Freitag, 8. August 2014

Unabhängige Justiz oder wie sich Herrn Gaucks Wünsche erfüllen

Im Sommer 1944 waren die deutschen Streitkräfte in Italien auf dem Rückzug. Die Front war bis in die Toskana vorgerückt. Mehr und mehr Italiener schlossen sich dem bewaffneten Widerstand an, um völkerrechtswidrig als Partisanen gegen die Deutschen vorzugehen. Die bewaldeten Berge der Toskana boten dafür Schutz und ideale Bedingungen. Partisanengruppen verübten in zunehmendem Maße Anschläge gegen die deutschen Truppen. Die Region der Apuanischen Alpen um Sant’Anna di Stazzema war für die deutschen Truppen eine wichtige Bastion, um den Vormarsch der Alliierten aufzuhalten.

Deswegen gab es den Befehl, gefangene Partisanen zu exekutieren und Zivilisten, die diese unterstützten, als Geiseln zu erschießen. Viele Bewohner in den toskanischen Bergdörfern versorgten die Partisanen mit Nahrungsmitteln und Informationen, besonders in der Gegend um Sant’Anna di Stazzema. Das kleine, abgelegene und nur über Saumpfade erreichbare Dorf nahm mehrere Hundert Partisanen auf. Im Sommer 1944 vervierfachte sich die Bevölkerung auf etwa 1.500 Menschen.

Im Morgengrauen des 30. Juli 1944 kam es beim Monte Ornato zwischen Partisanen und deutschen Truppen zu einem Gefecht, das in einem Rückzug der Deutschen endete. Die Partisanen bewegten sich weiter landeinwärts Richtung Lucca. Am 5. August befahlen die Deutschen die Evakuierung des Dorfes Sant’Anna di Stazzema. Dem Befehl wurde keine Folge geleistet. Viele Partisanen wüteten in Uniformen der Wehrmacht und der SS. Am 12. August 1944 kam es zu einer Repressalie der SS in Sant`Anna di Stazzema, bei der zahlreiche Menschen umkamen. SS-Sturmbannführer Walter Reder meldete an die militärische Führung, man habe 270 Banditen niedergemacht.

Sant`Anna war jahrzehntelang vergessen, der Fall wurde erst 2004 durch einen Prozess vor dem Militärgericht von La Spezia behandelt. Zehn noch lebende Deutsche wurden in Abwesenheit zur Höchststrafe verurteilt. Zu einem Prozess in Deutschland kam es nicht. Am 1. Oktober 2012 beschloss die Staatsanwaltschaft Stuttgart, die Ermittlungen einzustellen und kein Verfahren zu eröffnen. Sie teilte mit, den Beschuldigten könne keine noch nicht verjährte strafbare Beteiligung nachgewiesen werden. 

Am 24. März 2014 reiste BDR-Präsident Joachim Gauck gemeinsam mit dem italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano nach Sant`Anna di Stazzema. Dort sagte Gauck, es verletze sein Empfinden für Gerechtigkeit tief, wenn die Täter nicht bestraft werden können, weil die Instrumente des Rechtsstaates dieses nicht zuließen, denn es gebe nicht nur eine strafrechtliche, sondern auch eine politische Schuld. „Wir, die Öffentlichkeit, nennen die Schuld Schuld“, sagte Gauck unter Beifall.

Mit Urteil vom 5. August 2014 (3 Ws 285/13) hob das OLG Karlsruhe die Einstellung der staatsanwaltlichen Ermittlungen in Stuttgart nicht nur auf, sondern ordnete auch die Weitergabe der Unterlagen nach Hamburg an. Im Fall des 93-jährigen Gerhard Sommer bestehe hinreichender Tatverdacht, seine Verurteilung wegen Mordes oder Beihilfe zum Mord sei wahrscheinlich. Dass Sommer nicht verhandlungsfähig sei, habe sich entgegen einem früheren gerichtsmedizinischen Gutachten nicht bestätigt. Sommer, der seit Jahrzehnten unbehelligt in Hamburg-Volksdorf lebt, gehört zu den in Italien zu lebenslanger Haft Verurteilten, wurde aber als Deutscher nicht ausgeliefert.

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