Presseerklärung vom 20. Dezember 2013 zum Schulnamen
„Wernher-von-Braun-Gymnasium“
Wernher von Braun: ein problematischer Namensgeber
Das Gymnasium Friedberg trug von 1979 bis 2014 den Namen des Raketenpioniers Wernher von Braun. Dem jungen und zukunftsorientierten, mathematisch-naturwissenschaftlich ausgerichteten Gymnasium wurde der Namen dieses weltbekannten Wissenschaftlers und Ingenieurs gegeben, weil sein Anteil an der Entwicklung der Weltraumrakete und am Vorstoß in den Weltraum eine überragende wissenschaftlich-technische Leistung bedeutet, deren Ergebnisse (z. B. in der Nutzung von Forschungssatelliten und in der Kommunikationstech-nik) heute nicht mehr wegzudenken sind. Sein Name ist verknüpft mit der erfolgreichen Mondlandung im Jahr 1969, er gilt als Prophet der Raumfahrt und genialer Entwickler.
Seit in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts Wernher von Brauns Verstrickungen in die Gräueltaten der Nationalsozialisten öffentlich diskutiert wurden, änderte sich die Haltung der Schulfamilie gegenüber dem Namensgeber. Aufgrund von Forderungen nach einer Umbenennung des Gymnasiums befasste sich ein Arbeitskreis an der Schule mit der Frage, ob angesichts der Biografie des Namensgebers eine Beibehaltung des Schulnamens noch gewünscht bzw. überhaupt noch vertretbar sei. Am Ende entschied sich die Schule nach intensiver Debatte nicht für den relativ einfachen Weg der Umbenennung. Sie entschied sich für den deutlich schwierigeren Weg der Beibehaltung des umstrittenen Namens unter neuem Vorzeichen. Die Schule verpflichtete sich, den Namensgeber künftig nicht mehr als Identifikationsfigur, sondern als pädagogische Herausforderung zu verstehen, als eine besondere pädagogische Chance und Verpflichtung für eine exemplarische und fächerübergreifende Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte eines genialen Wissenschaftlers, der für die Verwirklichung seines wissenschaftlichen Lebenstraums auch bereit war, zumindest zeitweise über Leichen zu gehen.
Diese Auseinandersetzung war nicht immer einfach. Andererseits schien gerade die Beschäftigung mit einem solch schwierigen Thema für unsere Schüler pädagogisch wichtig und gewinnbringend. Das Problemfeld "technischer Fortschritt – ethische Verantwortung" ist ein Thema, das gerade an einer Schule wie der unseren, die eine starke naturwissenschaftliche Ausrichtung aufweist, von besonderer Bedeutung ist. Welchen Preis darf wissenschaftlicher Fortschritt haben? Welchen ethischen Fragen muss sich ein Wissenschaftler stellen? Zu einer Auseinandersetzung hinsichtlich der gesellschaftlichen und moralischen Verantwortung von Wissenschaft und Technik sowie der Normen und Möglichkeiten individuellen Handelns lud und lädt die Beschäftigung mit dem früheren Namensgeber unserer Schule geradezu ein.
2012 fand anlässlich des 100. Geburtstages Wernher von Braun unter anderem ein internationales Symposium zum Thema Was kostet der Mond? Wernher von Braun und die ethische Dimension der Wissenschaft statt. Symposium und Begleitausstellung wurden in zweijähriger Arbeit von zwei P-Seminargruppen Geschichte geplant und durchgeführt. In der Vorbereitung wurden unter anderem das Historisch-Technische Museum in Peenemünde und die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora besucht.
In der öffentlichen Wahrnehmung wurde dies alles von einer Neuauflage der Namensdebatte der 90er-Jahre überlagert. Als die Schulgemeinschaft der von verschiedenen Seiten erhobenen Forderung nach einer Namensänderung nicht nachkam, wurde die Angelegenheit auf die politische Ebene gehoben. Dabei zeigten insbesondere die Äußerungen hochrangiger Politiker, dass hier mittlerweile eine von der Haltung der Schulfamilie abweichende Bewertung stattgefunden hatte. Im Rat des Kreistags vom 20. März 2013, sich von dem umstrittenen Schulnamen zu trennen, „um Schaden von der Schule und vom Landkreis abzuwenden“, kam dies in ganz besonderer Weise zum Ausdruck.
Die daraufhin vom Staatsministerium für die weitere Namensdiskussion angebotene Begleitung durch die Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit nahm die Schulgemeinschaft gerne an. Der Schule wurde vorgeschlagen, eine Reflexion über ihr Leitbild durchzuführen und im Anschluss daran die Vereinbarkeit ihrer Zielvorstellungen mit dem Schulnamen nochmals zu überdenken. Als jedoch während dieses Leitbildprozesses durch Berichte in den Medien bei einem mit der Schulwirklichkeit nicht vertrauten Zuschauer der irrige Eindruck entstehen konnte, dass sich die Schule mit der Problematik des Schulnamens, ja vielleicht sogar mit den Verbrechen des Nationalsozialismus in Wirklichkeit gar nicht ernsthaft auseinandersetzen würde, entschloss sich die Schulgemeinschaft, mit der Entscheidung über den Schulnamen nicht mehr bis zum Abschluss des Leitbildprozesses zu warten.
Nach Abstimmung in den hierfür zuständigen Gremien Lehrerkonferenz, Elternbeirat und SMV stellte die Schulleitung am 7. Januar 2014 beim Staatsministerium den Antrag, die im Jahre 1979 vorgenommene Namensverleihung gemäß dem Rat des Kreistags zum nächstmöglichen Zeitpunkt rückgängig zu machen. Grundlage hierfür war das entsprechende Votum von Lehrerkonferenz und Elternbeirat sowie die Mehrheit der insgesamt abgegebenen Stimmen (Lehrerkonferenz, Elternbeirat, Schüler der Jahrgangsstufen 9-12). Damit sollte die für die Schulgemeinschaft seit den 90er-Jahren immer selbstverständlich gewesene Distanzierung von der Vorbildfunktion Wernher von Brauns nun auch nach außen hin in unmissverständlicher Klarheit zum Ausdruck gebracht werden. Die Schulgemeinschaft sprach in diesem Kontext auch ihr Bedauern darüber aus, dass die Art und Weise, wie sie mit der aus dem Schulnamen ererbten pädagogischen Verpflichtung umgegangen war, insbesondere bei Opfern des Nationalsozialismus offensichtlich zu Unverständnis und Verletzungen geführt hat.
Dem Antrag der Schulleitung auf Rücknahme der Namensverleihung wurde vom Staatsministerium mit Wirkung zum 1. Februar 2014 entsprochen. Damit ist unsere Schule nun wieder zu ihrer ursprünglichen Bezeichnung „Staatliches Gymnasium Friedberg“ zurückgekehrt.
gez. Dr. Bernhard Gruber, OStD
Presseerklärung vom 8. April 2014
zum Schulnamen „Wernher-von-Braun-Schule“
Am 8. April 2014 gab es eine Entscheidung von weitreichender Bedeutung für unsere Schule. Mit 75 Ja-Stimmen, bei zwei Nein und drei Enthaltungen, hat die Gesamtkonferenz sich gegen die Beibehaltung des Schulnamens Wernher-von-Braun-Schule ausgesprochen. Am Abend tagte die Schulkonferenz. Hier erging derselbe Beschluss einstimmig.
Einen neuen Namen haben wir noch nicht. Eine Kommission ist eingesetzt, die zeitnah einen neuen möglichen Namen ermitteln wird, um diesen dann dem Schulträger vorzuschlagen.
Positionspapier zu „Änderung des Schulnamens“
Zur Begründung einer Namensänderung im Einzelnen:
– Die Verstrickung Wernher von Brauns in die NS-Vergangenheit ist unstreitbar.
– Es ist ebenfalls unstrittig, dass Wernher von Braun wissentlich und billigend den
Tod Tausender Menschen in Kauf nahm, um seine wissenschaftlichen Ziele zu erreichen.
– Weder Wernher von Braun noch seine Familie haben je die Verantwortung für die
Handlungsweise während der NS-Zeit übernommen noch Reue gezeigt.
– In den vergangenen vier Jahren hat die historische Forschung um Wernher von
Braun nicht geruht. Es wurde deutlich, dass die historischen Fakten um seine
Besuche im Konzentrationslager Buchenwald zur Rekrutierung von Gefangenen und in Mittelbau Dora untermauert werden konnten (z.B. Prof. Eisfeld).
– Es ist bekannt, dass Wernher von Braun, um seiner als sicher geltenden
Verurteilung auf dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zu umgehen, sich den
USA angeboten hat.
– Seit der letzten Abstimmung an unserer Schule über die Namensgebung im
Herbst 2010 hat sich das Meinungsbild in der breiteren Öffentlichkeit gefestigt,
dass der Name Wernher von Braun historisch und ethisch untragbar ist.
– Mit der Namensänderung des Wernher-von-Braun-Gymnasiums in Friedberg sind
wir die einzige Schule in der Bundesrepublik, die diesen Namen noch trägt.
– Der überregionale mediale Druck auf unsere Schule nimmt zu (z.B. rbb, hr3).
– Die Beiträge in den Sendungen „Kontraste“ und „hessenschau“ waren in ihrem
Appell an die Schulleitung und die Schulgemeinde deutlich.
– Die Anzahl und die Heftigkeit der Anfeindungen via Mail ggb. der Schule, dem
Kollegium und dem Schulleiter nehmen erkennbar zu.
– Es besteht ein mir gegenüber kommuniziertes zunehmendes Unbehagen im Kollegium, aber auch unter Schülern, sich für den Namen seiner Schule
gegenüber Dritten rechtfertigen zu müssen. Es wird das Bedürfnis lauter,
entweder einen neutralen Schulnamen zu wählen oder einen – nach eingehender
Prüfung – mit Vorbildfunktion.
– Die Absicht – nach den Diskussionen von 2010 formuliert –, das Bewusstsein der
Schülerinnen und Schüler insgesamt nachhaltig für die Ambivalenz der Person
Wernher von Brauns zu schärfen, muss trotz aller Bemühungen als gescheitert
betrachtet werden.
– Es ist besser jetzt, da es keinen für die Öffentlichkeit wahrnehmbaren medialen
Druck gibt, eine Änderung herbeizuführen als zu einem Zeitpunkt (vgl. Gymnasium Friedberg), da die Schulgemeinde durch Bloßstellungen
gebrandmarkt werden würde.
gez. Markus Bente, Direktor
ABCD
Der eingestellte Videobeitrag von Brauns an die "Jungs und Mädels" anlässlich des Besuch am
23. mai 1975 ist noch auf der Homepage der Schule eingestellt.
Die Wernher-von-Braun-Straße im Gewerbegebiet Nord wird umbenannt: Dies hat der Stadtrat am 2. Juni 2014 mit 21:9-Stimmen beschlossen. Mehrere Redner betonten von Brauns Verstrickung in das NS-Regime: „Er hat sich an verantwortlicher Stelle mitschuldig gemacht und kann deshalb nicht mehr Namensgeber in einem demokratischen Rechtsstaat sein“, sagte SPD-Fraktionschef Dr. Hans-Martin Steiger. Der Stadtrat entschied gestern auch, dass die Straße künftig nach Rudolf Diesel benannt wird. Er ist der Erfinder des Dieselmotors. Es sei unbestritten, dass von Braun „in das NS-Unrechtssystem integriert war“, betonte Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger. Aufgrund seiner Verdienste um die Raumfahrt genieße er aber auch „hohes Ansehen in der westlichen Welt“.
Gersthofen bleibt [vorerst] bei der Wernher von Braun Straße
Im Februar 2013 ging in Gersthofen die Diskussion über eine Umbenennung der Wernher-von-Braun-Straße
weiter. Bernhard Lehmann von der regionalen Arbeitsgruppe von „Gegen Vergessen – Für Demokratie“
hatte erneut den Vorschlag gemacht, den Namen für diese Straße nicht mehr zu verwenden. Stattdessen schlug er vor, die Widerstandskämpferin Anna Pröll, die viele Jahre in Gersthofen lebte, mit einer Straßenbenennung zu ehren.
Lehmann hatte Bürgermeister Jürgen Schantin vorgeworfen, die Sache verschleppt zu haben.
Letzterer sagte, er halte eine Umbenennung für schwierig, da sie nicht zuletzt für die Anlieger in diesem Gewerbegebiet mit hohem Aufwand verbunden sei, beispielsweise Änderungen der Briefköpfe und dergleichen.
Wenig Verständnis für einen Namenswechsel hat auch Sigrid Puschner, Leiterin der Mittelschule Gersthofen. „Man sollte sich vorher genau informieren, um wen es sich handelt, wenn man einen Menschen mit der Benennung einer Straße ehren möchte.“ Sie hat allerdings auch einen Vorschlag: Die neue Mittelschule könnte nach Anna Pröll benannt werden.
Diese Idee könne gerne im Umfeld des Mittelschul-Neubaus aufflammen, sagt
Schantin. Die Umbenennung der Wernher-von-Braun-Straße war auf einen Antrag der damaligen Fraktion
GBU/Grüne hin im Stadtrat ausgiebig diskutiert worden. „Ich sehe daher keinen unmittelbaren Grund, diese Diskussion aus dem Jahr 2001 wieder von vorne aufzurollen“,
sagte Schantin. „Sollte wirklich bei den Bürgern das Bedürfnis vorhanden sein, den Namen Wernher von Braun zu streichen, würde ich das nicht erneut im Stadtrat diskutieren, sondern ein Bürgerforum veranstalten, an dem sich alle Gersthofer äußern können und auch die betroffenen Anlieger gehört werden.“
Bürgermeister Schantin wurde im März 2014 abgewählt.
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Aber was hätten wir in der Situation eines Wernher von Braun
gemacht?
Im April 2014 stimmte der Stadtrat von Thannhausen mit großer Mehrheit gegen eine Umbenennung der Wernher-
von- Braun-Straße. Das Für und Wider im Leben des deutschen Forschers wurde in der Einleitung von Bürgermeister Georg Schwarz
(CSU/FW) deutlich. Er zeigte Ausschnitte der bei der Stadt eingegangenen Meinungen – mal kurz, meistens ausführlich und ambitioniert – zusammengefasst auf über 70 Seiten. Die Mehrheit habe sich gegen eine Umbenennung ausgesprochen, auch fast alle Anwohner der Straße,
in der eine Unterschriftenaktion gestartet wurde.
Die Befürworter einer Umbenennung seien von ihrer Bildung her größtenteils dem Kreis der Akademiker zuzuschreiben,
sagte Schwarz. Der frühere Schulleiter der Grundschule, Karl
Landherr , gehört dazu. Er befürwortet eine Umbenennung. Bürgermeister
Schwarz ging im Verlauf der Diskussion kritisch auf das berufliche Dilemma Wernher von Brauns
ein. „Aber was hätten wir in der Situation eines Wernher von Braun gemacht?“ Deutlich wurde er beim Hinweis auf andere Städte, in denen es ähnliche Diskussionen gab und gibt. „Das steht auf einem anderen Blatt.“