.
31
Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte
seit 1789. Bd. 1. 2. Aufl., Stuttgart 1967. S. 722; ähnlich
auch Nipperdey (wie Anm. 30), S. 286–300.
32
Huber (wie Anm. 31), S. 718.
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Quelle:
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