Kaiserliche
Botschaft zur sozialen Sicherung
vom
17. November 1881
ABCD zur
Eröffnung des deutschen Reichstages von Reichskanzler Fürst Otto von
Bismarck
im Königlichen Schloss zu Berlin verlesene Botschaft Wilhelms I. ,
die die deutsche Sozialgesetzgebung
einleitete.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen
etc., thun kund und fügen hiermit zu wissen:
[...] Schon im Februar dieses Jahres haben Wir Unsere Ueberzeugung
aussprechen lassen, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht
ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer
Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung
des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde. Wir halten es für Unsere
Kaiserliche Pflicht, dem Reichstage diese Aufgabe von neuem ans Herz zu
legen, und würden Wir mit um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge,
mit denen Gott Unsere Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken,
wenn es Uns gelänge, dereinst das Bewußtsein mitzunehmen, dem Vaterlande
neue und dauernde Bürgschaften seines inneren Friedens und den
Hilfsbedürftigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes,
auf den sie Anspruch haben, zu hinterlassen. In Unseren darauf gerichteten
Bestrebungen sind Wir der Zustimmung aller verbündeten Regierungen gewiß
und vertrauen auf die Unterstützung des Reichstages ohne Unterschied der
Parteistellungen.
In diesem Sinne wird zunächst der von den verbündeten Regierungen in der
vorigen Session vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über die Versicherung
der Arbeiter gegen Betriebsunfälle mit Rücksicht auf die im Reichstag
stattgehabten Verhandlungen über denselben einer Umarbeitung unterzogen,
um die erneute Berathung desselben vorzubereiten. Ergänzend wird ihm eine
Vorlage zur Seite treten, welche sich eine gleichmäßige Organisation des
gewerblichen Krankenkassenwesens zur Aufgabe stellt. Aber auch diejenigen,
welche durch Alter oder Invalidität erwerbsunfähig werden, haben der
Gesammtheit gegenüber begründeten Anspruch auf ein höheres Maß
staatlicher Fürsorge, als ihnen bisher hat zu Theil werden können.
Für diese Fürsorge die rechten Mittel und Wege zu finden, ist eine
schwierige, aber auch eine der höchsten Aufgaben jedes Gemeinwesens,
welches auf den sittlichen Fundamenten des christlichen Volkslebens steht.
Der engere Anschluß an die realen Kräfte dieses Volkslebens und das
Zusammenfassen der letzteren in der Form korporativer Genossenschaften
unter staatlichem Schutz und staatlicher Förderung werden, wie Wir
hoffen, die Lösung auch von Aufgaben möglich machen, denen die
Staatsgewalt allein in gleichem Umfange nicht gewachsen sein würde.
Immerhin aber wird auch auf diesem Wege das Ziel nicht ohne die Aufwendung
erheblicher Mittel zu erreichen sein. [...]“
Anlass
und Folgen der Botschaft: Wegen des wachsenden Einflusses der Sozialdemokratie sah sich Kaiser Wilhelm I. auf Anraten des Reichskanzlers Otto von Bismarck veranlasst, seine Auffassung vorzutragen, der Reichstag solle Gesetze zur finanziellen Absicherung der Arbeiter gegen Krankheit, Unfall, Invalidität und Alter beschließen. Er sandte daher zur Eröffnung des deutschen Reichstages am 17. November 1881
die obenstehende, auf Bismarck zurückgehende Botschaft. In den folgenden Sitzungsperioden verabschiedete der Reichstag verschiedene Gesetze zur sozialen Sicherung.
Krankenversicherungsgesetz 1883 ;
Das Unfallversicherungsgesetz 1884 ;
Invaliditäts- und Alterssicherung 1889 .
Im Juni 1911 wurde die Reichsversicherungsordnung
verabschiedet. In ihr wurden die früheren Gesetze zusammengefasst und weiterentwickelt. Die wichtigste Neuerung umfasste die Einführung der Hinterbliebenenrenten.
Im Jahre 1911 wurde zusätzlich die Angestelltenversicherung. Danach erhielten Angestellte eine Altersrente ab dem 65. Lebensjahr und ihre Witwen
40 Prozent der Altersrente ihres verstorbenen Ehegatten. Das Deutsche Kaiserreich war damit weltweit der Vorreiter beim Aufbau von staatlichen Sozialsystemen.
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