Sonntag, 12. Oktober 2014

Anna Louisa Karsch 

* 1. Dezember 1722 in Hammer bei Schwiebus 
† 12. Oktober 1791 in Berlin


Deutsche Dichterin.

ABCD

Die nachmalige Karschin wurde als Tochter eines Bauerngastwirtes geboren. Ihr wohlsorgender Vater starb bereits 1728. Ihre Mutter gab sie nach Tirschtiegel bei Meseritz zu ihrem Großonkel. Dieser war Amtmann und brachte ihr Lesen, Schreiben und Rechnen bei. Sie verlebte dort vier glückliche Jahre. Kurz nachdem ihr Oheim begonnen hatte, ihr Grundkenntnisse in Latein zu vermitteln, forderte ihre mittlerweile wiederverheiratete Mutter sie als Magd und Wärterin der Geschwister zurück. Auch musste sie als Viehhirtin dienen. Während sie Rinder zu hüten hatte, las sie die alten deutschen Volksbücher, Märchen aus Tausendundeiner Nacht und den "Robinson Crusoe". 

1738 musste sie mit fünfzehn Jahren den Tuchmacher und -händler Hirsekorn in Schwiebus ehelichen. Aus dieser Verbindung gingen vier Kinder hervor. In dieser Zeit entstanden ihre ersten Gedichte, für die ihr gewalttätiger Mann kein Verständnis hatte. 1748 reichte er die Scheidung von seiner schwangeren Frau ein, weil sie ihren Pflichten im Haushalt nicht nachgekommen sei, und schickte sie ohne Unterstützung zu ihrer Mutter zurück. Ohne jegliche Unterstützung konnte sie von ihrer nunmehrigen Unabhängigkeit keinerlei Gebrauch machen. Völlig mittellos heiratete sie bald ihren zweiten Mann, den mitleidigen wandernden Schneider Karsch, dem sie nach Fraustadt folgte. Hier brachte Anna Louisa drei weitere Kinder zur Welt. Sie begann, sich und ihren Nachwuchs von den Gaben für Gelegenheitsverse zu ernähren. Strophen für Leichencarmina, Sprüche für Taufen, Hochzeiten, Schnellreime aus dem Stehgreif zur Unterhaltung und Erheiterung einer verblüfften Gesellschaft - Verse, wie sie dann und wann verlangt wurden, und sie erhielt dafür Almosen. Ihr erstes Honorar war ein geschenkter Rock. Es war die Not, die sie dichten lehrte.  

Lehrer und Pfarrer wurden auf sie aufmerksam und ermöglichten ihr 1755 die Übersiedlung ins preußische Glogau. Im Siebenjährigen Krieg schrieb sie Gesänge auf die Siege Friedrich des Großen , die auf Flugblätter gedruckt wurden und ihren Ruhm nach Berlin trugen, wo Moses Mendelssohn
ihr zunächst ein "ungemeines Genie" bescheinigte. Diese Hymnen auf den König führte sie bei preußischen Offiziersfamilien ein. Durch diese Bekanntschaften bot sich ihr endlich auch die Gelegenheit, sich ihres trunksüchtigen und gewalttätigen zweiten Mannes zu entledigen, indem sie ihn mit Hilfe ihrer Bekannten zum Militär einziehen ließ. 

Im Januar 1761 brachte Baron von Kottwitz
die Karschin in die preußische Hauptstadt. Die Berliner Gesellschaft verfolgte sie mit Neugier und Gunstbezeugungen aller Art, denn sie besaß drei Eigenschaften, die wenig zusammenzupassen schienen. Sie war eine Frau, sie war hässlich und sprach in Versen. In den vornehmen Häusern der Stadt wurde sie herumgereicht, als Naturphänomen bestaunt und aufgefordert, ihr Talent zu beweisen. Ihr wurden Reimworte zugeworfen, wie einem Jongleur die Bälle. Sie musste sie balancieren, ordnen und in ein Gelegenheitsgedicht einbauen. 

Die biedere Karschin kümmerte sich weder um manieristisches Gehabe noch um Verslehre und metrische Gesetze, sondern verließ sich einfach auf ihren Menschenverstand, auf ihr spontanes musikalisch-rhythmisches Empfinden. Damit galt sie als ein Naturereignis für die Dichter und Gelehrten. Schon 1761 besuchte Gleim sie in Berlin. Gleim verbreitete den Ruhm der Karschin all seinen Freunden. Auf einer Reise zu ihm nach Halberstadt wurde sie feierlich zur Dichterin gekrönt. In Magdeburg wurde die Karschin von der preußischen Königin Elisabeth Christine 1762 zu Tee und Vortrag geladen. Die Grafen zu Stolberg-Wernigerode zahlten ihr - wie später der Herzog von Braunschweig - ein jährliches Taschengeld. 

 

Für ihren Lebensunterhalt reichte dies jedoch nicht aus. Als sie im Oktober 1762 nach Berlin zurückkehrte, musste sie mit Elendsquartieren vorliebnehmen. Im August 1763 wurde sie bei König Friedrich zur Audienz vorgelassen, der ihr ein Haus und eine Jahrespension versprach - erhalten sollte sie dies jedoch nicht. Daniel Chodowiecki unterstützte sie in dieser Zeit mit der Gestaltung von Miniaturbildnissen, die sie mit Poesie vervollständigte. Gleim gab 1764 ihre "Auserlesenen Gedichte" heraus. Als ihre Verse nun vorlagen, galten sie für das aufgeklärte Zeitalter als abgeschmackt. Nun wurde sie wegen ihrer Ungebildetheit gerügt.

Zum reinen Broterwerb musste die Karschin dennoch weiterdichten. Gleim legte für sie 2.000 Taler günstig an, so dass sie allein von den Zinsen gut hätte leben können. Jedoch musste sie zahlreiche Geschwister und Halbbrüder miternähren. Zehn Jahre nach ihrer ersten Audienz beim König, wurde sie erneut vorstellig mit der Bitte, ihr nunmehr das versprochene Haus in Berlin zu schenken. Als Antwort bekam sie ein Schreiben mit zwei Talern Inhalt. Sie schickte das Almosen zurück.  
ABCD

Zwey Thaler gibt kein großer König,
Ein solch Geschenk vergrößert nicht mein Glück,
Nein, es erniedrigt mich ein wenig,
Drum geb ich es zurück.


Mit dem jungen Gœthe führte die Karschin über Jahre Korrespondenz. Er erfreute sich an der Unverwüstlichkeit dieser Person, die ein Stück Komödie im Leben war. 1775 schrieb er ihr: "Schicken Sie mir doch auch manchmal was aus dem Stegreif, mir ist alles lieb und werth, was treu und stark aus dem Herzen kommt, mags übrigens aussehen wie ein Igel oder wie ein Amor." 1778 besuchte er sie dann auch während seines Berlinaufenthaltes.

Als 1783 eine passende Baustelle gefunden war, wandte sie sich erneut an den König und bekam als Antwort diesmal drei Taler zum Geschenk. Auch diese sandte sie zurück. Erst Friedrichs Nachfolger Friedrich Wilhelm II.
löste aus Anlass seines Regierungsantritts 1786 das königliche Versprechen ein. Im Mai 1789 zog sie in ihr neues Haus ein; ihr blieben noch zwei Jahre. Während einer Reise nach Frankfurt/Oder erkrankte sie und starb nach ihrer Rückkehr in Berlin. Sie wurde neben der Berliner Sophienkirche begraben.

 

Chodowiecki fühlte den Unterschied, der die Karschin von vielen ihrer Zeit- und Stilgenossen trennte, als er schrieb: „Ramler ist gewohnt, wenn ihm ein Stammbuch vorgelegt wird, aus dem Wernike oder Lohgau abzuschreiben, die Madam Karschin schreibt aus ihrem Herzen.“ Ihre kühne Fantasie und die Fähigkeit, volkstümlich und bildhaft ihren Einfällen Ausdruck zu verleihen, wurde auch von Herder erkannt, der über sie meinte: „Wenn man die Gedichte der Madam Karschin auch nur als Gemälde der Einbildungskraft betrachtet, so haben sie wegen ihrer vielen originalen Züge mehr Verdienst um die Erweckung deutschen Genies als viele Oden nach regelmäßigem Schnitt.“  


ABCD

Weitere Infos:    

ABCD
Lied einer alten reichen Wittwe,
die gern Dame werden will


Warum sollt ich mich denn härmen,
Hab ich doch Reichthum noch,
Junges Muths zu schwärmen!
Reichthum, Reichthum soll mir geben
Einen Mann, der mich kann
Uebern Pöbel heben –

Dann bin ich Hochwohlgeboren!
Für mein Geld, alle Welt
Staunt und spitzt die Ohren.
Freude wird mich überladen,
Wenn die Magd schüchtern fragt;
»Was befehl'n Ihr' Gnaden?«

 Wenn ich sie zum Dienstvergelten
Ihrer Müh tolles Vieh,
Dumme Gans darf schelten;
Wenn Sie mich wird bitten müssen
Oben drein, um Verzeihn,
Und den Rock mir küssen –

Hat sie mich nun angekleidet,
Stück vor Stück, daß mein Blick
Sich im Spiegel weidet:
Dann trägt ein Gespann von Rappen,
Im Gallop, hop, hop, hop!
Mich und auch mein Wappen!

Welche Wollust, welch Entzücken!
Wenn im Saal mein Gemahl
Links und rechts mit Blicken
Zu verstehn giebt, daß sein Name
Stolz gebeut: seyd gescheit
Kropzeug, weicht der Dame!

Den 22. Juni 1761, morgens 7 Uhr 

Freund, zeichne diesen Tag mit einem größern Strich! 
Er war doch ganz für dich und mich, 
Wir wandelten im Hain und hörten Vögel singen 
In dichten Fichten, wo der Mann das Weibchen hascht. 
Gut war's, daß über uns nicht Edens Äpfel hingen, 
Indem wir Hand in Hand durch das Gebüsche gingen, 
Da hätten du und ich genascht 
Und im Entzücken nicht die Folgen von den Bissen 
Nur einen Augenblick bedacht: 
So hat es Eva einst gemacht, 
So machen’s heute noch Verliebte, die sich küssen – 
Bald werd ich nichts zu schwatzen wissen, 
Als ewig von dem Kuß. Und meiner Mutter Mann, 
Durch den ich ward, ist Schuld daran, 
Daß ich so gern von Küssen sing und sage, 
Denn er verküßte sich des Lebens schwere Plage. 
Allein ich wende mich nun wieder zu dem Tage, 
Von dem ich reden will, schreib' ihn mit goldnem Strich! 
Er war doch ganz für dich und mich. 
ABCD

Register:   
Email:   Quelle: Internet
nach oben