Vor Gericht sind
alle gleich
Am 5. März 2014 wurden den
Ermittlern in der Sache der früheren Fußballmanagers Uli
Hoeneß
zwei USB-Sticks übergeben, die 70.000 Seiten Unterlagen der Bank Vontobel
über
52.000 Transaktionen von Hoeneß enthielten. Bis zum Prozessbeginn am 10. März hatten die
Steuerfahnder nur drei Arbeitstage, um das Material zu untersuchen. Der Ausgang des Prozesses
gegen Hoeneß am 13. März 2014 ist bekannt. Doch viele Fragen blieben unbeantwortet. Wie konnte
Hoeneß unerkannt 35 Jahre lang in gewaltigen Dimensionen Steuern hinterziehen? Woher
kam das viele Geld? Weshalb wollte das Gericht diesen Fragen nicht nachgehen?
Warum wurde ein Zeuge, der anonym bleiben wollte, nicht vernommen? Weshalb wurde
der Prozess nicht verschoben, sondern auf die Schnelle durchgepeitscht?
Hoeneß war am Zürcher Bankenplatz der
bekannteste deutsche Trader. Schon 1975 richtete er in Zürich sein erstes Konto bei der Bank Vontobel
ein. Bei dieser war Jürg Hügli der Schlüsselmann für den Kunden Hoeneß. Hügli
rückte 1990 ins Spitzenmanagement der Bank Vontobel auf. Nahezu täglich telefonierten
beide miteinander. 2001 trafen auf dem Hoeneß-Konto fünf Millionen Schweizer Franken ein, die
Hoeneß später als Leihgabe seines Freundes, des Adidas-Chefs Robert Louis-Dreyfus
,
erklärte. Dreyfus
soll ihm eine zusätzliche Bürgschaft in Höhe von 15 Millionen Euro gegeben haben.
Im Herbst des folgenden Jahres begann Hoeneß an einem immer größeren Rad zu
drehen, er setzte in Termingeschäften und mit Tagesdeals oftmals dreistellige Millionenbeträge ein. Er musste
hierfür über hohe Eigenmittel verfügen, die als Sicherheit in einem Depot lagen.
2003 erwirtschaftete Hoeneß auf den Vontobel-Konten 52 Millionen Euro Gewinn, 78 Millionen
Euro Gewinn im Jahr 2005. Anders als er vor Gericht behauptete, musste Hoeneß am Telefon jede Order
persönlich durchgeben. Händler Hügli nahm oft zehn Aufträge am Tag entgegen, jeder davon bedeutete einen Kauf und einen Verkauf. So summierte sich die Zahl der Transaktionen während einer Dekade auf
52.000. Allein an einem Tag waren es 110 Millionen Euro gegen Dollar oder 190 Millionen Yen gegen Dollar. Insgesamt sieben Deals hatte er an diesem Tag offen – im Gesamtvolumen von 450 Millionen Franken plus 190 Millionen Euro. Und nebenbei machte
Hoeneß noch Geschäfte mit Aktien, Wertpapieranleihen oder Leerverkäufen. Im Dezember 2008 schloss die Bank ein Termingeschäft von
Hoeneß ab, das ihm 18 Millionen Franken Verlust einbrachte.
Am Montag, 14. Januar 2013 stellte ein 'Stern'-Reporter bei der Vontobel-Bank «dumme Fragen».
Am Dienstag, 15. Januar 2013, wurde Hoeneß in Berlin zum Frühstück von seinem Freund Hans-Ulrich Jörges
aus der Stern-Chefredaktion davon unterrichtet, dass am nächsten Tag ein
Bericht über Steuerhinterziehung in der Schweiz erscheinen würde. Bei einem Mittagessen mit Angela Merkel
am gleichen Tag erfuhr Hoeneß, dass aus dem von ihr geplanten Steuerabkommen
mit der Schweiz nichts werden würde. Noch am Nachmittag alarmierte
Hoeneß seinen Steuerberater. Der holte ihn am Flughafen München ab und fuhr mit ihm nach
Hause zum Tegernsee, um den Fall zu beraten. Es wurde für Hoeneß' eine Selbstanzeige
aufgesetzt, die am frühen Morgen des 17. Januar 2013 bei der Bußgeld- und Strafsachenstelle in Rosenheim
eingereicht wurde. Das Finanzamt verneinte eine gültige Selbstanzeige und leitete die Steuerakte
an die Staatsanwaltschaft München II weiter, die noch im Januar 2013 ein Verfahren
gegen Hoeneß wegen Steuerhinterziehung aufnahm.
Am Freitag, 18. Januar, musste ein Mitarbeiter die elektronisch archivierten Dokumente zum Kunden
Hoeneß in eine Datei packen und auf USB-Sticks sichern, eine schnell zu
erledigende Sache. Am 20. März 2013 durchsuchte die Staatsanwaltschaft Hoeneß’ Haus am Tegernsee. Er wurde vorläufig festgenommen, der mit Fluchtgefahr begründete Haftbefehl gegen Leistung einer Sicherheit von fünf Millionen Euro kurz darauf jedoch außer Vollzug gesetzt. Gleichzeitig wurden Hoeneß’ Büroräume beim FC Bayern München
durchsucht.
Am 20. April 2013 wurden die Ermittlungen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung durch eine Vorabmeldung des Magazins Focus öffentlich
bekannt. Wegen Verletzung des Steuergeheimnisses erstattete Hoeneß Strafanzeige gegen
Unbekannt. Ebenfalls am 20. April 2013 bestätigte Hoeneß die Existenz des Kontos, widersprach jedoch der Größenordnung der
geschätzten Einlagen. Trotz viermaliger Fristsetzung durch die Steuerfahnder zum
Einreichen seiner Vontobel-Bank-Dokumente (letztmalig am 13. Januar 2014) lieferte Hoeneß
nichts, obwohl er seit dem 18. Januar 2013 im Besitz aller Daten war.
Während Hoeneß ausdauernd mauerte, hatte sich die Lage zugespitzt. Ein unbekannter Zeuge, der bereits im Sommer 2013 aufgetaucht war, kam erneut ins Spiel. Damals hatte sich aus Mainz der Anwalt Volker Hoffmann
gemeldet und sachdienliche Hinweise angekündigt, er vertrat eine Schweizer Auskunftsperson, die auspacken wollte, aber um Anonymität gebeten hatte. Im August 2013 verhandelte Hoffmann bei einem Treffen mit der Staatsanwaltschaft über ein
Verfahren, wie sein Klient unter Quellenschutz aussagen könnte.
Das bayerische Justizministerium war in den Fall eingeschaltet. Weder Staatsanwälte noch die Beamten im Justizministerium fanden einen Weg, den Informantenschutz
zu gewährleisten.
Strafverteidiger Hoffmann gab dennoch nicht auf. Er insistierte, sein Klient wolle aussagen.
Hoffmanns letztmalige Eingabe bei der Staatsanwaltschaft erfolgte am 24. Februar
2014, zwei Wochen vor Prozessbeginn. Danach
änderte sich plötzlich die Strategie der Hoeneß-Verteidiger. Es drohten weitere Enthüllungen, der Zeuge hätte gegenüber der Presse auspacken können. Klar war nun auch, dass die hohen Summen
(die Hoeneß und seinen Verteidigern seit dreizehn Monaten in allen Details
bekannt waren) auf den Tisch mussten. Eine Bewährungsstrafe war nicht mehr vertretbar.
Am 5. März 2014 übergaben Hoeneß' Verteidiger den Steuerfahndern endlich - wie oben
erwähnt - zwei USB-Sticks mit den 70.000 Seiten aus der Vontobel-Bank. Allen
Beteiligten war klar, dass diese Informationsmengen in den verbleibenden drei
Arbeitstagen bis zum
Prozessbeginn am 10. März nicht ausgewertet werden konnten. Hoeneß' Richter Rupert Heindl
verschob den Prozesstermin trotzdem nicht. Hoeneß Anwälte verzichteten auf jede nennenswerte
Verteidigung. Das vorgesehene
Hau-ruck-Verfahren konnte deshalb mit Zustimmung aller Beteiligten schnellstens
über die Bühne gebracht werden. Entsprechende Deals wurden mit großer
Wahrscheinlichkeit zuvor vereinbart.
Weder Staatsanwalt noch Richter erwähnten den anonymen Zeugen, der den Fall in
seinem gesamten Umfang hätte aufklären können. Mit einem Wort: Der Gerichtssaal war nicht der Ort der Wahrheit. Nach
Abschluss des Verfahrens gegen Hoeneß zeigte sich, dass entgegen den bisherigen
Informationen Hoeneß neben einem Händler bei der
Zürcher Bank Vontobel mindestens zwei weitere Banken für seine Spekulationsgeschäfte hatte, unter ihnen das Schweizer Haus Julius
Bär . Vontobel schloss
Kooperationsverträge mit anderen Banken, weil der Devisenhandel des Hauses zu klein ist, um Kunden
wie Hoeneß auch nachts zu
bedienen. Hoeneß zockte fast rund um die Uhr. Ihm standen zeitweilig Summen von
200 Millionen Euro zur Verfügung. Vielleicht sind von dem bisher noch
schweigsamen anonymen Zeugen in Zukunft weitere interessante Dinge aus dem
Umfeld der Causa Hoeneß zu erfahren, wenn tragische unvorhergesehene Umstände
diesen Zeugen nicht zuvor definitiv zum Schweigen bringen sollten.
ABCD
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