Unabhängige
Justiz oder wie sich Herrn Gaucks Wünsche erfüllen
Im Sommer 1944 waren die deutschen Streitkräfte in
Italien auf dem Rückzug. Die Front war bis in die Toskana vorgerückt. Mehr und mehr
Italiener schlossen sich dem bewaffneten Widerstand an, um völkerrechtswidrig als Partisanen gegen die
Deutschen vorzugehen. Die bewaldeten Berge der Toskana boten dafür Schutz und ideale
Bedingungen. Partisanengruppen verübten in zunehmendem Maße Anschläge gegen die deutschen Truppen.
Die Region der Apuanischen Alpen um Sant’Anna di Stazzema war für die deutschen Truppen eine wichtige Bastion, um
den Vormarsch der Alliierten aufzuhalten.
Deswegen gab es den Befehl, gefangene Partisanen zu exekutieren und Zivilisten, die diese unterstützten, als Geiseln
zu erschießen. Viele Bewohner in den toskanischen Bergdörfern versorgten die Partisanen mit Nahrungsmitteln und Informationen,
besonders in der Gegend um Sant’Anna di Stazzema. Das kleine, abgelegene und nur über Saumpfade erreichbare Dorf nahm mehrere Hundert
Partisanen auf. Im Sommer 1944 vervierfachte sich die Bevölkerung auf etwa 1.500 Menschen.
Im Morgengrauen des 30. Juli 1944 kam es beim Monte Ornato zwischen Partisanen und deutschen Truppen zu einem Gefecht, das in einem Rückzug der
Deutschen endete. Die Partisanen bewegten sich weiter landeinwärts Richtung
Lucca. Am 5. August befahlen die Deutschen die Evakuierung des Dorfes Sant’Anna di
Stazzema. Dem Befehl wurde keine Folge geleistet. Viele Partisanen wüteten in Uniformen der
Wehrmacht und der SS. Am 12. August 1944 kam es zu einer Repressalie der SS in Sant`Anna di Stazzema,
bei der zahlreiche Menschen umkamen. SS-Sturmbannführer Walter Reder meldete an die militärische Führung, man habe
270 Banditen niedergemacht.
Sant`Anna war jahrzehntelang vergessen,
der Fall wurde erst 2004 durch einen Prozess vor dem Militärgericht von La Spezia
behandelt. Zehn noch lebende Deutsche wurden in Abwesenheit zur Höchststrafe verurteilt. Zu einem Prozess in Deutschland
kam es nicht. Am 1. Oktober 2012 beschloss die Staatsanwaltschaft Stuttgart, die Ermittlungen einzustellen und kein Verfahren zu eröffnen.
Sie teilte mit, den Beschuldigten könne keine noch nicht verjährte strafbare Beteiligung nachgewiesen werden.
Am 24. März 2014 reiste BDR-Präsident Joachim Gauck gemeinsam mit dem italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano nach Sant`Anna di
Stazzema. Dort sagte Gauck, es verletze sein Empfinden für Gerechtigkeit tief, wenn
die Täter nicht bestraft werden können, weil die Instrumente des Rechtsstaates dieses nicht
zuließen, denn es gebe nicht nur eine strafrechtliche, sondern auch eine politische Schuld. „Wir, die Öffentlichkeit, nennen die Schuld Schuld“, sagte Gauck unter
Beifall.
Mit Urteil vom 5. August 2014 (3 Ws 285/13)
hob das OLG Karlsruhe die Einstellung der staatsanwaltlichen Ermittlungen in
Stuttgart nicht nur auf, sondern ordnete auch die Weitergabe der Unterlagen nach Hamburg
an. Im Fall des 93-jährigen Gerhard Sommer bestehe hinreichender Tatverdacht, seine Verurteilung wegen Mordes oder Beihilfe zum Mord sei wahrscheinlich. Dass Sommer nicht verhandlungsfähig sei, habe sich entgegen einem früheren gerichtsmedizinischen Gutachten
nicht bestätigt. Sommer, der seit Jahrzehnten unbehelligt in Hamburg-Volksdorf lebt,
gehört zu den in Italien zu lebenslanger Haft Verurteilten, wurde aber als Deutscher nicht ausgeliefert.
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