Ich will hier
bleiben
Hamburg - Andreas Listowell sagt: "Ab Februar darf ich arbeiten." Danach sah es lange nicht aus. Vor einem Jahr lebte der 30-jährige Ghanaer noch auf dem Gelände der St. Pauli Kirche. Listowell ist einer der bis zu 300 Männer aus der sogenannten Lampedusa-Gruppe. Er und 73 weitere
Migrantiner hatten sich nach monatelangen Verhandlungen den Behörden offenbart.
Ende Dezember 2013 versammelten sich rund 7.300 Demonstranten im Schanzenviertel, darunter etwa
4.700 gewaltbereite Linksdullis. Die Polizei war mit 3.100 Beamten im Einsatz. Die Stimmung war aufgeheizt.
Es flogen Steine, Flaschen, Knallkörper und Farbbeutel. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Reizgas und Schlagstöcke ein. Es
gab mehrere Hundert Verletzte. 300 Randalierer kamen in Gewahrsam, 21 wurden wegen Landfriedensbruchs festgenommen. In der Folge gab es einen Angriff auf die Davidwache mit schwerstverletzten Polizisten.
Grund für die Zusammenstöße
war: Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte klargemacht, zuständig für die
Lampedusa-Migrantiner sei Italien, nicht die BDR. Später hieß es jedoch,
wenn die Migrantiner ihre Identität preisgeben und ihre Fluchtgeschichte erzählten, könne über einen Aufenthalt in
der BDR entschieden werden. Doch dazu waren die Männer aus Ghana, Mali und Nigeria nicht bereit. Sie forderten
ein dauerhaftes Bleiberecht als Gruppe.
Listowell wollte nicht zurück nach Italien. Nach Libyen oder Ghana schon gar nicht.
Sein Heimatland habe er verlassen, weil er einer Volksgruppe angehöre, die verfolgt werde. In Libyen habe er als Gastarbeiter auf dem Bau gearbeitet. Im Juni 2011 sei er von Soldaten gezwungen
worden, das Land zu verlassen. Über Lampedusa ging es dann nach Mailand. Dort gab es keine medizinische Versorgung, keine
Rechtsberatung. Stattdessen gab es ein Visum, mit dem die Migrantiner in Europa reisen dürften, und 400 Euro.
Für Hamburg habe Listowell sich entschieden, weil er wusste, dass dort viele Ghanaer leben.
Dort schlief er in Parks. Das Bezirksamt Mitte sagte ihm, er müsse zurück nach
Italien.
Pastor Sieghard Wilm von der St. Pauli Kirche nahm im Juni 2013 Listowell
und rund 80 weitere Migrantiner bei sich auf. Es bildete sich eine Unterstützerszene aus
dem Thalia Theater, dem FC St. Pauli, dem Sänger Jan Delay, der
Recht-auf-Stadt-Bewegung und den sog. Karawane-Leuten. Seit November 2013 wurden auf dem Gelände der St. Pauli Kirche, der Martin-Luther-Kirche (Iserbrook) und Christianskirche (Ottensen) beheizbare Wohncontainer aufgestellt.
Andere Migrantiner waren bei linken Unterstützern untergekommen.
Im Oktober 2013 wurden Wilms Migrantiner rund um die St. Pauli Kirche kontrolliert.
Man gab ihnen bis zum 30. Juni 2014 Zeit, einen Antrag auf Bleiberecht aus humanitären Gründen zu stellen.
Listowell hat es getan. Viele andere nicht getan. Sie tauchten unter. Listowell wohnt
jetzt in einer Unterkunft in Volksdorf. Zwei Männer teilen sich dort ein Zimmer und vier Bewohner eine Küche. Fünfmal pro Woche fährt er mit der Bahn in die Innenstadt, wo er als Praktikant
ohne Bezahlung in einer Werbeagentur in der Mediaplanung arbeitet. Pastor Wilm hat ihm und anderen geduldeten
Migrantinern Praktika vermittelt. Außerdem spielt er im Thalia Theater im Jelinek-Stück "Die Schutzbefohlenen" mit.
Einmal pro Woche trifft sich Listowell mit Männern aus seiner Gruppe in der St. Pauli Kirche.
Er sagt: "Ich lebe nach dem Prinzip Hoffnung. Ich will hier bleiben. Ich will mich hier integrieren und selbstständig
leben. Ich hätte gern einen Job im Marketing."
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