Samstag, 20. September 2014

Technik-Entnazifizierung

Nürnberg - Ab 1933 erhielt die Reichsbahn zusätzliche Aufgaben: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die Organisation der "Kraft durch Freude-Urlaubsfahrten“, den Bau der Reichsautobahnen oder die logistische Unterstützung der nationalsozialistischen Reichsparteitage. Besonders unter Reichsverkehrsminister Julius Dorpmüller nahm die technische Ausstattung der Reichsbahn einen großen Aufschwung. So gehörten die Elektrolokomotiven der Baureihe E 19 zu den damals schnellsten. Sie erreichten eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h, waren konstruktiv aber für Geschwindigkeiten bis 225 km/h ausgelegt. Sie galten zu ihrer Zeit als die stärksten Einrahmenlokomotiven der Welt.

Die Deutsche Reichsbahn beabsichtigte im Jahre 1937 Elektrolokomotiven für die Strecke Berlin–Halle (Saale)–München mit einer Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h und einer Geschwindigkeit von 60 km/h auf den Rampen der Frankenwaldbahn in Dienst zu stellen. Zudem sollten sie die Option bieten, Hochgeschwindigkeitszüge in naher Zukunft mit über 200 km/h zu befördern.

Sie bestellte bei der AEG und bei Siemens-Schuckert (SSW)/Henschel jeweils zwei Lokomotiven, die in der Lage waren, die geforderten Geschwindigkeiten zu erreichen. Die bei AEG gebauten Lokomotiven erhielten die Baureihennummern E 19 01 und E 19 02, die von SSW/Henschel gebauten Lokomotiven die Nummern E 19 11 und E 19 12. Beide Bauserien wurden aus der bewährten Baureihe E 18 entwickelt. Der dort bereits erfolgreich angewendete Federtopfantrieb, untergebracht in einem Starrrahmen mit Achsfolge 1'Do1', wurde weitestgehend unverändert von der E 18 übernommen. Allerdings wurden gegenüber der E 18 Getriebe und Motoren (EKB1000 anstatt EKB860) wegen der zu erwartenden höheren Belastungen verstärkt ausgeführt und die Federung verbessert, die Motorleistung steigerte sich jeweils um rund 500 kW. Äußerliche Unterschiede zur Baureihe E 18, welche die gleiche Länge über Puffer besitzt, sind vor allem eine geänderte Lüfter- und Fensteranordnung. 

Es wurden von den erwähnten Firmen zwei leicht unterschiedliche Versionen an die Reichsbahn geliefert . Die beiden von der AEG gebauten E 19 01 und 02 entsprachen weitestgehend einer leicht modernisierten Variante der E 18. So wurden z. B. die Gehäusebleche jetzt aufgeschweißt statt genietet und die Loks mit einem modifizierten Feinregler ausgestattet, der trotz sanfterer Schaltübergänge nur noch 20 Dauerfahrstufen (gegenüber den 29 der E 18) besaß. Zur Einhaltung des Bremswegs bei unverändertem Vorsignalabstand bei 180 km/h wurde die mechanische Bremsanlage verstärkt sowie eine elektrische Widerstandsbremse eingebaut. Die Bremswiderstände, die vom Trafolüfter gekühlt werden, sind zwischen dem Trafo und den Lüftungsgittern angebracht.

Die beiden von Siemens/Henschel gelieferten E 19 11 und 12 der zweiten Bauserie (E 19.1) wichen sowohl im mechanischen als auch im elektrischen Teil von der E 19.0 ab: SSW rüstete die Maschinen mit Doppelmotoren des Typs WBDM265 aus, wobei die Motoren mit den Bodenblechen abschließen, so dass der Maschinenraum mehr Platz für die elektrische Ausrüstung bietet. Die Reihenschaltung der Doppelmotoren lässt gegenüber der E 19.0 eine höhere Spannung bei kleineren Strömen zu, wodurch nochmals Gewicht im E-Teil eingespart werden konnte. Darüber hinaus wurden die Stromschienen, die Niederspannungswicklung sowie die Wicklung der im Trafo eingebauten Zusatzumspanner aus dem "Heimstoff" Aluminium hergestellt, um das kriegswichtige Metall Kupfer einsparen zu können. Wegen der Verwendung der Doppelmotoren liegt das Bremsgestänge der E 19.1 außen, ebenso wurde der Achsstand gegenüber E 18 und E 19.0 verändert. Die Bremswiderstände sind im Dachaufbau über dem Haupttransformator untergebracht und konnten optional durch den Fahrtwind zusätzlich gekühlt werden, indem durch mit Druckluftzylindern betätigte Klappen im vorderen Bereich des Aufbaus geöffnet wurden. Daraus ergibt sich ein gegenüber der E 18 und der E 19.0 von AEG stark erhöhter, höckerartiger Dachaufbau, wodurch man die von Siemens/Henschel gebauten E 19 schon auf den ersten Blick leicht erkennen konnte. Aufgrund einer veränderten Ausführung des Schaltwerks konnte die Fahrmotorspannung der E 19.1 mit 57 Stufen gegenüber 39 Stufen bei der E 19.0 sehr feinfühlig geregelt werden.

Die E 19 01 wurde mit schwarzem Rahmen, weinrotem Anstrich und weißen Zierstreifen der Öffentlichkeit 1938 gezeigt. Alle vier E 19 wurden nach umfangreichen Erprobungsfahrten 1939/1940 in Dienst gestellt. Wegen des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs unterblieb der Serienbau. Die E 19 waren prinzipiell für Schnellfahrversuche mit bis zu 225 km/h konzipiert, die jedoch kriegsbedingt nicht in vollem Umfang stattgefunden haben. Von den E 19 01 und 02 konnte bei dieser Geschwindigkeit zudem der im deutschen Eisenbahnnetz übliche Regelbremsweg von maximal 1000 Metern nicht mehr eingehalten werden, da die Bremsanlage dafür nicht ausreichend war. Man erhoffte sich mit der nochmals verstärkten Widerstandsbremse in E 19 11 und 12 eine Lösung dieses Problems, konnte aber diese Technologie während des Krieges nicht mehr ausgiebig genug testen. Die E 19 01 hat bei Versuchsfahrten eine Leistung von 5280 kW entwickelt, ebenso wird in der Literatur von Schnellfahrten bis 200 km/h berichtet. Die E 19 11 hat bei Messfahrten sogar eine Leistung von 5700 kW bei 162 km/h erreicht. Die E 19.1 war damit bis zur Indienststellung der Baureihe E 03 im Jahr 1965 die stärkste deutsche Elektrolok.

Alle vier Lokomotiven wurden von der Deutschen Bundesbahn übernommen. Die Höchstgeschwindigkeit wurde bereits zu Beginn der 50er Jahre auf 140 km/h reduziert, da hohe Fahrgeschwindigkeiten zunächst nicht mehr benötigt wurden. Die Lackierung wurde von weinrot in grün-schwarz, später in blau-schwarz geändert. Stationiert waren die E-Loks der Baureihe E 19 im Bahnbetriebswerk Nürnberg. Eingesetzt wurde die E 19 hauptsächlich zwischen Nürnberg über den Frankenwald und Probstzella in der DDR sowie zwischen Nürnberg und Regensburg. Zeitweise waren die Loks auch in Hagen stationiert. Die letzte E 19 wurde am 26. Januar 1978 ausgemustert, die anderen Maschinen wurden 1975 und 1977 abgestellt.

Erhalten sind die E 19 01 und 12. Die E 19 01 steht in roter Farbgebung im Deutschen Technikmuseum Berlin. Die E 19 12 wurde bis vor kurzem im Verkehrsmuseum Nürnberg ebenfalls im roten Ursprungszustand ausgestellt, nachdem sie zunächst zum Jubiläum „150 Jahre Eisenbahn in Deutschland“ im blauen Farbkleid restauriert worden war. 119 002 und 011 wurden in München-Freimann verschrottet . 

Anekdotisch: Ein Foto der weinroten Lok  E 19 12  kursiert derzeit in griechischen Medien – es zeigt einen griechischen Polizeichef vor der E 19 12 beim Hitlergruß. Die Lok (Baujahr 1939) stand bisher im DB-Museum in Nürnberg und trägt den Reichsadler und das Hakenkreuz an ihrer Front. Das machte sie besonders attraktiv. Der Grieche war im März 2011 in Nürnberg.  Die Bahn prüft derzeit eine Anzeige gegen den Polizisten. Nach dem Vorfall wurden als Reaktion die NS-Embleme mit Holzkreuzen verfremdet und mit einem Begleittext kommentiert. Das aber fanden Eisenbahnfreunde nicht so toll. Sie wollten eine authentische E19/12, und die Verfremdung kam wieder weg. Im Mai 2014 wurde die weinrote Lok ins Nürnberger Depot geschickt. Die derzeitig Verantwortlichen wollten nicht länger zulassen, dass sich die Besucher ein korrektes Bild vom technischen Stand im Jahre 1939 im Vergleich zu heute machen können.
ABCD

Register:  
Email:   Quelle: Internet

Weitere Infos:  

nach oben