Stand vom Mai 2006
Wolfgang Geier (obem), damals 51 Jahre alt, Leitender Kriminaldirektor, ist der Chef der Nürnberger Kripo, der Chef von 60 Ermittlern der Soko "Bosporus", die jeden Tag an nichts anderem arbeiten als an diesem Fall: Eine der größten Sonderkommissionen, die es je in
der BDR gab. Die Opfer sind fast ausschließlich türkische Kleinhändler: Döner-Verkäufer, Obsthändler, Schlüsselmacher. Nach außen unbescholtene, uninteressante Männer, die nach und nach mit ein und derselben Pistole erschossen werden. Einer tschechischen Ceska, Modell 83, Kaliber 7,65, die nirgendwo sonst in Europa je bei einer Straftat benutzt wurde. "Die Waffe ist eine Botschaft", sagt der Chefermittler: "Sie soll andere einschüchtern." Eine bewusst gelegte Spur.
Zuletzt waren Anfang April zwei Menschen gestorben, nur gut 48 Stunden nacheinander. In Dortmund trafen Mehmet K. (39) mehrere Schüsse, bis er in seinem Kiosk zusammensackte. In Kassel bekam Halit Y. (21) in einem Internet-Cafe zwei Kugeln in den Kopf. Dann war auch Opfer Nummer neun tot. Nicht nur Geier fragt sich, "wie lange die Öffentlichkeit noch ruhig bleibt".
Bayerns Innenminister Günter Beckstein (oben links) hat dafür gesorgt, dass der Fall kein Fall für das Bundeskriminalamt wurde - trotz der über fünf Bundesländer verstreuten Taten, trotz der Hinweise auf ausländische, türkische Hintergründe.
Beckstein will es offensichtlich wissen. Sogar eine Erhöhung der Belohnung von bislang
33 000 Euro auf stattliche 300 000 Euro hat er jetzt angekündigt - damit diejenigen endlich reden, die mehr wissen und jetzt womöglich um ihr Leben zittern. Und in Hamburg, dem Tatort des dritten Mordes, so heißt es aus Kripo-Kreisen, sollen sich bald Ermittler mit Hochdruck noch einmal jedes Detail des Mordes an dem Bahrenfelder Gemüsehändler vornehmen und neu bewerten.
Die bisherige Bilanz - fünf Jahre, acht Monate und 22 Tage nach der ersten Tat in Nürnberg - ist allerdings mau: kein Motiv, keine Verdächtigen, noch nicht einmal eine DNA-Spur. "Wir müssen ehrlich einräumen: Wir haben keine heiße Spur und noch nicht einmal einen vielversprechenden Ansatz", sagt Chefermittler Geier.
Dabei haben seine Fahnder so ziemlich alles versucht. Sie haben Hunderttausende Daten, vor allem Namen miteinander abgeglichen. Passagierlisten von Türkei-Flügen rund um die Tatzeiten, dazu Mietwagen-Verträge, Tankquittungen und Auszahlungen an EC-Automaten. Um einen Namen zu finden, der bei wenigstens zwei Morden auftaucht. Fehlanzeige. Sie haben die Taten an den Tatorten nachgespielt. Wo stand der Schütze, wo das Opfer - und wer könnte etwas gesehen haben? Sie sind in die Türkei geflogen, haben hochrangige Kollegen getroffen, dort ermittelt.
Sogar sogenannte Profiler brüten jetzt über den Morden. Sie versuchen, aus der Handschrift der Taten den Typ des Täters zu destillieren. Und erst dieser Tage setzt Geier neue "Spezialisten" an den Fall, die er aus ermittlungstaktischen Gründen nicht näher benennen will. Ein neuer, vielversprechender Ansatz - oder eine Seifenblase, die zerplatzt wie alle anderen Ansätze bisher?
Die einzige Spur: zwei Radfahrer, jeder etwa 30 Jahre alt, die mit dunklen Rucksäcken kurz vor Mord Nummer sechs in Nürnberg nahe dem Tatort gesehen wurden - wie auch einige Tage vor dem gewaltsamen Tod des Dönerbuden-Besitzers Ismail Y. Von ihnen gibt es seit Monaten Phantombilder, aber mehr auch nicht.
Die türkisch-hierarchisch geprägten Familien der Opfer geben sich Fremden und der Polizei gegenüber noch immer äußerst zugeknöpft - und genau da liegt vielleicht das Hauptproblem der Fahnder: "Wir dringen in Gesellschaftsteile vor, die offensichtlich eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Polizei nicht gewohnt sind", formuliert es Geier. Niemand kommt von sich aus zu den Ermittlern. Und wenn sie die Familien der Opfer aufsuchen, bekommen sie vielleicht einen Tee mit Minze. Aber keine Antworten auf ihre Fragen.
So zogen die Ermittler nach Mord sechs alle türkischstämmigen Kollegen aus Bayern zusammen und ließen sie 500 Kleingewerbetreibende türkischer Herkunft im Nürnberger Raum befragen. Jeden einzeln. Jeder bekam eine Visitenkarte mit Namen und Telefonnummer des Beamten in die Hand gedrückt, "falls Ihnen noch etwas einfällt". Das Ergebnis - dünn, sagt Geier: "Es gibt da einfach eine gewisse Unruhe."
Jeder hat Angst, der nächste zu sein.
Es bleiben Vermutungen, Arbeitsansätze, wie es die Soko "Bosporus" nennt. Wahrscheinlich handelt es sich um zwei Täter. Sie sind Profis, werden möglicherweise extra aus der Türkei eingeflogen für ihre Tat. Nie wurde auch nur ein Cent geraubt. Die Opfer sind nicht zufällig gestorben, wenn es auch möglicherweise tödliche Verwechslungen gab. Sie waren vielleicht letzte Glieder einer Kette, Geldwäscher eines Drogenrings womöglich, die einen Fehler gemacht hatten, der sie das Leben kostete. Und welche Rolle spielt eine geheimnisvolle Im- und Exportfirma in Istanbul?
Nach dem bisher geltenden Gesetz der Serie passiert jetzt erst einmal für Wochen, wahrscheinlich eher Monate nichts. Dann wird es das zehnte Opfer geben. Wenn Wolfgang Geier und seine Ermittler nicht schneller
sind.
Stand
von Anfang 2010
Die Kriminalpolizei weiß inzwischen, dass einige der Getöteten in dubiose Geldgeschäfte mit der Türkei verwickelt waren, andere betrieben illegales Glücksspiel, in der Wohnung eines Ermordeten wurde Rauschgift gefunden, drei Händler hatten, nach Angaben der Kripo, Kontakte ins Drogen- und Rotlichtmilieu.
Seither jagen Dutzende Polizisten und Staatsanwälte Täter und Waffe, Verfassungsschützer versuchen, die mafiöse Organisation türkischer Nationalisten in Deutschland zu durchdringen, die für das Blutvergießen verantwortlich sein soll. Die Morde, so viel wissen die Ermittler, sind die Rechnung für Schulden aus kriminellen Geschäften oder die Rache an Abtrünnigen.
Auch von Schutzgelderpressung ist die Rede. Es könne sogar sein, dass die Getöteten gar nicht zu den Erpressten gehörten, sondern nur als Exempel hingerichtet wurden, um Schutzgeld-Erpressungen bei Dritten Kleingewerbetreibenden durchzusetzen bzw. diese in Angst und Schrecken zu versetzen. Das würde auch erklären, warum deutschlandweit demonstrativ immer die gleiche Tatwaffe benutzt wurde, fast wie eine Visitenkarte.
Das auffällige Schweigen der türkischen Landsleute der Getöteten sei für die Ermittler ein großes Hindernis..
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Veröffentlichungen
nach dem 4. November 2011, Datum der angeblichen Selbsttötung der beiden
NSU-Uwes
in Eisenach
Am selben Tag kam es kurz nach 15 Uhr zur Explosion und einem anschließenden Brand in einem Wohnhaus in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau-Weißenborn, in der die beiden
NSU-Uwes zusammen mit Beate Zschäpe
gewohnt hatten. In den Trümmern der ausgebrannten Wohnung stellten Ermittler neun Kurzwaffen, ein Gewehr und eine Maschinenpistole sicher. Am 11. November 2011 erklärte die Bundesanwaltschaft in einer Presseerklärung, dass eine der Pistolen die seit Jahren gesuchte Česká im Fall der
Döner-Serienmorde sei.
Im Fall der Schweizer Ceskas wurde ab Werk eine "89" direkt über dem Abzug
eingeschlagen .
Die Zwickauer Ceska trägt ein Beschusszeichen aus dem Jahr 1993, die Schwesternwaffen aus derselben Serie aber eines aus dem Jahr 1989.
Daraus ergibt sich der Schluss, dass diese Waffen, die doch angeblich benachbarte Seriennummern haben, gar nicht derselben Serie angehören können.
Die angebliche Wiederherstellung der Seriennummer an der Zwickauer Waffe und die Story vom Weg der Waffe aus der Schweiz nach Zwickau erweist sich vor diesem Hintergrund als unmöglich.
Die Nummern der gesamten 30 Schweizer Schalldämpfer-Ceskas liegen im selben Zahlenblock, 0346xx, wurden also ALLE am selben Tag gebaut und am selben Tag beschlagen (die fortlaufenden Seriennummern wurden maschinell eingraviert).
Die Nummer 034673 wurde im Jahr 1989 gefertigt und beschlagen, die Nummer 034678 aber erst
1993. Die oben abgebildete Ceska 83, die aus der fraglichen Serie mit verlängertem Lauf stammt, hat
ebenfalls eine 89 überm Abzug eingeschlagen, wie die BKA-Fernsehceska oben.
Es ist dieselbe Serie (im Bild wurde die Seriennummer verfremdet, um den Besitzer zu schützen).
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