Gisela Mauermayer
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* 24. November 1913 in München
† 9. Januar 1995 in München
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Deutsche Leichtathletin.
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Als
Gisela Mauermayer 1913 in München geboren wurde, durften Frauen gerade einmal in hochgeschlossenen Turnkleidern graziöse Gymnastikübungen absolvieren. Leichtathletik galt als unschicklich; die Pionierinnen wurden noch von empörten Männern von den Sportplätzen vertrieben. Mit dreizehn Jahren begann sie beim TSV Neuhausen-Nymphenburg mit dem Leistungssport. Frauenleichtathletik war noch nicht olympisch: Auf vielen Plätzen durften Frauen nur hinter Hecken trainieren oder nur dann, wenn niemand (das hieß: kein Mann) zusehen konnte. Ab
1930 nahm sie an internationalen Wettbewerben teil.
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Der Diskuswurf war die Spezialdisziplin der Münchner Sportlerin, die als sportliches Phänomen galt. In dieser Disziplin musste sie sieben Jahre lang nicht eine einzige Niederlage hinnehmen. Dabei steigerte sie den Weltrekord innerhalb von 13 Monaten siebenmal von 44,34 m auf 48,31 m.
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Bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936 siegte sie im Diskuswerfen mit herausragenden 47,63 m. Ihre einzige ernstzunehmende Konkurrentin erreichte 46,22 m; keine der anderen gelangte auch nur an die 40-Meter-Marke.
Zudem war Mauermayer eine hervorragende Allround-Sportlerin.
Kugelstoßen und Fünfkampf standen 1936 nicht auf dem Programm, sonst hätte sie diese Medaillen vermutlich auch gewonnen. Wegen ihrer Vielseitigkeit und konstanten Leistung galt sie im In- und Ausland als eindrucksvolle Athletin und gefürchtete Mitbewerberin. In ihrer Paradedisziplin stellte sie sogar zwei Weltrekorde an einem Tag auf. Als am Wettkampfmorgen niemand ihren Rekord offiziell protokollieren konnte, schleuderte sie den Diskus am Nachmittag unter amtlicher Aufsicht noch einmal über die
Weltrekordmarke.
Mauermayers
berufliche Karriere verlief nicht so glatt wie die sportliche: Ihr Theologiestudium gab sie auf und studierte Sport. Von 1938 bis zum Kriegsende unterrichtete sie
als Studienrätin Sport an einem Münchner Gymnasium.
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Als Mauermayer sich Anfang der 40er Jahre aus dem Leistungssport zurückzog, hatte sie sechs Weltrekorde im Diskuswerfen aufgestellt, einen im Kugelstoßen und drei im Fünfkampf (Kombination aus Weitsprung, Kugelstoßen, Speerwerfen, Hochsprung und 100-Meter-Lauf). Sie war zwanzigmal deutsche Meisterin verschiedener Disziplinen geworden, zweimal Weltmeisterin, und die erste Europameisterin im Diskuswerfen. Ihren ersten internationalen Wettkampf bestritt sie 1930 bei den
'Jeux féminins'. Den ersten großen Triumph feierte sie bei den Frauenweltspielen 1934: Sie gewann das Kugelstoßen und den Fünfkampf.
Das entspricht den heutigen Titeln einer Weltmeisterin. In ihrer Wettkampfzeit war sie 1,72 m groß und wog 70 kg.
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Nach dem Krieg durfte sie wegen ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP nicht mehr als Lehrerin
arbeiten (sie war 1932 als 18-jährige Mitglied der NSDAP geworden). Sie studierte noch einmal und promovierte. Bis zu ihrer Pensionierung arbeitete sie als Bibliothekarin und Archivarin; danach widmete sie sich ihren Hobbys, der Geologie und der Pflanzenkunde. Zwar hatte sie sich aus dem öffentlichen Leben ganz zurückgezogen, traf sich aber bis kurz vor ihrem Tod noch regelmäßig mit anderen
Olympiateilnehmern ihrer Zeit.
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Mauermayer gehörte 1951 zu den Mitbegründerinnen des ersten Frauenausschusses des Deutschen Sportbundes, dem sie bis 1967 als aktives Mitglied angehörte. Mauermayer starb im Alter von 81 Jahren an einer Lungenembolie.
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Weitere Infos:
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Eines aber ist sicher: Die Kämpfe der Frauen werden an sportlichem und kämpferischem Wert denen der Männer in nichts nachstehen. Der Frauensport ist jetzt endgültig aus den Kinderschuhen heraus und wird sich einigen ewiggestrigen Gegenströmungen zum Trotz seinen Weg in die Zukunft
bahnen.
Gisela Mauermayer
1936
Interview mit Gisela Mauermayer aus dem Jahr 1986
Frage: Frau Mauermayer, mit 50 Jahren Abstand, fühlen Sie sich missbraucht als das blonde, nordische Aushängeschild der Nationalsozialisten beiden Olympischen Spielen von Berlin?
MAUERMAYER: In keiner Weise. Es war damals für uns alle eine große Ehre, für Deutschland starten zu dürfen. Es wäre genauso gewesen, wenn der Reichskanzler nicht Hitler geheißen hätte - unter Kaiser Wilhelm hätte ich mich genauso geehrt gefühlt.
Frage: Aber die Nationalsozialisten haben doch mit diesen Spielen des Friedens ihre wahren, aggressiven Absichten verschleiert?
MAUERMAYER: Die Spiele wurden nicht von den Nationalsozialisten veranstaltet. Sie waren bereits 1931 vom Internationalen Olympischen Komitee der Stadt Berlin übertragen worden. Die Reichsregierung selbst hatte also nur die Möglichkeit, den Rahmen für das sportliche Fest sozusagen auf Hochglanz zu polieren, und sie wäre dumm gewesen, wenn sie nicht diese Gelegenheit genützt hätte, um der Welt zu zeigen, was sie in drei Jahren des Aufbaus geleistet hatte. Falls es damals schon aggressive Absichten gegeben haben sollte, dann ebenso auf
Seiten des Herrn Churchill, der 1936 zu einem amerikanischen General sagte: Deutschland wird zu stark, wir müssen es zerschlagen.
Frage: Ein Gefühl der Bitterkeit löst der Gedanke an Berlin 1936 bei Ihnen nicht aus?
MAUERMAYER: Worüber sollte ich Bitterkeit empfinden? Niemand hat uns gezwungen, für die Spiele in Berlin zu trainieren. Wir hatten unsere volle Selbstbestimmung, und wenn ich keine Lust mehr gehabt hätte, hätte ich jederzeit aufhören können. Der Gedanke ist freilich absurd und reine Theorie.
Frage: Hat die perfekte Inszenierung der Spiele Sie beeindruckt?
MAUERMAYER: Wir haben es damals eigentlich nicht anders erwartet, als dass Olympische Spiele perfekt organisiert würden. Das war ja 1972 in München wieder genauso. Organisationstalent ist einfach eine deutsche Eigenart. Schlamperei ist gewiss unser geringster Fehler.
Frage: Was war Ihr größter Eindruck?
MAUERMAYER: Der letzte Läufer, Fritz Schilgen, mit der olympischen Fackel, der mit seinem wundervollen Laufstil in das vollbesetzte Stadion kam und das olympische Feuer entzündete - das bewegt mich im Rückblick mehr als mein eigener Sieg. Und natürlich Jesse Owens, dieser Athlet mit der Eleganz einer Gazelle, nicht nur wegen seiner vier Goldmedaillen, sondern auch wegen seiner menschlichen Ausstrahlung.
Frage: Wussten Sie damals, dass die Amerikaner ganze nahe dran waren, die Spiele wegen der Diskriminierung der Juden zu boykottieren?
MAUERMAYER: Es ist schon etwas davon zu den Athleten durchgesickert, dass die Amerikaner gedroht haben, nicht zu kommen, wenn wir die Juden nicht starten lassen, aber das haben wir nicht so ganz ernst genommen.
Frage: Wie empfanden Sie die Diskriminierung der Juden, die Nürnberger Gesetze gab es ja schon?
MAUERMAYER: Ich habe es als Unrecht empfunden, dass die jüdische Hochspringerin Margarete Bergmann nicht starten durfte, obwohl sie die drittbeste Deutsche war und eigentlich drei Athletinnen pro Land starten konnten. Das hat man sehr bedauert, dass man ihr nicht hat helfen können. Übrigens hatte der jüdische Eishockeyspieler Rudi Ball offenbar keine Schwierigkeiten, bei den Olympischen Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen in der deutschen Mannschaft zu spielen.
Frage: Sie Waren mit vollem Herzen in Berlin dabei?
MAUERMAYER: Es ist heute schwer begreiflich zu machen, dass wir alle damals patriotisch eingestellt waren. Ich habe hier einen Brief der Fechterin Helene Mayer vom November 1936, die als Halbjüdin für Deutschland startete, obwohl sie schon seit 1932 in den USA lebte. Sie schreibt an uns Leichtathletinnen, mit denen sie sich besonders gut verstand: "Hier in Amerika hat die Presse die Olympiade extra schlechtgemacht. Alles Propaganda gegen Deutschland!! Diese Schwätzer, die sich noch immer nicht beruhigen können, dass die Olympiade in Berlin der Höhepunkt aller Olympiaden war."
Frage: Was schrieb sie, die Emigrantin, über ihr eigenes Schicksal?
MAUERMAYER: Sie schrieb: "Ich weiß nur, dass ich wieder nach Deutschland kommen möchte. Aber dort ist sicher kein Platz für mich. Ich bin eben eines von den Menschenkindern, die von einem harten Schicksal betroffen wurden. Ich liebe Deutschland genauso sehr
wie ihr, und ich denke und fühle genauso deutsch wie ihr ..." Zitat Ende.
Frage: Wie haben Sie Hitler erlebt?
MAUERMAYER: Man hat sich gefreut, dass er ins Stadion gekommen ist. Mich und die Dritte im Diskuswerfen, Paula Mollenhauer, hat er nach dem Wettkampf in einem rückwärtigen Raum des Stadions empfangen. Die Situation war wohl etwas ungewohnt für ihn, und er sagte nur: "Das habt ihr wunderbar gemacht." Später war die gesamte deutsche Olympiamannschaft bei ihm in der Reichskanzlei eingeladen. Dort hat er in einer Rede angekündigt, dass zu den Spielen 1940 in Tokio die deutsche Mannschaft mit dem Zeppelin "Hindenburg" anreisen werde. Und damit sie nicht ohne Unterstützung sei, sollten die besten Arbeiter aus den deutschen Betrieben mit der Kraft-durch-Freude-Flotte nach Japan fahren dürfen.
Frage: Nach dem Krieg erhielten Sie Berufsverbot als Sportlehrerin.
MAUERMAYER: Ich durfte nicht mehr unterrichten, weil ich in der NSDAP war, noch dazu schon seit 1932, vor der Machtübernahme. Ich war in meiner jugendlichen Begeisterung gleich nach dem Abitur mit 18 eingetreten.
Frage: Aus heutiger Sicht: Hätten die Athleten 1936 boykottieren müssen?
MAUERMAYER: Wenn man Olympiasieger werden will, dann boykottiert man nicht. Das würde auch kein heutiger Athlet tun.
Frage: Sie sind gegen jede Art von Olympiaboykott?
MAUERMAYER: Nach all dem, was ich erlebt habe, kommt dabei gar nichts heraus. Ein Boykott schädigt nur die Athleten, die sich vier Jahre lang vorbereitet haben. Politisch setzt man damit gar nichts durch.
Frage: Ihr damaliger Mannschaftskollege Rudolf Ismayr, Sprecher des olympischen Eides, ist nach dem Krieg der Deutschen Friedens-Union beigetreten. Welche Konsequenzen haben Sie gezogen?
MAUERMAYER: Ich hatte nicht mehr das Bedürfnis, mich noch einmal einer politischen Bewegung anzuschließen, wie Sie sich wahrscheinlich vorstellen können. Ich finde es besser, die Menschlichkeit im kleinen Kreis zu pflegen.
Frage: Was ist Ihrer Ansicht nach die vorherrschende Meinung der alten Olympiakämpfer über Berlin 1936?
MAUERMAYER: Unsere Vereinigung ehemaliger Leichtathleten traf sich kürzlich in Bielefeld. Der dortige Oberbürgermeister, Jahrgang 1931, hielt es in seiner Rede für notwendig, zu sagen, daß wir damals missbraucht worden seien. Da kamen sofort die Rufe "Aufhören, aufhören!"
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