Geschichtliche
Entwicklung des Promotionsverfahrens
Ursprünglich war der Erwerb des Doktorgrades an die Absolvierung
eines
'examen publicum' gebunden, einer Antrittsvorlesung mit anschließender Disputation, bei der der Kandidat seine Thesen
auch gegen Einwände der Öffentlichkeit zu verteidigen hatte, und bei der jeder anwesende Student frageberechtigt war. Erst
danach erfolgte die feierliche Inauguration und die Verleihung der Insignien, zu denen
ein Buch, ein goldener Ring und der Doktorhut in Gestalt eines Baretts gehörte.
Dies mittelalterliche Verfahren blieb mit vielen Varianten und Modifikationen auch in der frühen Neuzeit
gültig.
Bis ins 18. Jahrhundert hinein entwickelte sich die Promotion
zu einem ritualisierten Verfahren. Zu den wichtigsten Neuerungen gehörte dann die
allmähliche Einführung einer schriftlichen Inauguraldissertation, die jedoch
nicht vom Kandidaten selbst verfasst werden musste, sondern von dem zuständigen
Professor vorzulegen war. Die wissenschaftlichen Kenntnisse des Kandidaten
spielten kaum eine Rolle. Das Promotionsverfahren bestand im Wesentlichen aus einer oder mehreren
Disputationen oder Streitgesprächen, die auf Kosten des Kandidaten oft tagelang in
festlicher Atmosphäre zelebriert wurden. Aufgrund der hohen Kosten promovierte
deshalb auch nur ein geringer Anteil der sogenannten Baccalauren zum Doktor; der Baccalaureus stellte zu jener Zeit den
niedrigsten akademischen Grad dar, der damals zur Promotion zum Doktor berechtigte.
Seit dem Mittelalter kursierte ein Spottvers über diese Promotionspraxis: "Sumimus pecuniam et mittimus asinum in patria" (nehmen wir das Geld und schicken den Esel nach Hause). Mit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde an den meisten Universitäten die Naturalienleistung der
Doktoren, die üblicherweise aus ganz erheblichen Bewirtungsaufwendungen für die Professoren bestand, in Examensgebühren für eine ordentliche Doktorurkunde umgewandelt. Diese Einnahmen stellten einen erheblichen Teil der
Professorengehälter und der Fakultätseinnahmen dar.
Die Praxis, die schriftliche Grundlage der Disputation durch die Professoren anfertigen zu lassen, war
nicht unumstritten. Mitunter wurde verlangt, dass der Kandidat selbst eine Schrift anzufertigen habe oder zumindest nicht als Autor auf einer fremden Arbeit erscheinen solle. Derartige Argumente wurden aber unter Verweis auf die mangelnden Fertigkeiten (insbesondere fehlende Lateinkenntnisse) und Zeitmangel der Kandidaten von den Professoren zurückgewiesen, die um das einträgliche Geschäft mit den mehrfach verwertbaren Dissertationsschriften bangten.
Dies Verfahren, das sich seit Mitte des 17. Jahrhunderts entwickelt hatte, erhielt über die Gebühren eine neue
Wettbewerbsdynamik. Die Konkurrenz der Universitäten um zahlungskräftige Kandidaten führte bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zu
Schleuderpreisen für eine Promotion. Bezüglich der inhaltlichen Anforderungen bestand die Neuerung in der sogenannten "promotion in absentia", die bis ins späte 19. Jahrhundert an vielen Universitäten nicht nur möglich, sondern fast der Regelfall war. Bei dieser Art der Promotion wurde auf die Disputation
verzichtet: Man konnte sich den Titel quasi kaufen. Angefeuert wurde dieser Wettbewerb durch die Titelsucht akademisch kaum gebildeter Bürger und durch den wachsenden Promotionszwang akademischer
Berufe. Insbesondere die medizinischen Fakultäten profitierten seit dem 18.
Jahrhundert von der Verankerung der Promotion in den Approbationsordnungen, ein Makel, der dem Dr. med. bis heute anhaftet.
In Göttingen konnte man sogar nach 1800
einen Antrag auf nachträgliches Einreichen der Dissertationsschrift stellen,
wobei diese häufig überhaupt niemals geliefert wurde. Karl Marx
wurde 1841 in absentia an der Universität Jena zum Doktor der Philosophie
promoviert, und Friedrich Hebbel
an der Universität Erlangen 1844 in absentia
ebenfalls zum Dr. phil.
Erst mit der sich langsam durchsetzenden modernen Forschungsuniversität kam es
zu einer Wende. Beispielsweise verlangten die 1838 erlassenen Statuten der Berliner Universität eine eigenhändig verfasste Dissertationsschrift.
Auch wurden in den dreißiger Jahren überall in Deutschland die Promotionsgebühren abgeschafft.
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