Donnerstag, 18. Dezember 2014

Richard Ungewitter

* 18. Dezember 1869 in Artern (Provinz Sachsen)
† 
17. Dezember 1958 in Stuttgart

Vorkämpfer der deutschen FKK-Bewegung.

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Ungewitter erinnerte sich später: In den ersten zwei Lebensjahren erwartete man fast täglich seinen Tod. Krankheiten wurden zu seinem ständigen Begleiter, auch als er nach der Schule eine Gärtnerlehre absolvierte, um an der frischen Luft zu sein. Weniger gesundheitsförderlich war gewiss sein exzessiver Tabakkonsum.

Doch damit sollte bald Schluss sein. Die zahlreichen Zipperlein wie Hautflechte oder Augenentzündungen führten Ungewitter in unzählige Arztpraxen, doch kein Mediziner konnte ihm helfen. Bei der Lektüre des Buches "Die neue Heilwissenschaft" des Naturheilkundlers Louis Kuhne
kam ihm schließlich die Erleuchtung: Seine Krankheiten wurden von der Schulmedizin nur unterdrückt, aber nicht geheilt.

Nun therapierte sich Ungewitter selbst. Tabak: gestrichen, Alkohol: gestrichen, Fleisch: gestrichen. Bald gesellten sich auch noch Kaffee und Tee auf Ungewitters Verbotsliste. Und schließlich noch Milch und Eier. Obst, Malzkornbrot, ab und zu einmal Nährsalzschokolade oder Käse ersetzten die bis dahin liebgewordenen Speisen. Zusätzlich legte Ungewitter sich ein rigoroses Aufbauprogramm auf. Er stemmte Hanteln, machte Gymnastik und genoss Luft- und Sonnenbäder - natürlich nackig. Nach dem Aufstehen das Trockenbürsten, dann Ganzwaschung mit kaltem Wasser, nach dem Abtrocknen 20 Minuten Gymnastik am offenen Fenster, Selbstmassage, hauptsächlich tief ausatmen, so beschrieb Ungewitter einen Teil seines Trainingsprogramms.

Was diese Selbstdisziplin aus Ungewitters Körper machte, konnten seine Leser in seinen Büchern bestaunen. Ein drahtiger, wohlproportionierter Athlet, mit mächtigem Vollbart und selbstsicherer Haltung blickte ihnen darin entgegen. Um der Öffentlichkeit zu beweisen, dass er nicht nur Muskeln sondern auch Köpfchen hatte, verwendete Ungewitter gerne Aufnahmen, die ihn in seinem Arbeitszimmer zeigten. Ungewitter am Lesepult, Ungewitter am Schreibtisch, den Stift hinterm Ohr, eifrig bei der geistigen Arbeit - und immer nackt.

Ungewitter lebte er zwei Jahre in Norwegen. Zurückgekehrt nach Deutschland, war er einer der Begründer der Simonsbrotfabrik. Nachdem diese in Konkurs gegangen war, arbeitete er als Handelsvertreter.

 

Ungewitter errang im Jahr 1903 durch die Herausgabe einer Broschüre mit dem Titel „Wieder nacktgewordene Menschen“ einen gewissen Bekanntheitsgrad. Herausbringen musste er seine ersten Bücher im Eigenverlag, anderen Verlagen war das Thema zu heiß. Ungewitter verfolgte ein großes Ziel: Durch natürliche Nacktheit sollten die kranken Deutschen seelisch und körperlich gesunden. Im "Lichtkleid", also ohne Klamotten, würden die Menschen zurück zur Natur finden .Seine Schriften erreichten innerhalb weniger Jahre eine Auflage von nahezu 100.000 Exemplaren. Sein erstes Buch „Die Nacktheit“ erschien im Januar 1906 unter dem vollständigen Titel „Die Nacktheit in entwicklungsgeschichtlicher, gesundheitlicher, moralischer und künstlerischer Sicht“. Wiederholte Versuche, juristisch gegen das Buch vorzugehen, scheiterten. Das bekannteste seiner Werke ist das 1908 erschienene Buch „Nackt“.

Ebenfalls 1908 gründete Ungewitter die „Vereinigung für hygienische, ethische und ästhetische Kultur“. Diese zweite FKK-Gruppe in Deutschland (nach einem 1898 gegründeten Verein in Essen) hatte ca. 50 Mitglieder, hauptsächlich in Süddeutschland. In seinen Büchern zeigte sich Ungewitter auch selbst nackt, meist im Wald. Im Jahr 1911 begründete er die „Loge des aufsteigenden Lebens“, der über 800 Personen angehörten. In ihrer regelmäßig erscheinenden Schrift „Vertrauliche Mitteilungen“ setzten sich die Mitglieder für ungeniertes Nacktbaden, ungestörte Kleiderlosigkeit und zum Teil meilenweite Nacktwanderungen ein. 1914 wurde der Name der Loge in „Treubund für aufsteigendes Leben“ geändert.
Als "Großmeister" fungierte Ungewitter selbst. Mitglieder, die den Zigaretten und dem Alkohol nicht abschwören wollten, mussten gehen. Auch wer mit Fleisch oder Alkohol in Kontakt kam, wie Metzger oder Gastwirte, hatte im Treubund nichts verloren.

 

Groß war Ungewitters Verein mit rund 800 Mitglieder nicht, bei etwa 100.000 FKKlern am Ende der Weimarer Republik. Doch durch seine Bücher hatte er viele Menschen zur Freikörperkultur inspiriert .

 

Eine im Jahr 1923 von durchgesetzte Satzungsänderung führte das Bekenntnis zur „Rassenhygiene“ ein. Diese eugenische Orientierung wurde von vielen Mitgliedern abgelehnt. Daher trennten sich größere Gruppen von dem überwiegend von Ungewitter beherrschten Treubund, der daraufhin an Bedeutung verlor. Schon in 'Nacktheit und Kultur' (1910) schrieb Ungewitter: „Würde jedes deutsche Weib öfter einen nackten germanischen Mann sehen, so würden nicht so viele exotischen fremden Rassen nachlaufen […]. Aus Gründen der gesunden Zuchtwahl fordere ich deshalb die Nacktkultur, damit Starke und Gesunde sich paaren, Schwächlinge aber nicht zur Vermehrung kommen.“  Juden waren der erklärte Feind in Ungewitters Menschenbild.

 

Es waren jedoch ausgerechnet die Nationalsozialisten, die dem nackten Treiben Ungewitters und der anderen FKK-Jünger nach ihrer Machtübernahme 1933 schnell ein Ende machten. Das Innenministerium sah im Nudismus eine der größten Gefahren für deutsche Kultur und Sittlichkeit. Einer der Aufträge, die an SA-Trupps und Hitlerjungen ergingen, war die Verwüstung von FKK-Geländen. Ungewitters Werke fielen der Zensur zum Opfer. Er selbst zog sich eine Zeitlang zurück und konnte später wieder mit rassenhygienischen Schriften und eher skurril anmutenden Veröffentlichungen wie "Esst mehr Kartoffeln" in Erscheinung treten. Erst am 10. Juli 1942 wurde passionierten Nudisten das Leben wieder etwas leichter gemacht: Die Polizeiverordnung zur Regelung des Badewesens erlaubte immerhin wieder das öffentliche Nacktbaden an Stellen, die für unbeteiligte Personen nicht einsehbar oder ausdrücklich für das Nacktbaden freigegeben waren.

Während viele FKK-Anhänger nach dem Ende des Dritten Reichs wieder unbeschwert die Hüllen fallen ließen, wurde es um Ungewitter still. Rund 120 Jahre, verkündete der Nudist, wolle er leben, um das deutsche Volk auf den richtigen Weg zu führen. Gelungen ist ihm weder das eine noch das andere: 1958 starb Ungewitter mit 89 Jahren.
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