Wer
einmal lügt, ...
Berlin
- Im vergangenen Jahr trug Claude Lanzmann
(Foto) in Berlin Auszüge aus seinen Memoiren 'Le lièvre de
Patagonie (Der patagonische Hase) vor. Der 23-jährige Lanzmann
war 1949 von der französischen Militärregierung als Lektor für Literatur an der Freien Universität Berlin
(FU) angestellt worden. Deren Rektor Edwin Redslob
griff Lanzmann Anfang 1950 in einer Schmähschrift für die sowjetisch
kontrollierte 'Berliner Zeitung' als NS-Aktivisten
an. Dem Pamphlet war ein angeblich von Redslob
verfasstes, aber tatsächlich gefälschtes, Widmungsgedicht an Emmy Göring zur Seite
gestellt. Lanzmann behauptete jetzt, wegen seiner
'Enthüllungen' sei Redslob damals unverzüglich
entlassen worden. Sofort nach dieser Lüge verbreiteten
alle großen Dulli-Zeitungen diese Nachricht über den einstigen Sturz des FU-Rektors. Lanzmann selbst kolportierte Varianten seiner Tat in Interviews.
Auch der Wikipedia-Eintrag zu Edwin Redslob wurde entsprechend verändert. Der Protest von FU-Gründungsstudenten gegen Lanzmanns
Fälschung blieben wirkungslos.
Tatsächlich war Lanzmann 1949 und 1950 ein
Unbekannter, Edwin Redslob aber ein berühmter Mann. Er gestaltete
im Auftrage der Weimarer Republik Geldscheine, Münzen, Briefmarken, Urkunden, Medaillen, Flaggen, Reichsadler,
Amtsschilder, Dienstsiegel und das zentrale Ehrenmal für die Kriegstoten. Er inszenierte die jährlichen Verfassungsfeste, das
'Goethejahr' 1932, die Trauerfeiern für Rathenau, Friedrich Ebert und Gustav Stresemann. 1933
wurde er entlassen. Nach Kriegsende 1945 gehörte er zu den Gründern des
Tagesspiegels, der bedeutendsten Zeitung der Berliner Westsektoren.
Deswegen wurde Redslob, zunächst Ordinarius der Humboldt-Universität im Ostsektor, 1946
sofort wieder entlassen. Im Angesicht der
sowjetischen Blockade gehörte er zu den Gründern
der 'Freien Universität FU' in den Westsektoren, die am 4.Dezember 1948 ihre Arbeit aufnahm.
Als Lanzmann 1949 nach Berlin kam, gehörten die
Ostberliner Verleumdungen gegen die FU zum festen Repertoire der Ostberliner Zeitungen.
Lanzmann, überzeugter Stalinist, reihte sich gerne
in diese SED-Propaganda-Kampagne ein. Für die Berliner Zeitung war es ein gefundenes Fressen, dass ein publizistischer Überläufer aus dem Westen bereitwillig Auskunft über die
'Demokraten' der FU lieferte. Was er schrieb, blieb
allerdings ohne jede Wirkung. Erst gut ein Jahr später endete Redslobs Amtszeit als
FU-Rektor regulär. Entlassen, wie Lanzmann behauptet, wurde
Redslob nicht. Lanzmann selbst bekam allerdings Ärger mit dem französischen Stadtkommandanten General Ganeval, dem Lanzmanns Seminar missfiel: Er wurde gemaßregelt und musste sein Seminar beenden, lebte fortan ein halb legales Abenteuerleben,
und schrieb er Reportagen über den Alltag im Ostsektor. In seinen
Erinnerungen erwähnt Lanzmann jetzt noch begeistert die
kommunistischen 'Weltjugendfestspiele' in der neu gegründeten DDR:
"In diesen großen roten Gemeinschaftsfesten gab
es .. etwas Mächtiges und Brüderliches".
Dies Jahr soll Lanzmanns Buch bei Rowohlt auf
Deutsch erscheinen. Die Redslob-Episode wird dabei nicht die einzige sein, in der Lanzmanns
Interpretation die Wahrheit überlagert. Der Autor
stilisiert sich zum omnipräsenten Akteur, zum Rächer der Juden, dessen
Film 'Shoah' sich in das kollektive Gedächtnis der ganzen Welt
einbrennen sollte. Trotz der nachgewiesenen
Fälschungen will Lanzmann seinen Text unverändert
als Tatsachenbericht dem deutschen Publikum
vorsetzen.
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