Grundsätze der alten strengen
Erziehung
Aus
der Selbstbiographie von Christoph Wilhelm Hufeland
(1762-1836)
"Er
[der
Erzieher, der Kandidat der Theologie Restel] nannte mich Er, sprach außer den Schulstunden wenig mit mir, freundliche Worte oder Mienen waren Seltenheiten, Lachen kam gar nicht vor. Unbedingter Gehorsam, Verbot alles Widerspruchs, pünktliche Beobachtung der Schulstunden, Auswendiglernen (besonders von lateinischen Vokabeln), anhaltender Fleiß und Beschäftigung, genaue Beobachtung von Zeit und Ordnung, und bei Übertretungen strenge Verweise, selbst körperliche Züchtigungen, das waren die Grundzüge.
Die Einteilung des Tages war folgende: Früh 6 Uhr aufgestanden, dann ein Frühstück von Milch und Semmel, Ankleiden, Vorbereiten zu der Schule, halb 9 Uhr Butterbrot oder Obst, von 9–12 Uhr Schule, dann Mittagessen, nachher bis 3 Uhr Bewegung im Garten oder Hause, von 3–5 Uhr Schule, dann Vesperbrot von Obst oder Brot mit Salz oder ein wenig Zucker, dann Spaziergang im Webicht
[Waldlandschaft nordöstlich von Weimar] oder im Winter oder bei schlechtem Wetter eine Selbstbeschäftigung, um 7 Uhr frugales Abendessen (eine Suppe mit Brot, entweder mit Obst oder Butter oder Mus oder Möhrensaft). Dann bei den Geschwistern und von 8 bis 9 Uhr bei dem Vater mit den Schwestern, wo ich gewöhnlich etwas vorlesen mußte, dann wieder zum Hofmeister
[Erzieher] auf dessen Zimmer, hier noch lesen oder Auswendiglernen. Gewöhnlich übermannte mich der Schlaf, dann mußte ich stehen, aber auch im Stehen schlief ich oft ein. Dann zu Bette, in welchem ich die Hände falten und den lutherischen Abendsegen nebst Vaterunser beten
mußte. ...
Diese stille, strenge, einförmige, pedantische Erziehung, das Zusammenleben mit diesen ernsten Männern hatten nun den entschiedensten Einfluß, nicht bloß auf meinen Unterricht, sondern auf meine ganze Bildung, Geistesrichtung und Charakter, und im ganzen sehe ich es als neue Gnade Gottes an, daß er es gerade so fügte, und werde auch, so schwer und drückend es mir in der Gegenwart gewesen sein mag, noch in jener Welt meinem braven Restel für diese Strenge und für jeden Schlag danken, den er mir gab. Denn ohne dies wäre zuverlässig nichts Gutes und wenigstens nicht das, was ich geworden bin, aus mir geworden. Ich hatte nämlich einen gewaltigen Trotzkopf, Starrsinn und Eigensinn, Tücke, Neigung zur Lüge, zum Müßiggang, Unordnung, Sinnlichkeit. – Es war keine kleine Aufgabe, dies heraus zu bringen. Aber es gelang. Der Starrsinn und Trotz wurde mit Gewalt gebrochen. Nicht einmal widersprechen oder disputieren, oder die Frage: Warum? wurde gestattet; anstatt des Lobes, was bei uns gar nicht eingeführt war, hörte ich so oft die Worte: »Du bist ein dummer Junge, aus Dir wird nie etwas«, daß ich es am Ende selbst glaubte, jede Spur von Eigendünkel verwischt wurde und ich auch in meinem nachfolgenden Leben nie etwas Besonderes von mir gehalten habe.
"
|