Samstag, 19. Juli 2014

Hans Böhm, der Pauker von Niklashausen 

* um 1458 in Helmstadt
† 19. Juli 1476 auf dem Schottenanger in Würzburg

Im Frühjahr 1476 rief der Viehhirte Hans Böhm* aus Helmstadt die Menschen zur Wallfahrt nach Niklashausen
auf.
Er versprach den Wallfahrern im Namen der Jungfrau Maria vollkommenen Ablass von ihren Sünden. Außerdem verkündete er die soziale Gleichheit der Menschen, Gemeineigentum und Gottes Strafgericht über die Eitelkeit im Allgemeinen und die unersättliche Gier der Fürsten und hohen Geistlichkeit im Besonderen. Jeder solle seinen Lebensunterhalt mit eigner Hände Arbeit verdienen und brüderlich mit den Bedürftigen teilen. Standesunterschiede, Abgaben und Frondienste seien abzuschaffen. Der private und hoheitliche Besitz an Feldern, Wiesen, Weiden, Wäldern und Gewässern seien in Gemeineigentum zu überführen. Diese Visionen begeisterten das Volk und lockten immer mehr Wallfahrer an. In drei Monaten kamen mehr als 70.000 Menschen nach Niklashausen. Die Stadt Würzburg zum Vergleich hatte damals etwa 5.000 Einwohner. Auf Befehl des Würzburger Fürstbischofs Rudolf II. von Scherenberg wurde Böhm in der Nacht zum 13. Juli verhaftet, im Schnellverfahren als Ketzer zum Tode verurteilt und am 19. Juli 1476 in Würzburg auf dem Scheiterhaufen verbrannt.  
      
Böhm kam aus sehr armen Verhältnissen und musste schon als Kind seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten. Als Hütejunge erlebte er von klein auf die Rechtlosigkeit, unter der sich Besitzlose im Spätmittelalter verdingten. An Sonn- und Festtagen kam der Junge unters Volk, schnappte in der Kirche und in Wirtshäusern auf, was die Erwachsenen im unteren Maintal
über Gott und die Welt redeten, über die Not der einfachen Menschen, die Ketzereien der Hussiten und die Todsünden der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit. Beim Viehhüten dachte er über die Lebensverhältnisse
nach und malte sich im Geiste eine gottgefälligere, bessere Weltordnung aus.  


Das änderte sich erst zur Fastenzeit 1476, als er in jugendlicher Schwärmerei; zeitgenössische Quellen beschreiben ihn als Jüngling, fast noch ein Kind – den Entschluss fasste, in Niklashausen als Prediger aufzutreten. Zwei Erweckungserlebnisse sind überliefert, nach denen Böhm seine Predigerlaufbahn einschlug. Beide erscheinen aus heutiger Sicht plausibel, auch wenn Böhm unter der Folter mal dieses und mal jenes zugab oder widerrief. In allen Predigten sprach Böhm über seine Marienerscheinungen. Allen kirchlichen Anklagen zum Trotz ergibt sich dazu
aus den Überlieferungen ein schlüssiges Szenario. Nach der Fastnacht 1476 kehrte Böhm auf die Weide zurück und schlug sein Nachtlager in einer
Höhle nahe bei der Herde auf. Seine Gedanken kreisten um die Ausgelassenheit der Fastnachtswoche, während Einsamkeit und Elend aus allen Ritzen der Höhle krochen. Er bereute in naiver Gottesfurcht sein sündiges Leben, schlief am Feuer ein, und im Traum erschien ihm die
Jungfrau Maria. Sie mahnte, schon bald komme ein Strafgericht Gottes über alle Sünder. Maria trug ihm auf, vor ihrem Kirchlein in Niklashausen die
Menschen zur Buße aufzurufen. Außerdem solle er verkünden, dass allen Gläubigen, die in Verehrung und Demut zum Gnadenbildnis der Mutter Gottes in das Kirchlein nach Niklashausen kämen, ebenso vollkommenen Ablass von ihren Sünden erhielten wie jene, die zum Heiligen Vater nach Rom pilgerten.


Die Aufforderung zur Marienwallfahrt nach Niklashausen und seine Botschaft von einer neuen Weltordnung breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Schon nach Wochenfrist kamen viele Wallfahrer aus der näheren Umgebung nach Niklashausen, um die Jungfrau Maria um Gnade zu bitten und die Botschaft
des jungen Predigers zu hören. Dieser verkündete, jeder solle sich zuerst von eigenen Sünden verabschieden, damit eine bessere Welt entstehe. Als sichtbares Zeichen der Sühne forderte er Schmuck, seidene Schnüre, Brusttücher, spitzige Schuhe und sonstigen Tand als Opfergaben.
Ein großer Teil der Opfergaben, wie Kleidungsstücke, Zöpfe, Haarnetze, Musikinstrumente, Spielzeug etc. gingen den Weg seiner Pauke, die er schon geopfert hatte.


Die Sachen wurden öffentlich auf den Scheiterhaufen geworfen und verbrannt. Nach diesen symbolischen Sühnebeweisen predigte er den Wallfahrern mit folgenden Leitgedanken ein neues Reich Gottes auf Erden: Der Habgier des Adels und der hohen Geistlichkeit drohe der baldige Untergang durch ein furchtbares Strafgericht Gottes. Jeder solle seinen Lebensunterhalt mit eigner Hände Arbeit verdienen und brüderlich mit den Bedürftigen teilen. Standesunterschiede, Abgaben und Frondienste seien abzuschaffen. Der private und hoheitliche Besitz an Feldern, Wiesen, Weiden, Wäldern und Gewässern seien in die Allmende
zu überführen.


Diese kommunistisch anmutenden Visionen begeisterten das Volk und lockten immer mehr Wallfahrer an. Anfangs predigte Böhm nur an Sonn- und Feiertagen und stieg dazu auf ein Fass oder einen umgestürzten Zuber. Allerdings war der bescheidene Rahmen der Niklashäuser Wallfahrt durch Böhm innerhalb weniger Wochen völlig aus den Fugen geraten. Nach Überlieferungen des Würzburger Geschichtsschreibers Lorenz Fries war bei Niklashausen im Juni 1476 ein riesiges Feldlager entstanden. Es soll gleichzeitig um die 40.000 Menschen beherbergt haben. Die Wallfahrer, überwiegend Männer, Frauen und Kinder aus der bäuerlichen Bevölkerung, kamen nicht nur aus dem unteren Maintal, sondern zunehmend aus ganz Franken, aus Schwaben, Bayern, aus dem Rheinland und sogar aus dem Elsass. 

 

Der zuständige Würzburger bischöfliche Rat hatte Mitte Juni ein paar routinierte, bibelfeste Glaubensbrüder nach Niklashausen entsandt, die den jungen Prediger vor der Menge als Scharlatan entlarven sollten. In mehreren Rededuellen stellte Böhm jedoch sein rhetorisches Können unter Beweis. Der Aufrichtigkeit und geschickten Argumentation des jungen Predigers, dem ein reisender Bettelmönch in theologischen Fragen Beistand leistete**, war keiner der gesandten Geistlichen gewachsen. Unter Hohn und Spott des Publikums flohen sie zur Berichterstattung Richtung Würzburg. 

 

Nach den in Würzburg einlaufenden Berichten über die Niklashäuser
Wallfahrt suchten Bischof Rudolf von Scherenberg und seine Räte Unterstützung bei den benachbarten Städten und Landesherren. Obwohl die Niklashäuser Wallfahrt augenscheinlich friedlich ablief, wurde in den Hilfeersuchen das Schreckgespenst eines bäuerlichen Aufruhrs heraufbeschworen. Mit den Spitzelberichten lagen ausreichende Gründe zum Eingreifen der Obrigkeit vor; es verging jedoch noch über eine Woche bis zur Verhaftung.


In der Nacht zum 13. Juli kamen – von den meisten Wallfahrern unbemerkt – 34 bischöfliche Reiter nach Niklashausen und nahmen, wie verabredet, die beiden Delinquenten (Böhm und seinen geistlichen Berater) heimlich gefangen. Während mehrerer peinlicher Befragungen erwies sich Böhm als Analphabet, der nur wenige lateinische Worte verstand und weder das Vaterunser noch das Glaubensbekenntnis aufsagen konnte. Er sagte sinngemäß folgendes aus: Er sei als Waisenkind ohne Familienangehörige in der Gemeinde aufgewachsen, habe von Kind an viele Menschen kennen gelernt, über die er aber nichts Böses zu berichten wisse. Bevor er in Niklashausen zu predigen begann, sei er in mehreren Dörfern als Viehhirte zu Diensten gewesen und habe auch öfters die Pauke geschlagen. Er habe stets seine Sünden gebeichtet und sei sich keiner offenen Schuld bewusst. Er glaube an die heilige Dreifaltigkeit und an die Jungfrau Maria, die ihm auf der Weide erschienen sei. Sie habe ihm aufgetragen, zu ihrem Gnadenbild nach Niklashausen zu kommen und zu den Menschen zu sprechen.


Böhm war nur ein außergewöhnlich charismatischer Laienprediger, der seine Wirkung auf die Menschen wohl sah, damit aber (noch) keine konkreten Ziele verfolgt hatte. Der gewaltige Massenauflauf in Niklashausen war tatsächlich nur eine Wallfahrt. Diese einfachen Wahrheiten waren jedoch nach dem Aufsehen, das der Mainzer und Würzburger Klerus bei den umliegenden Landesherren erregt hatte, nicht mehr vermittelbar, es sei denn, man gab
sich allgemeiner Lächerlichkeit preis. Deshalb musste schnellstens das Urteil über den „Pauker von Niklashausen“ gesprochen und vollstreckt werden.

 

Als die Wallfahrer am Morgen des 13. Juli von der Verhaftung ihres „Heiligen Jünglings“ und „Propheten“ erfuhren, herrschte große Verwirrung. Da zunächst niemand wusste, wohin Böhm entführt worden war und was nun geschehen sollte, machten sich viele Wallfahrer auf den Heimweg. Im Feldlager der Wallfahrer gab es keinerlei Anzeichen für einen drohenden bewaffneten Aufstand, den Böhm angeblich für den 14. Juli vorhatte. Im Laufe des Tages verbreitete sich die Nachricht, Böhm werde im Würzburger Schloss gefangen gehalten. Bis zum Abend sammelten sich 16.000 Wallfahrer und marschierten, christliche Lieder singend, nach Würzburg. Durch die Nacht trugen sie weithin sichtbar 400 große, brennende Votivkerzen, die sie dem Gnadenbild Marias stiften wollten.

Am frühen Morgen des 14. Juli trafen die Wallfahrer vor dem Würzburger Schloss ein, der heutigen Festung Marienberg, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Des Fürstbischofs Hofmarschall war ihnen in Begleitung bewaffneter Knechte entgegen geritten und versperrte den Ankommenden den Weg über den Main und in die Stadt Würzburg. Er sorgte dafür, dass die überraschten und neugierigen Würzburger Bürger in der Stadt blieben und das Geschehen nur aus der Ferne beobachten konnten. Beim Zusammentreffen mit den Wallfahrern erkundigte sich der Hofmarschall nach dem Grund und dem Fortgang der ausufernden Prozession und nahm Verhandlungen mit einigen gebildeten und streitbaren Wortführern der Wallfahrer auf. Diese forderten vom Hofmarschall unter Drohungen die Herausgabe des „Heiligen Jünglings“. Mit der Botschaft, dass die Wallfahrer mit Gesängen und Fürbitten ausharren wollten, bis der „Heilige Jüngling“ und „Prophet“ wieder unter ihnen sei, zog sich der Hofmarschall ins Schloss zurück.

Im Schloss hatte niemand mit einem solchen Massenprotest gerechnet. Aber die Wallfahrer waren in der Mehrzahl standesgemäß unbewaffnete Bauern, die militärisch keine ernste Bedrohung darstellten. Da sich die Massenversammlung insgesamt friedfertig zeigte, begab sich ein Abgeordneter des Fürstbischofs zu den Wallfahrern. Er erklärte, dass sich Böhm als Untertan des Fürstbischofs im Schloss aufhalte und – wie die meisten der Wallfahrer auch – seinem kirchlichen und weltlichen Fürsten Gehorsam schulde. Die Tore hielte man vorsorglich geschlossen, da ein großes Gedränge zu befürchten sei, wenn die vielen Menschen ins Schloss wollten, und die Wälle seien bewehrt, um Unbesonnene am Eindringen zu hindern. Der Abgesandte forderte die Wallfahrer beschwichtigend auf, sich nicht ungebührlich gegen die weltliche und geistliche Obrigkeit zu empören und nach Hause zurückzukehren. Nach seinen beruhigenden Worten entspannte sich die Lage unterhalb des Schlosses zusehends. Ohne Argwohn löste sich die Menge in kleinere Gruppen auf und zog ab.

Danach nahm das Geschehen jedoch – für die Wallfahrer überraschend – eine gewalttätige, blutige Wendung. Von den Wällen des Schlosses feuerte man mit Kanonen auf die abziehenden Menschen, die in Panik flüchteten. Durch die Kanonade kamen einige Wallfahrer ums Leben kamen und viele wurden verwundet. Nach der Kanonade nahmen bischöfliche Reiter die Verfolgung auf, um aufsässige Wortführer zu fassen. Als sich die Verfolgten den Festnahmen widersetzten, sollen die Reiter insgesamt zwölf Männer erstochen und viele verwundet haben. Etwa 300 Männer wurden gefangen genommen. Bis auf zwei Bauern, die der Anführerschaft verdächtig waren, ließ man die meisten Gefangenen schon nach wenigen Tagen wieder frei.  

Schon am vierten Tag der Verhaftung Böhms wurde die Richtstätte vorbereitet. Gleichzeitig erhielten die Würzburger Bürger die Bekanntmachung, dass die Niklashäuser Wallfahrt und der Massenauflauf, den sie vor drei Tagen vor der Stadt erlebt hatten, Teufelswerk seien. Des Teufels Diener sei als Hauptschuldiger erkannt und gefasst. Ihn erwarte in drei Tagen die gerechte Strafe. Am Freitag, dem 19. Juli, wurde das Urteil über Böhm gesprochen. Er habe mit Teufels Hilfe Marienerscheinungen
vorgetäuscht und die ehrbaren Wallfahrer in Niklashausen durch seine Predigten verhext. Deshalb sei er unwiderruflich der Ketzerei schuldig und öffentlich auf dem Scheiterhaufen hinzurichten.


Zusammen mit den zwei Bauern, die am 14. Juli willkürlich aus einer Schar flüchtender Wallfahrer ergriffen worden waren, wurde er zur Richtstätte
auf dem linksmainischen Würzburger Schottenanger geführt. Um dem „Pauker von Niklashausen“ das Ausmaß seiner Schuld vor Augen zu führen, zwangen Richtknechte die beiden Bauern vor ihm auf die Knie, und er musste ihrer Enthauptung zusehen. Der fassungslose Jüngling wurde danach auf den
Scheiterhaufen geführt. Während die Flammen hochloderten, soll er mit heller Knabenstimme Marienlieder gesungen haben, bis Schmerz, Feuer und Rauch seine Stimme brachen und erstickten. Um den Ketzer vollständig von der Erde zu tilgen, wurde die Asche unter strenger Aufsicht in den Main gestreut.

 

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* auch als 'Pfeifer von Niklashausen“', 'Pfeiferhannes' oder 'Pfeiferhänslein' bekannt. Der Name Böhm, im Spätmittelalter meist Behem, Beheim oder Böheim geschrieben, deutet an, dass die Vorfahren des Hans Behem aus Böhmen stammten. Während der Hussitenkriege von 1415 bis 1435 waren viele Kriegsflüchtlinge aus Böhmen ins Frankenland gekommen. Die meisten dieser Behem mussten als arme Habenichtse ihr Leben am unteren Ende der ständischen Ordnung neu einrichten.

 

** Der Bettelmönch bezog sich in seiner Unterweisung Böhms vor allem auf den später heilig gesprochenen Wanderprediger Johannes Capistranus , der zuvor schon wie Böhm Bauern, Bürger und Adlige dazu überredet hatte, als Buße Spiele, Bücher und Luxusgegenstände öffentlich auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen und reichlich Opfergaben zu spenden.
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