Rudolf Schulten
*
16. August 1923 in
Oeding
†
27. April 1996 in
Aachen
ABCD
Deutscher Physiker und Nukleartechnologe.
Schulten entwickelte den Kugelhaufen-Kernreaktor
.
Schulten wurde als Kaufmannssohn in Oeding, Kreis Ahaus/Westfalen, geboren. Von 1945 bis 1949 studierte er Physik und Mathematik an der Universität Bonn und promovierte 1952 bei Prof. Heisenberg
in Göttingen über Fragen der Kernphysik. Ab 1953 beschäftigte er sich mit Fragen der Atomtechnik, zuerst bis 1956 am Max-Planck-Institut
in Göttingen, dann als technischer Geschäftsführer der Firma Brown, Brown/Krupp Reaktorbau GmbH
in Mannheim. Ab 1955 war Schulten mit der Planung des ersten deutschen
Kernreaktors bei der 1956 gegründeten Reaktorbau- und -betriebsgesellschaft mbH in Karlsruhe
betraut. Schulten, der 1961 einen Lehrauftrag an der TH Karlsruhe übernommen hatte,
war seit 1964 Ordinarius für Reaktortechnik an der Technischen Hochschule
in Aachen und Direktor am Institut für Reaktorentwicklung des
Kernforschungszentrums Jülich (FZJ) .
Schulten
wurde 1989 emeritiert. Schulten konnte bei der Entwicklung eines Kernkraftwerks mit Kugelhaufenreaktor das
AVR-Versuchskernkraftwerk und das Prototypkernkraftwerk THTR, die beide seine Handschrift tragen, realisieren. Nicht möglich war es ihm, das
den Kugelhaufenreaktor bis zur Marktreife zu entwickeln. Die überregionalen Elektrizitätsversorgungsunternehmen in Deutschland, allen voran die RWE AG unter Heinrich
Mandel , hatten sich zu Anfang der 1960er Jahre mit dem Leichtwasserreaktor
angefreundet, vor allem wegen seiner damals vergleichsweise günstigen Anlagekosten. Bis zu seinem Tod 1996 unterstützte Schulten das Engagement für den Kugelhaufenreaktor außerhalb Deutschlands. Ab 1956 wurde von der Kraftwerksindustrie unter Schultens Leitung der AVR-Kugelhaufenreaktor
geplant und gebaut. Der Reaktor hatte eine elektrische Nettoleistung von 13
Megawatt und wurde in Jülich unmittelbar benachbart zum Gelände des FZJ ab 1961 von BBC und
Krupp errichtet, auf fast rein industrieller Basis, allerdings mit finanziellen Zuschüssen der Bundesregierung. 1966 wurde der AVR-Reaktor erstmals kritisch, 1967 speiste das Kraftwerk erstmals Strom in das öffentliche Netz. Bauherr und Betreiber war ein Konsortium aus lokalen Elektrizitätsversorgern unter Führung der Stadtwerke Düsseldorf, welche dazu 1957 die AVR GmbH gegründet hatten.
Die Baukosten betrugen etwa 100 Mio DM. Die AVR war bis 2003 zwar formal eine eigenständige Gesellschaft, de facto aber ab ca. 1970 abhängig vom FZJ: Das FZJ zahlte hohe Betriebskostenzuschüsse an die AVR GmbH, um den Weiterbetrieb zu sichern, da der im
Reaktor erzeugte Strom nur einen kleinen Teil der Betriebskosten deckte.
Das FZJ war Eigentümer der AVR-Brennelemente. In den ersten Jahren wurde der AVR mit Kühlgasaustrittstemperaturen von 650 °C bis 850 °C, von Februar 1974 bis Ende 1987 nominell bis 950 °C
betrieben. Sie sollten die Reaktor-Eignung für Kohlevergasung demonstrieren.
Der geplante elektrische Wirkungsgrad von 38 % konnte trotz der erzielten hohen Gastemperaturen nicht erreicht werden
(nur 29 %). Die geplante Umwandlung des AVR-Reaktors in eine Anlage zur
Kohlevergasung wurde nicht bewilligt. Nach 21 Betriebsjahren wurde der Reaktor am 31. Dezember 1988 abgeschaltet.
Das Stillegungskonzept wurde in den Folgejahren von „Sicherer Einschluss“ über „Entkernung“ in „vollständiger Abbau“ geändert. Nachdem am Versuchsreaktor AVR (Jülich) das Funktionsprinzip des Hochtemperaturreaktors in Kugelhaufen-Bauweise erprobt worden war, wurde
in Hamm-Uentrop
der THTR-300
als Prototyp für die kommerzielle Nutzung von Hochtemperaturreaktoren gebaut.
Bauherr des THTR-300 war die 1968 gegründete HKG Hochtemperatur-Kernkraftwerk GmbH
Hamm-Uentrop, deren Muttergesellschaften 6 mittelgroße und kleinere regionale Elektrizitätsversorger waren.
Der Reaktor wurde 1983 versuchsweise in Betrieb genommen, 1987 an den Betreiber übergeben und im September 1989 aus technischen, sicherheitstechnischen und wirtschaftlichen Überlegungen nach nur 423 Tagen Vollastbetrieb endgültig stillgelegt. Die Kugelbrennelemente
des THTR-300
waren brennbar (Entzündungstemperatur ca. 650 °C), und ein Unfall mit
Luft- oder Wasser-zutritt in den Reaktor hätte einen Graphitbrand mit hoher Radioaktivitätsfreisetzung zur Folge
gehabt.
Insgesamt wurden nach Betriebsende des Reaktors 25.000 beschädigte Brennelemente gefunden, das waren tausendmal mehr als für einen 40-jährigen Betrieb erwartet worden war. 1988 musste der Reaktor jeweils nach sechs Wochen Betrieb für mindestens eine Woche abgeschaltet und kaltgefahren werden, um defekte Brennelemente aus dem Sammelbehälter zu entfernen.
Die Baukosten stiegen von 1968 geschätzten 300–350 Mio DM und zu Baubeginn angegebenen 690 Millionen auf schließlich mehr als vier Milliarden Mark.
Der Reaktor selbst wurde bis 1997 in den sogenannten „sicheren Einschluss“ überführt und verursacht weiter Kosten in Höhe von 6,5 Mio. Euro jährlich.
Frühestens 2027, nach Unterschreiten der relevanten Grenzwerte, kann endgültig mit dem Abriss begonnen werden, für den ca. 20 Jahre
und Kosten von 1 Mrd Euro veranschlagt werden.
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