Sonntag, 23. Mai 2010

 

Wie eine Legende entsteht 

Folgender Beitrag ist der Auszug aus dem Vorwort Ramon Serrano Súñers (1901-2003) {Foto} zu seinem autobiographischen gefärbten Bericht über die Politik Spaniens während des 2. Weltkrieges. - Die von uns ausgewählte Passage aus seiner Einleitung zu seinem Buch “Zwischen Hendaye und Gibraltar” (1948) ist nach unserem Dafürhalten von einer gewissen Zeitlosigkeit, dass sie, in Form eines Beitrages zu pfingstlicher Besinnlichkeit, durchaus auch auf die Entstehungsgeschichte einer Vielzahl von namhaften Legenden unserer Tage zutrifft.

Gleichzeitig ist dieser Abschnitt nach unserem Dafürhalten jedoch auch eine Anleitung für findige Propagandisten, es in diesem Kampf ihren Gegnern gleich zu tun, in dem sie die eine oder andere von deren Methoden für sich selber entdecken. - So lebt man doch schon lange in einer Zeit, wo die äußerliche Scheinfassade von angeblichem Anstand und Ehre lediglich das Abzeichen zu kurz gekommener politischer Don Quichottes ist, die den Geist ihrer Epoche noch immer nicht begriffen haben und daher notwendigerweise scheitern müssen, sollten sie die Art und Weise ihres Kampfes nicht den aktuellen Zeitbedingungen anpassen. Denn wer dazu verdammt ist, sein Dasein in einer Ära ohne jedwede Moral, zu verbringen, sollte entweder auf politische Ambitionen verzichten, indem er sich den Verhältnissen anpasst, oder aber, falls er den Kampf aufnimmt, mit Methoden arbeiten, die der Zeit angemessen sind und nicht mit dem Abglanz zwar liebgewordener, aber zum Teil überholter und nostalgischer Agitationsmethoden aus Jahrzehnten, über welche die Zeit nun einmal hinweggegangen ist.

Und nun übergeben wir das Wort an Ramon Serrano Súñer:

“Unter bestimmten Umständen ist es eine leichte Aufgabe, eine Legende entstehen zu lassen. Und wenn man wenig Skrupel hat, dann ist es ebenso leicht und bequem, sie als Werkzeug für die Verteidigung zweifelhafter Interessen zu nutzen, sei es, um sich von einer Verantwortung zu entlasten, sei es, um einfach dem Hass, der Rache, dem Ressentiment oder der Abneigung Genugtuung zu geben. Allzu häufig zieht man es in unseren Tagen vor, ein verschlungenes Gewebe von Falschheiten zu fabrizieren, anstatt sich offen zu seinen Gedanken zu bekennen und die eigenen Handlungen und Überzeugungen tapfer zu verteidigen. Ebenso wie man es vorzieht, unangenehme und peinliche Dinge einem anderen anzukreiden, statt, wie es sich gehört, ihre Wahrheit zu beweisen – oder, ganz allgemein gesprochen, wie man es vorzieht, den Gegner zu verleumden, statt loyal und anständig mit ihm auf offenem Felde zu kämpfen.

Im Dienst aller dieser Dinge – Leidenschaften, Furcht, Hass oder Interessen – wird eine Legende geradezu systematisch aufgebaut. Dies ist nicht schwierig, wenn man Macht und Reichtum als Werkzeuge in Händen hat, um sie zu verbreiten und wenn einem ein ganzes verwickeltes Netz von fest etablierten Interessen in einem Bereich der Bestechung, der Komplizität oder der Gefügigkeit dienstbar ist. Erst muss einmal die falsche, aber wahrscheinliche Version der Tatsachen zusammengebaut sein, in deren Licht das eigene Verhalten tadellos oder unangreifbar, das des Feindes jedoch verächtlich oder anstößig erscheint; dann ist nichts weiteres mehr nötig, als dieser Version freien Lauf zu lassen, damit sie auf der abschüssigen Bahn der Trägheit, der Dummheit, der Feigheit oder der wohlgefälligen Bösartigkeit der Menschen ihren Weg nimmt.

Anfangs wird das Falschgeld der Legende n ur vom schmutzigen Gewissen ihrer eigenen Erfinder angenommen und von ihren halbbeteiligten Spießgesellen. Dann stürzen sich sofort die Zahllosen darauf, die kaum einen anderen Lebenszweck kennen, als Nachrichten aufzugreifen – welcher Art sie auch seien – und sei mit sportlichem Eifer zu verbreiten. Oft geschieht das nur aus Freude am Klatschen. Ein andermal spielt das Ressentiment dabei seine Rolle, der Neid auf das Glück anderer oder der ständige Hang aller angeborenen Schäbigkeit, sich immer die schädlichste Version eines Tatbestandes zu eigen zu machen.

Dann vergeht etwas Zeit, bis die Menschen, die den Dingen – den Ursachen und Zusammenhängen der Ereignisse – etwas ferner stehen, einfache Menschen und oft vom besten Glauben beseelt, aus Gedankenträgheit oder aus Schwierigkeit, auf den Weg der Wahrheit zu finden, ihrerseits die Version der Legende aufgreifen. Ist sie erst einmal vom guten Glauben oder von der Böswilligkeit angenommen worden, so verbreitet sich die Legende rasch und befestigt sich.

Diejenigen, die ehrlich und mutig die Wahrheit der verzerrten Tatsachen kennen, versuchen vergebens, die Legende zu bekämpfen. Wenn sie es versuchen, so geschieht es in einer Atmosphäre der Angst und des Ekels. Dann kann die Legende – die zum System erhobene Lüge – ihre schlimmste Leistung vollbringen: Die Mitwisser der Wahrheit, die selbst beim Zustandekommen der von der Lüge verzerrten Tatsachen mitgewirkt haben, sind es satt und müde, gegen diese ungeheure Kraft einen ungleichen Kampf zu führen. Sie werden gleichgültig und geben es auf, wenn sie nicht – viel schlimmer noch – schließlich selbst das Gedächtnis verlieren und sich nachgiebig mit der allgemein verbreiteten Version abfinden, die mit der Zeit unanfechtbar wird. So verkümmert der gesunde Hunger nach Wahrheit, der einer der größten Werte im menschlichen Zusammenleben ist.

Wer empfindet in diesen Tagen nicht Angst und ist nicht nahe daran, in Mutlosigkeit und Lähmung zu verfallen, wenn er sich vor einer Welt der Lügen machtlos weiß? Lügen, die historische Tatsachen verzerren, die ganze Völker verdammen, die Menschen von Ehre und Ideal verfemen oder die anderen verherrlichen, denen beides fehlt; Lügen, in einem Wort, die versuchen eine Situation, in eine Welt voll schwieriger Situationen zu retten, indem sie zum bequemen und niederziehenden Mittel der der Legende greifen.

Bei alledem bedeutet es jedoch eine sehr große Verantwortung, wen man in dieser Atmosphäre einfach in Trägheit verharrt. Es handelt sich um eine universale Erscheinung, und ich glaube, dass jeder einzelne die Pflicht hat, sich gegen den Teil der Legende zum Kampf zu stellen, der ihn am nächsten berührt, und dass er versuchen muss, ihn zu zerstören und die Wahrheit wiederherzustellen. …“


Quelle: Ramon Serrano Súñer „Zwischen Hendaye und Gibraltar“, Thomas-Verlag Zürich, 1948, S. 21 / 23

Siehe auch

Quelle: Altermedia.info  

Weitere Infos:    
 

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