Mittwoch, 26. November 2014

Ehrenpflicht

Rothenburg - Wolf Stegemann (70) ist Redakteur und Publizist in Dorsten (Nordrhein-Westfalen), in Rothenburg aufgewachsen und Mitherausgeber der Online-Dokumentation "Rothenburg unterm Hakenkreuz" , einer Publikation des Ev. Bildungswerks Rothenburg. Stegemann hat festgestellt, dass sein alter Heimatort [Zitat] „eine der braunsten und antisemitisch hässlichsten Städte im damaligen Dritten Reich“ war. Jetzt möchte er in Rothenburg eine Hauptstraße, die Ludwig-Siebert-Straße, umbenennen. Unlängst berichtete die USraelische Postille "Die Welt" über Stegemanns Aktivitäten . Bisher verliefen alle Initiativen von Stegemann und Konsorten noch im Sand. Dazu befragt, erklärte Oberbürgermeister Walter Hartl , der Stadtrat werde sich im neuen Jahr noch einmal, fundiert und umfassend, mit der Straße beschäftigen.

Nach Ludwig Siebert , einem Wohltäter der Stadt, wurde 1934 in Rothenburg eine Straße benannt. 1945 mussten Straßen und Plätze, die nach Nationalsozialisten benannt waren, auf Befehl der alliierten Besatzer umbenannt werden. So auch die Ludwig-Siebert-Straße, die dann ab 1945 Obere Bahnhofstraße hieß. In nichtöffentlicher Sitzung vom 29. Juli 1955 wurde von der „Freien Wählervereinigung“ der Antrag gestellt, man möge sie wieder nach Siebert nennen. Stadtrat Franz Weber von der FWV-Fraktion hob die großen Verdienste Sieberts hervor. Auch die SPD-Fraktion votierte einstimmig für die Rückbenennung dieser Straße. Der „Fränkische Anzeiger“ schrieb am 30. Juli 1955: „Mit der Wiederbenennung der Oberen Bahnhofstraße mit dem Namen Ludwig Siebert erfüllt die Stadt Rothenburg eine selbstverständliche Ehrenpflicht, denn der Name Ludwig Siebert wird, über alle politischen Entscheidungen hinweg, in Rothenburg unvergessen bleiben.“

Der 1874 in Ludwigshafen geborene Ludwig Georg Siebert war der Sohn eines Lokomotivführers und Bruder des Infanterie-Generals der Wehrmacht, Friedrich Siebert . Nach dem Abitur in Mannheim studierte Siebert von 1893 bis 1897 in München Rechtswissenschaften. Nach der zweiten juristischen Prüfung wurde er in den bayerischen Justizdienst übernommen, war 1905/1906 Staatsanwalt am Fürther Landgericht, trat 1906 als Rechtsrat in den Dienst der Stadt Lindau ein, kam 1908 als Bürgermeister nach Rothenburg, wo er Mitglied der Bayerischen Volkspartei wurde. 1919 wählte ihn die Stadt Lindau zu ihrem Bürgermeister, ab 1923 war er ihr Oberbürgermeister. Nachdem Siebert sich 1924 überlegt hatte, in die damals kurzfristig verbotene NSDAP einzutreten, tat er dieses zusammen mit dem älteren seiner beiden Söhne, Friedrich , zum Jahresbeginn 1931, und trat der SA bei. Er war nun Bayerns erster NS-Oberbürgermeister.

1932 kam Siebert mit einem NSDAP-Mandat in den Bayereischen Landtag und vertrat von 1933 bis 1942 im Reichstag die NSDAP für den Wahlkreis 24 (Oberbayern und Schwaben). In Lindau übernahm sein Sohn Dr. Friedrich (Fritz) Siebert ab Mai 1933 das Amt des Bürgermeisters mit der neuen Bezeichnung „1. Bürgermeister“. Da war er gerade 30 Jahre alt. Er blieb Bürgermeister bis 1939.

Vater Ludwig Siebert wurde unter Reichskommissar Franz Ritter von Epp im März 1933 Ministerrat im bayerischen Finanzministerium und wenige Tage später Finanzminister im kommissarischen Ministerrat. Am 12. April 1933 wurde Siebert schließlich zum Ministerpräsidenten Bayerns ernannt und übernahm 1936 zusätzlich das Landeswirtschaftsministerium. 1935 wurde die zur Festhalle umgebaute ehemalige markgräflichen Reithalle in Bayreuth (heute „Stadthalle“) nach ihm benannt. Siebert war Ehrengauführer im Reichsarbeitsdienst und Ehrenvorsitzender des Bayerischen Landesfremdenverkehrsrats von 1933 bis 1942. Ferner Mitglied des Arbeitsausschusses des Deutschen Städtetages ab 1933, Mitglied des Kulturrats des Deutschen Auslands-Instituts in Stuttgart von 1933 bis 1942, Präsident der Akademie für Deutschen Recht 1939 und Präsident der Deutschen Akademie in München von 1939 bis 1942. Viele Städte machten Ludwig Siebert zu ihrem Ehrenbürger, wie Lohr am Main und Rothenburg (24. April 1933). Ein Jahr später wurde ihm auch das Ehrenbürgerecht des Bezirks Rothenburg verliehen. 

Siebert zeigte als Ministerpräsident stets ein großes Interesse an den lokalen Ereignissen. Er besuchte Rothenburg häufig und kümmerte sich um den Erhalt des mittelalterlichen Stadtbildes, stiftete 1934 im Burggarten ein Ehrendenkmal. Die 3.500 RM, die das Denkmal kostete, zahlte Siebert aus eigener Tasche. Zum 60. Geburtstag Sieberts 1934 überreichte Musikmeister Streckfuß dem Ministerpräsidenten ein Noten-Manuskript mit dem „Ludwig-Siebert-Marsch“, und Bürgermeister Dr. Liebermann übergab ihm die Bürger-Ehrenmütze. 1941 wurde die Rothenburger Oberschule in „Ludwig-Siebert-Oberschule für Jungen“ umbenannt, und Siebert stiftete für die Schule ein Hitler-Bildnis aus Bronze sowie 10.000 RM zur Errichtung einer Stiftung für Schüler (Studienbeihilfe). Auch spendete Siebert für das Rothenburger Kulturleben [alles aus seinem Privatvermögen!].

Siebert starb als bayerischer Ministerpräsident 1942 in Stock am Chiemsee. Sein Sarg wurde im Rahmen eines Staatsbegräbnisses durch Lindau gefahren. Am 30. April 1945 zerstörten von den US-Besatzern entlassene Chaoten Ludwig Sieberts 1942 errichtetes Grab auf Lindaus Aeschacher Friedhof. Der Stadtrat entschuldigte sich dafür später einstimmig bei Sieberts Familie, entzog dem Verstorbenen aber dennoch 1946 die ihm 1933 zugesprochene Ehrenbürgerschaft der Stadt. Seine sterblichen Überreste wurden von der Familie auf dem Münchner Waldfriedhof erneut beigesetzt.

In einem postum*) gegen Siebert eingeleiteten Entnazifizierungsverfahren wurde dieser 1949 von der Münchner Spruchkammer I in die Gruppe I („Hauptschuldige“) mit der Einziehung seines gesamten Nachlasses eingestuft. Seine Familie legte Widerspruch ein. Daraufhin wurde Siebert als „Belasteter“ in die Gruppe II eingestuft und das Vermögen nur noch zur Hälfte eingezogen. 

*) Das führen von Prozessen gegen Tote und lebende Leichname (sog. Opahatz) ist eine der großen Errungenschaften der von den alliierten Besatzern den Deutschen auferlegte "Rechtspflege". Unsere Altvorderen kannten zwar die "Klage gegen den toten Mann" . Wurde ein Täter auf handhafter Tat [in flagranti] gefasst und dabei erschlagen, mussten die Beteiligten (vor allem der Totschläger) mit dem toten Mann vor Gericht erscheinen und dort nachträglich gegen ihn mit dem "Gerüfte" Klage erheben zum Beweis, dass sie keine Friedensbrecher waren, sondern Selbsthilfe innerhalb des Rechtssystems geübt hatten. Dies Verfahren leuchtet unmittelbar ein. Die alliierten und BDR-Prozesse seit 1945 gegen Uralte und Tote des Deutschen Reiches entspringen dagegen dem unversöhnlichen Racheprinzip. Ähnliche Prozesse findet man höchstens noch bei Stalins Schauprozessen oder bei jenen von dessen Nachfolgern

Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen: Die ehemalige BDR-Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte mit Hinblick auf einen entsprechenden Fall in der russische Justiz, es sei „zynisch und menschenverachtend“, einen Toten zu verurteilen. Der Schuldspruch sei „ein weiterer Beleg für die Sowjetisierung Russlands“. Ihr Rechtsempfinden ist dabei schon derartig getrübt, dass sie nicht bemerkte, wie sie sich damit selbst und zugleich dem gesamten BDR-Regime das Urteil sprach.

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