Adolf Hitlers Zahnprobleme

München/Landshut – „Lieber Lanzhammer!“, schreibt Hitler am 21. Dezember 1916 auf einer Postkarte, in akkurater Sütterlin-Schrift. „Seit 4ten befinde ich mich in Gesichtsbehandlung. Man hat mir 19 Zähne gerissen. Kannst Dir denken wie nett ich ausgesehen habe.“ Und weiter: „Jetzt geht es mir besser. Leider keine Aussicht, daß ich wieder hinaus komme wenigstens jetzt nicht. Möchte ich wäre wieder bei Euch. Lieber aber noch bei der Komp[anie] als hier.“ Gezeichnet: „A. Hitler.“

Das Dokument ist aus gelblichem, steifen Karton, auf der Vorderseite zeigt es ein sepiabraun getöntes Foto vom Berliner Landwehrkanal. Hitler ist 27 Jahre alt, als er die Karte verfasst, und im Kriegsjahr 1916 Meldegänger beim 16. Bayerischen Reserveinfanterie-Regiment an der Westfront. Die Karte schickt er an seinen Bekannten, den Regimentskameraden Karl Lanzhammer. Einige von Hitlers Postkarten aus jener Zeit kennt die Forschung schon. Diejenige vom 21. Dezember 1916 allerdings nicht. Sie wird hier erstmals zitiert und gezeigt.

1916 ist Hitler noch einer von Millionen unbekannten Soldaten im deutschen Heer. Einer, der im Ersten Weltkrieg an der Front steht. An der deutsch-französischen tobt die Schlacht an der Somme. Hunderttausende Soldaten kämpfen auf beiden Seiten, darunter Hitler. Am 5. Oktober 1916, nach gerade einmal vier Tagen Einsatz als Meldegänger, wird Hitler in einem Unterstand in Le Barque durch einen Granatsplitter am linken Oberschenkel verwundet. Er kommt zunächst ins Lazarett in Beelitz bei Berlin. Am 1. Dezember 1916 entlassen, meldet er sich bei seiner Ersatzeinheit, dem 2. Infanterieregiment. Von dort schreibt er auf Ansichtskarten, die er offenbar aus Berlin mitgebracht hat, an seine Kameraden an der Front.

Dass die Postkarte bisher nicht bekannt war, hat einen einfachen Grund: Sie ist in Privatbesitz. Der Landshuter Hermann S. hatte sie von seinem Vater erhalten, der im Zweiten Weltkrieg einen Kriegskameraden mit Namen Lanzhammer hatte – ein Verwandter jenes Karl Lanzhammer, an den Hitler die Karte schrieb. Die beiden trafen sich in den 1950er-Jahren häufig. Von diesem Lanzhammer erhielt der Vater des jetzigen Besitzers diese Ansichtskarte als Geschenk.

An der Authentizität gibt es keinen Zweifel, zumal Hitler mindestens zwei weitere Karten an Lanzhammer schrieb, so am 4. November 1916 sowie am 19. Dezember 1916 (Poststempel), auf der er ebenfalls über die Zahnbehandlung berichtet – man kennt sie schon länger. Auch auf einer Karte an den Meldegänger Balthasar Brandmayer, auch vom 21. Dezember 1916 klagt Hitler sein Leid: „Sitze jetzt meist mit geschwollenen Backen zwischen meinen vier Mauern und denke oft an Euch ... Leide an Hungertyphus da ich kein Brot beißen kann, außerdem man mir jede Marmelade hartnäckig verweigert.“

Der Adressant Karl Lanzhammer war wie Hitler Meldegänger beim 16. Bayerischen Reserveinfanterie-Regiment, das sich nach dem verstorbenen ersten Kommandanten auch „Regiment List“ nannte. Lanzhammer war 1916 Radfahrer beim Regimentsstab, wurde 1917 zur Fliegerausbildung nach Oberschleißheim abkommandiert. Dort stürzte er am 15. März 1918 (nach anderen Angaben am 16. März) tödlich ab, er war erst 21 Jahre alt.

Der Inhalt der Postkarte ist aufschlussreich: Er zeigt, wie gerne Hitler Soldat war. Die meisten Soldaten hätten die Chance genutzt, von der Front wegzukommen. Sie hätten versucht, nach Hause zu fahren, zu den Eltern oder der Familie. Nicht so Hitler. Der deutsch-britische Historiker Thomas Weber erklärt das so: „Hitler fühlte sich nicht wohl in München, da er die Einstellung der Bevölkerung zum Krieg verabscheute“, schreibt er. Er sehnte sich nach der Rückkehr an die Front, zum Hilfsstab des Regimentshauptquartiers.“ Hitler lag dabei nicht an vorderster Front im Graben, sondern etwas entfernt in zweiter oder dritter Reihe. Gefährlich war seine Aufgabe gleichwohl. 

19 Zähne seien ihm gezogen worden, behauptet Hitler. Das kann nicht stimmen. Wie über alles von Hitler, so gibt es auch zu „Hitlers Leibzahnarzt“ (er hieß Johannes Blaschke) eine Studie. Eine Düsseldorfer Zahnärztin hat sie 2007 als Doktorarbeit an der Zahnmedizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf geschrieben. Leibzahnarzt Blaschke hat den Zahnstatus mehrmals aufgezeichnet. Demnach hat Hitler bis zu seinem Suizid 1945 maximal 16 Zähne verloren. Ein Zahn wurde erst 1944 gezogen, bleiben maximal 15 Zähne, die Hitler 1916 verloren haben konnte. Nicht 19. Dennoch muss das ein gewaltiger operativer Eingriff gewesen sein. 

Über die Gründe kann man nur spekulieren. Hitler mochte bekanntermaßen Süßspeisen – „Kartoffelpuffer mit Marmelade und Tee – Hitlers Lieblingsspeise“, schrieb Kamerad Brandmayer 1933 über Hitler. Dazu kam, dass die Zahnhygiene an der Front miserabel war. Karies war weit verbreitet, frühzeitig wurden Zähne gerissen. Dass man mit 30 Jahren ein Gebiss trug, war Anfang des 20. Jahrhunderts keine Seltenheit. Die zentrale Rolle für das Reißen vieler Zähne, die damals geradezu in Mode kam, spielte die „Herdtheorie“. Demnach konnte „ein kranker Zahn (größere kariöse Läsionen bis hin zu Pulpitiden, Wurzelhautentzündungen, Wurzelgranulomen, Abszessen) von Einfluss oder gar die unmittelbare Ursache von Allgemeinerkrankungen sein“, erklärt Prof. Caris-Petra Heidel vom Institut für Geschichte der Medizin an der Universität Dresden. „Als Therapie der Wahl galt die Zahnextraktion, die zum Teil sehr großzügig gehandhabt wurde.“

Dass die Zahnbehandlung von Soldaten ein schwieriges Feld war, zeigen Dokumente aus den Akten des Sanitätsamtes des Stellvertretenden Generalkommandos des I. Armeekorps in Südbayern, die im Bayerischen Kriegsarchiv in München aufbewahrt werden. So monierte das Kriegsministerium am 23. August 1916 in einem Erlass: „Die Gewährung von Zahnersatz erscheint in einer großen Zahl von Fällen überflüssig“, insbesondere wenn nur drei bis vier Zähne gerissen wurden. Ohnehin bereite der Zahnersatz Probleme: „An künstliche Gebisse müssen sich die Leute oft monatelang gewöhnen. Vielfach scheinen sie die Geduld zu verlieren und das teure Ersatzstück schließlich überhaupt nicht zu tragen, zumal sich erfahrungsgemäß in der ersten Zeit hier und da lästige schmerzhafte Druckstellen im Munde bemerkbar machen.“

Hitler berichtete in einer weiteren Postkarte an seinen Kameraden Brandmayer am 28. Dezember 1916, dass es ihm langsam besser gehe. Im März 1917 kehrte er zu seiner Fronteinheit zurück. Vermutlich hatte er zuvor einen Zahnersatz erhalten. Wie er damit zurecht kam, ob er Beschwerden hatte, bleibt offen.

Hitler, der Soldat, kämpfte im Sommer wie hundertausende andere gegen die britische Flandernoffensive und ein Jahr später an der zweiten Schlacht an der Marne, bei der sein Regiment hohe Verluste erlitt. Hitler überlebte. Aber er wurde neuerlich verwundet. In der Nacht vom 13. auf 14. Oktober 1918 wurde er bei einem Senfgasangriff in der Nähe von Ypern verletzt – und kam in ein Lazarett in Pasewalk bei Stettin in Pommern. „Für ihn war der Krieg vorbei“, schreibt der britische Hitler-Biograph Ian Kershaw. „Als Hitler in Pasewalk aus der zeitweiligen Erblindung erwachte, erfuhr er die erschütternden Nachrichten von Niederlage und Revolution“ – was er später als „die größte Schandtat des Jahrhunderts“ bezeichnete. 

Erst 1933 übrigens wurden Hitlers Zahnprobleme dauerhaft beseitigt. Er erhielt eine Oberkieferbrücke aus reinem Gold, wie sein Leibzahnarzt Blaschke 1954 aussagte. 

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