Prolog:
"Unser
eigentliches Ziel waren immer die Innenstädte. Die Zerstörung von
Industrieanlagen erschien uns stets als eine Art Sonderprämie"
(Arthur Bomber-Harris ). -
Eine der großen
Geschichtslügen, die Deutschen hätten mit dem Luftterror begonnen, ist
historisch schon lange widerlegt. Bereits 1939 erfolgten sieben
Luftangriffe der RAF auf Nordwestdeutschland. Am 10./11. Mai 1940 wurde
die Innenstadt von Mönchengladbach angegriffen. Entgegen dem Völkerrecht
wurden danach auf Befehl der Kriegsverbrecher Churchill, Roosevelt, Stalin
und Konsorten durch den alliierten Bombenterror gezielt die Wohnbezirke
aller deutschen Städte mit 50.000 und mehr Einwohnern in Schutt und Asche
gelegt; unersetzliche Kulturgüter geplant vernichtet und etwa 1 Million
Zivilisten grausam ermordet, darunter über 54.000 Kinder unter 14 Jahren .
"...
ich will nicht den Kampf gegen Frauen und Kinder führen. Ich habe meiner
Luftwaffe den Auftrag gegeben, sich auf militärische Objekte bei ihren
Angriffen zu beschränken (Adolf Hitler in seiner Rede vor dem Reichstag
am 1. September 1939 ).
Entsprechend diesem Befehl richteten sich die deutschen Luftangriffe auf
Warschau im September 1939 und Rotterdam 1940 ausschließlich gegen
militärische Ziele als Teil eines Feldzugs. Im Fall von Warschau wurde
der Zivilbevölkerung 9 Tage Zeit gegeben, die Stadt zu verlassen, falls
das polnische Militär die Stadt nicht freiwillig übergäbe. Der Angriff
auf Rotterdam im Mai 1940 erfolgte, weil der niederländische
Stadtkommandant die Kapitulationsaufforderung ablehnte. Das Bombardement
von Coventry vom 14. November 1940 galt den im Stadtzentrum gelegenen
Rolls-Royce Flugzeugmotorenwerken und zahlreichen kleineren Rüstungsbetrieben.
ABCD
Königsberg
war bis Mitte 1944 vor schweren Luftangriffen verschont geblieben. Die
ersten russischen Fliegerbomben fielen am frühen Morgen des 23.Juni 1941
im Bereich der Hornstraße auf die Stadt. Es folgte in den nächsten
Jahren eine ganze Reihe von nächtlichen sowjetischen Fliegerangriffen,
die aber relativ glimpflich verliefen. Dennoch gab es dabei Todesopfer und
beträchtliche Sachschäden.
In der Nacht vom 26. zum 27. August 1944 flog die 5. Bombergruppe der
Royal Air Force einen ersten massiven Angriff mit 174 Lancaster-Bombern.
Die Maschinen waren 950 Meilen entfernt gestartet und über Norddänemark
geflogen. Somit an der Grenze ihrer Reichweite, waren sie mit relativ
geringer Bombenlast ausgestattet. Die meisten Bomben fielen im Osten der
Stadt.
Zunächst hatten die Pfadfinder ihre
Leuchtbomben und Zielmarkierungen, auch Kaskaden und Tannenbäume genannt,
über dem Stadtgebiet abgesetzt. Dann kamen die Wellen der Bomber in
schneller Folge, die ihre Last über den Wohnvierteln Königsbergs
abwarfen. Die ersten Brände leuchteten auf, überall blitzte und krachte
es, dazwischen war dumpfes Motorengebrumm zu hören. Die Nacht war taghell
erleuchtet. Etwa 30 Minuten währte die Hölle, dann kehrte Ruhe ein. Der
Schlossturm stand von Bränden rot umleuchtet da. Riesige Feuer vereinten
sich zu einem Flächenbrand. Die Feuersbrünste waren 300 km weit zu
sehen. Etwa 1.000 Tote waren zu beklagen, 10.000 Königsberger wurden
obdachlos. Zerstört wurden etwa fünf Prozent aller Königsberger
Gebäude.
In der Nacht vom 29. zum 30. August 1944 griffen drei schwere
Kampfverbände, insgesamt etwa 600 Lancaster-Bomber, erneut an. Es
wiederholte sich das gleiche apokalyptische Schauspiel wie drei Tage
vorher, nur in weit größerem Ausmaß. Der Angriff dauerte etwa eine
Dreiviertelstunde. Die ganze Stadt war ein einziges Flammenmeer. Durch die
erhitzten Straßenzüge raste heulend mit Orkanstärke ein Feuersturm mit
Funkenregen, dazwischen wirbelten brennende Bauteile und anderes
brennbares Material. Es war die Hölle auf Erden. Über der Stadt stand
auch Tage danach ein riesiger Rauchpilz. Die Luft war voll beißenden
Qualms und der Brandgeruch war unerträglich. Die Einwohner trugen
Gasmasken, andere Schutzbrillen. Viele hatten sich ein feuchtes Tuch vor
den Mund gepresst. Überall Ruinen, verkohlte Balken und rauchende
Schutthalden. Trümmer, so weit das Auge blicken konnte.
Die historischen Innenstadtteile Altstadt, Löbenicht und Kneiphof wurden
fast vollständig in Schutt und Asche gelegt. Zerstört wurden sämtliche
historische Gebäude, der Dom und zwölf weitere Kirchen, das Schloss, die
alte und die neue Universität mit vielen Instituten und Kliniken, das
kneiphöfsche Rathaus (das seit 1927 das Stadtgeschichtliche Museum war),
das Opernhaus, die Staats- und Universitätsbibliothek, Zeitungsgebäude,
die seit 1722 bestehende Buchhandlung Gräfe und Unzer und etwa die
Hälfte aller Schulen. Vernichtet wurden die Geburtshäuser von Johann
Georg Hamann, E. T. A. Hoffmann, Eduard von Simson und Hermann Goetz und
das Haus in der Löbenichtschen Langgasse, in dem Heinrich von Kleist
wohnte und den „Zerbrochenen Krug“ vollendete. Etwa 200.000
Königsberger wurden durch die Bombenangriffe obdachlos. Bei den beiden
Angriffen kamen mehr als 4.200 Menschen ums Leben. 41% der Wohnungen von
Königsberg wurden zerstört. Ostpreußens Dichterin Agnes Miegel schrieb
am 5. Oktober: "Zuletzt, ehe sie sanken, haben im Feuersturm noch
alle Kirchenglocken geläutet, wirklich das Sterbelied."
Die Schlacht um Königsberg führte 1945 zu weiteren Schäden; während
der anschließenden sowjetischen Besetzung wurde noch vorhandene
Bausubstanz teilweise absichtlich zerstört. Keine deutsche Stadt ist in
der Kriegs- und Nachkriegszeit so entstellt worden wie Königsberg. Keine
deutsche Stadt hat mehr gelitten als Königsberg, auch nicht Dresden. In
Dresden sind mehr Menschen gestorben als in Königsberg, aber im
Unterschied zu Königsberg kam der Tod für die Menschen in Dresden
schnell. Truppe und Zivilbevölkerung, rund 130 000 Personen, die in
Königsberg bei der Eroberung und nach der bedingungslosen Kapitulation
Königsbergs am 9. April 1945 noch lebten, mussten durch eine Hölle
gehen, und die allermeisten sind dabei elendiglich zugrunde gegangen. Sie
erlebten nur wüste Haufen entfesselter Rotarmisten, raubend, plündernd,
Frauen schändend, Brände legend. Vom 10. bis zum 12. April wurde die
Stadt wie zur Zeit der Mongolenkriege zur Plünderung und Brandschatzung
freigegeben. Keine Kamera hat die grauenvollen Szenen des Terrors und der
Demütigung festgehalten. Nur die wenigen, die überlebt haben, konnten
von den Ereignissen Zeugnis ablegen. Stellvertretend aus der zahlreichen
Memoirenliteratur sind zu nennen Hans Graf Lehndorff, Hugo Linck, Emma
Kirstein, Hans Deichelmann und die Veröffentlichung der Kulturstiftung
der deutschen Vertriebenen "Frauen in Königsberg". Auf den
Straßen bot sich ein schreckliches Bild, überall lagen Ermordete,
Menschen mit durchschnittenen Hälsen. Köpfe und Körperteile. Russen
stießen die abgeschlagene Köpfe mit den Füßen vor sich her oder trugen
sie auf Bajonetten. Unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen wurde
die Bevölkerung willkürlich zusammengetrieben und unter Bewachung aus
der Stadt heraus und in tagelangen Märschen planlos durch das Samland
oder in den östlichen Teil der Provinz getrieben. Wer unterwegs liegen
blieb, wurde ermordet, auch der Slawist der Albertina, Prof. Hans Meyer.
Seine letzte Vorlesung hatte er wenige Wochen zuvor über Dostojewski
gehalten.
Während der Zwangsaustreibung aus der Stadt wurden - wenn nicht schon
vorher geschehen – die Wohnungen der Abwesenden vollständig
geplündert. Viele der Überlebenden der Märsche hielten die Russen in
Lagern gefangen und zur Zwangsarbeit eingesetzt. Andere durften nach
Königsberg zurückkehren. Sie hausten in der zu 90 Prozent zerstörten
Stadt in Ruinen, Kellern oder Gartenhäusern und waren von den Sowjets der
Verelendung und dem Hungertod preisgegeben. Hans Graf Lehndorff, der als
Chirurg am Zentralkrankenhaus in Königsberg tätig war, notierte im Juni
1945: "Die Menschen, die man uns bringt, befinden sich fast alle im
gleichen Zustand. Oben sind sie zu Skeletten abgemagert, unten schwere
Wassersäcke. Ein merkwürdiges Sterben ist der Hungertod."
In den ersten Tagen nach der Besetzung Königsbergs und bei den
Todesmärschen kamen etwa 50.000 Menschen ums Leben. Die Lage verbesserte
sich auch in der Folgezeit nicht. Eine Ausreise war nicht möglich, und
aus der Sowjetunion kommende Zivilisten verstärkten noch den
Wohnraummangel. Hungersnot, Verwahrlosung und Rechtlosigkeit bestimmten
den Alltag. In der Literatur sind mehrfach Fälle von Kannibalismus
belegt. In keiner deutschen Stadt war der Hunger so groß wie in
Königsberg. Zwei Jahre - vom Sommer 1945 bis zum Sommer 1947 - hielt die
hohe Sterblichkeit infolge der Unterernährung und der Epidemien von
Typhus und Ruhr an. Innerhalb dieser zwei Jahre sind von den 80 000
Deutschen, die im Sommer 1945 in Königsberg registriert worden waren,
mindestens 50 000 gestorben. Im Herbst 1947 befanden sich nur noch rund 20
000 Deutsche in der Stadt, so dass die Gesamtzahl der Opfer etwa 110.00
betragen dürfte.
Zitat von Erna Ebert aus 'Frauen in Königsberg': "Wir haben alle
vier Hunger wie reißende Wölfe. Wenn man Holz anfressen könnte.
Kartoffelschalen. Mama und ich gehen in den Wald nach Holz. In dieser
Kälte ist niemand draußen. Wir begegnen Jungs mit Pferdefleisch. Wir
holen uns am nächsten Morgen auch etwas. Jetzt haben wir Fleisch. Mama
isst es roh, obwohl ich sie warne. Sie sagt, ich gönnte es ihr nicht. Der
Hunger hat sie unterhöhlt. Der Hunger macht stumpfsinnig und
unempfindlich. Man vergisst, dass man Mutter ist. Es gibt nichts
Schlimmeres als Hunger. Und wer einen verhungernden Menschen hat sterben
sehen, wird es sein Lebtag nicht vergessen. Wir verkaufen noch Fleisch und
machen uns dadurch ein paar Rubel, um Brot zu kaufen. Durch Zufall gelingt
es mir, 250 Rubel zu stehlen. Wir haben kein Gewissen, und andere auch
nicht. Die Menschen sind schwarz vor Hunger und fallen auf der Straße tot
um, wie Spatzen von den Bäumen in diesem harten Winter. Mama wird immer
dünner. Sie kann sich in ihren Rock nun schon dreimal einwickeln. Sie ist
nur noch Haut und Knochen. Heute habe ich ihre Augen gesehen. Augen, in
denen der Tod steht. Mein Gott, mein Gott, lass mich nicht alleine."
Weiteres Zitat aus 'Frauen in Königsberg', eine Passage mit den letzten
Aufzeichnungen von Frau Lotte Schwokowsky: "Es ist mir nicht mehr
vergönnt, noch zu leben. Ich bin so furchtbar schwach geworden. Von allem
Hunger schon so geschwollen. Ich werde nun bald sterben. Wie gerne hätte
ich noch mein eigenes bescheidenes Heim gehabt, in unserem lieben
Vaterland, und sei es nur eine Wohnküche, in der ich kochen und satt
werden könnte mit meinen Lieben. Möge Gott mein Kind, meine liebe
Annelie, nicht verlassen und ihr einen guten Menschen in den Weg geben,
der sich ihrer annimmt, bis sie vielleicht in einem Waisenhaus
untergebracht ist. Auf Wiedersehen im Himmel. Eure tieftraurige Lotte
Schwokowsky." Am 13. Mai 1947 ist Lotte Schwokowsky in Königsberg
47jährig gestorben. Dr. Hans Deichelmann, Verfasser des Buches "Ich
sah Königsberg sterben", schreibt, als er 1948 herauskam: "Der
Hut, den ich trage, ist das Erbe eines Verhungerten. Mein Stock ist der
Nachlass eines Verhungerten. Alles, was ich am Körper trage, stammt von
Menschen, die den Qualen Kaliningrads zum Opfer fielen. Wir, die wir heute
die Stadt verlassen können, leben nur, weil andere uns durch ihr Weichen
das Weiterleben ermöglicht haben. Weil wir gerade noch etwas kräftiger
waren als die anderen, weil sie uns ihre Nahrung, ihre Kleider und ihren
Arbeitsplatz lassen mussten. Wer von uns Deutschland wiedersehen darf, hat
Glück gehabt. Das Glück eines von Fünfen oder von Sechsen." An
anderer Stelle schreibt Dr. Deichelmann: "Kaliningrad, der Name
verpflichtet. Kaliningrad, Stadt des Schutts, der Trümmer und des Unrats.
Die Stadt des Mordens, des Raubens, die Stadt der Vergewaltigungen.
Kaliningrad, Stadt der Tränen, des Blutes und der Gräber. Die Russen
haben Recht getan, diese Spitzenleistung ihrer Kultur mit dem Namen ihres
verstorbenen Staatsoberhauptes zu benennen. Kaliningrad! Niemals mehr will
ich die Stadt mit ihrem früheren Namen nennen."
Hans Graf Lehndorff notierte in seinem ostpreußischen Tagebuch schon
unter dem 29. April 1945: "Die Zahl der Toten hat sich so vermehrt,
dass die Russen aus Selbsterhaltungstrieb eine Art Seuchenbekämpfung in
Gang zu setzen beginnen." An anderer Stelle schreibt er: "Vor
uns öffnet sich ein pechfinsterer fensterloser Raum, der nach hinten
schräg hinabführt. Vornan bewegen sich, vom Licht geblendet, ein paar
Gestalten am Boden. Der Russe lässt uns hineingehen. Offenbar ist dies
ein Raum, den man ganz vergessen hat. Aus dem Dunkel ziehen wir einen
Körper nach dem anderen ans Licht. Fünfzehn Männer sind es, die wir nun
so schnell wie es geht untersuchen. Sieben sind tot. Mit den übrigen acht
ist auch nicht mehr viel los. Wir dürfen sie alle heraustragen. Zu Vieren
tragen wir sie alle nacheinander heraus, die Lebenden und die Toten."
Die Deutschen wurden mit dem Zuzug der russischen Arbeitskräfte für die
Sowjets in jeder Beziehung entbehrlich, weshalb im Frühjahr und im Herbst
1947 die Ausweisung in die westlichen Teile Deutschlands begann. Diese
Ausweisung wurde mit der gleichen Entschiedenheit betrieben, wie zuvor die
Verhinderung des Wegzuges der Deutschen Bevölkerung. Die Ausreise
erfolgte zunächst auf Antrag, wobei die Miliz angewiesen wurde, täglich
nicht mehr als 50 Anträge zu bescheiden. Es kam dabei zunächst zu
Tumulten, da jeder zu den ersten 50 Personen des Tages gehören wollte.
Der erste kleine Transport verließ Königsberg am 1. April 1947. Die
deutschen Behörden und Auffanglager waren mangels Information durch die
Russen auf diese legale Ausreisewelle aus Königsberg nicht vorbereitet.
Bis Juni 1947 hatten 2.300 Personen die Ausreise erreichen können.
Zwischen Juni und Oktober 1947 setzte plötzlich wieder eine
Ausreisesperre ein. Gleichwohl wurden die Deutschen weiter drangsaliert.
Wohnungsdurchsuchungen, Beschlagnahme der wenigen privaten Gegenstände,
bis zur Bibel, Verhaftungen, Verhöre und konstruierte Straftaten waren an
der Tagesordnung. Der kleinste Mundraub wurde mit langen Haftzeiten
belegt. Allein die Zweifel an der Ausreisegenehmigung trieben noch so
manchen Deutschen in den Tod.
Marga Pollmann, auch eine Überlebende, schreibt über ihre innere
Verfassung im Jahre 1947 in Königsberg: "Zu Beginn des Jahres 1947
wurden meine Großen krank, wir kamen wieder sehr herab, aber da tauchte
dann im März das Gerücht auf, die Deutschen können nach
Zentraldeutschland. Das gab wieder etwas Auftrieb. Es war aber auch der
letzte Flügelschlag; denn inzwischen war auch ich zu der Überzeugung
gelangt, dass es besser wäre, die Kinder und mich auszulöschen, als
zuzusehen, wie die absinkende Moral ins eigene Leben griff. Bei den Russen
zu verbleiben, wäre gleichbedeutend gewesen mit einem Leben unter
Verbrechern. Die Kinder wären unfehlbar diesen Weg gegangen, hart und
erbarmungslos gegen fremdes Leid, ohne geistige Belehrung, ohne
familiären Zusammenhang. Sechsjährige Jungen standen rauchend auf den
Märkten, torkelten betrunken durch die Straßen wie die Russenkinder
auch. Die Russen hatten Freude daran, die deutsche Jugend zu zerstören.
Waren meine Kinder zur festgesetzten Zeit nicht zu Hause, wusste ich nie,
waren sie ausgeplündert, saßen sie im Bunker oder waren sie
abgeschlachtet. Denn auch der Handel mit Menschenfleisch tauchte auf. Noch
im Juni 1947 wurden einige deutsche Mädchen dafür erschossen."
Mit Beginn der zweiten Ausreisewelle ab Oktober ’47 waren plötzlich
alle Anträge zur Ausreise gegenstandslos geworden. Die Ausreisescheine
wurden durch die Miliz straßenweise ausgegeben. Die Abreise erfolgte in
der Regel am Tage darauf. Alle Personen mussten zuvor am Bahnhof mehrere
Sperren bis zum Zug passieren. An einer Sperre gelangte man zum deutschen
Markt, auf dem jeder seine Rubel ausgeben konnte; sonst wurden sie an der
nächsten Sperre eingezogen. Auf dem nur für die Ausreisenden bestimmten
Markt am Bahnhof konnten die Deutschen ihre letzten Rubel, die sie zum
Teil auch durch den vorherigen Verkauf ihrer bescheidenen Habe erworben
hatten, in Lebensmittel und Kleidungsstücke für die Reise umsetzen. Für
die Reisedauer von sieben Tagen musste jeder selbst für seine
Nahrungsmittel Sorge tragen. Neben den restlichen Rubeln wurden auch
Geldbe- stände in Reichsmark eingezogen. Die Russen achteten darauf, dass
alle Papiere mit Ausnahme der Personalpapiere eingezogen und vernichtet
wurden. So wurden insbesondere auch Adressbücher, Fotos und – soweit
noch vorhanden – Sparkassenbücher verbrannt.
Die Züge im Rahmen der großen Ausweisung 1948 bestanden aus 40 bis 50
Güterwaggons. In jedem Waggon, ausgestattet in der Mitte mit einem
eisernen Ofen und ohne Sitzgelegenheiten, wurden 40 bis 50 Personen
transportiert. Auf der Durchreise durch den polnischen Machtbereich wurden
die Waggons in der Regel verplombt. Hans Deichelmann berichtet am Ende
seines Buches über seine Ausreise aus Königsberg am 14. März 1948:
"Während sich die Räder des Transportzuges langsam in Bewegung
setzen, vereinigen sich die Stimmen aller nun heimatlos gewordenen zu
einem Gebet überquellenden Dankes an ihren Schöpfer. Das Geräusch des
anfahrenden Zuges wird übertönt von dem Lied, das aus über 50 Waggons
zum Himmel dringt: Großer Gott, wir loben dich."
Im Königsberger Gebiet, das nun zur Sperrzone wurde, blieb kein
Deutscher, keine Deutsche zurück. Dies hat in der bisherigen
Weltgeschichte singulären Charakter.
|