Dienstag, 21. Oktober 2014

Stockelsdorf - Die Alternative für Deutschland (AfD) hat bei den jüngsten Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen beachtliche Erfolge gefeiert. Auch in Ostholstein steht die AfD gut da — bei den Europawahlen im Mai holten die Polit-Newcomer starke 7,8 Prozent. Die AfD-Vortragsveranstaltung „Deutsche Selbstwahrnehmung“ im Stockelsdorfer Herrenhaus war allerdings nur dünn besucht. Im ersten Stock sitzen insgesamt 17 Menschen — 15 Männer, zwei Frauen.  

„Mut zu Deutschland“ steht auf der Leinwand. Dirk Helms , Mitglied des AfD-Kreisverbandes Stormarn, beginnt seinen Vortrag. Erst blickt er auf Frankreich und Großbritannien. Die wachsende Zahl der Muslime sei zwischen Lille und Marseille auffällig — dort denke man, man sei in Afrika. Er spricht vom Einnisten anderer Kulturen. Als er über die deutschen Politiker redet — „Wir dürfen uns von denen nicht verscheißern lassen!“ — ruft ein Mann aus der ersten Reihe: „Die lügen mich jeden Tag an! Und deshalb bin ich hier!“ Als völlig entwurzelt wird die Antifa bezeichnet.

Das Volk sei in Bezug auf seine Identität völlig verunsichert und werde täglich manipuliert. Die Medien missbräuchten ihre Macht und verbreiteten Unwahrheiten. Unterdrückung sei an der Tagesordnung und am Schicksal der ehemaligen Tagesschau-Sprecherin Eva Herman , die wegen ihrer positiven Äußerungen über die Mutterrolle im Dritten Reich ihren Job verlor, zu sehen. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges sei, entgegen der Forschungsmeinung, nicht von Adolf Hitler geplant gewesen. Die Alliierten hätten eine erbarmungslose Propaganda verfolgt. Im Konzentrationslager Dachau seien erst im Nachhinein von den Alliierten Gaskammern eingerichtet worden — um zu täuschen. Dann berichtet er von einem angeblichen KZ-Überlebenden [Otto Uthgenannt] , der Schülern eine ausgedachte Geschichte erzählt habe, jedoch nie ein KZ von innen gesehen habe .  

„Es erweckt den Eindruck, dass Sie das Dritte Reich bagatellisieren“, sagte zum Schluss Günther Kienitz von der AfD kritisch. Das sieht Dirk Helms anders. „Geschichte muss man eben ganz genau beleuchten“, entgegnete Helms knapp.

1946 wurde im Konzentrationslager Dachau eine Tafel mit der Inschrift angebracht: "Hier wurden in den Jahren 1933-1945 238 756 Menschen verbrannt." Diese Zahl wurde vom Dachau-Häftling Martin Niemöller mitgeteilt.
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R. Strobel: „Weg mit ihm“, ZEIT Nr. 33

Erlauben Sie eine leider nötige kritische Anmerkung zu R. Strobels Beitrag. Strobel hat mit seiner Äußerung gegen den früheren General Unrein gewiß recht. Nur ist Dachau als Beispiel ein wenig geeignetes Objekt, denn nach dem Zeugnis des Münchener Weihbischofs Neuhäusler haben dort gar keine Vergasungen stattgefunden, weil die Häftlinge den Bau der entsprechenden Anlagen sabotiert haben. Ein Autor von „Christ und Welt“ mußte deshalb schon zugeben, „daß er bei der Besichtigung der Gaskammer in Dachau den legendären Behauptungen von den dort durchgeführten Vergasungen erlegen ist.“

Herr Strobel leistet also mit seinem Versehen denen Vorschub, die – wie Herr Unrein – behaupten, die Ergebnisse unserer zeitgeschichtlichen Forschung seien nichts als alliierte Propaganda. Das ist um so bedauerlicher, als die Kluft zwischen diesen Forschungsergebnissen und den zeitgeschichtlichen Darstellungen der populären Publizistik immer noch sehr groß ist.


Wilhelm van Kampen
, Kiel-Mönkeberg

Weder in Dachau noch in Bergen-Belsen noch in Buchenwald sind Juden oder andere Häftlinge vergast worden. Die Gaskammer in Dachau wurde nie ganz fertiggestellt und „in Betrieb“ genommen Hunderttausende von Häftlingen, die in Dachau oder anderen Konzentrationslagern im Altreichsgebiet umkamen, waren Opfer vor allem der katastrophalen hygienischen und Versorgungszustände: Allein in den zwölf Monaten von Juli 1942 bis Juni 1943 starben laut offizieller Statistik der SS in allen Konzentrationslagern des Reiches 110 812 Personen an Krankheiten und Hunger. Die Massenvernichtung der Juden durch Vergasung begann 1941/1942 und fand ausschließlich an einigen wenigen hierfür ausgewählten und mit Hilfe entsprechender technischer Einrichtungen versehenen Stellen, vor allem im besetzten polnischen Gebiet (aber nirgends im Altreich) statt: in Auschwitz-Birkenau, in Sobibor am Bug, in Treblinka, Chelmno und Belzec.

Dort, aber nicht in Bergen-Belsen, Dachau oder Buchenwald, wurden jene als Brausebäder oder Desinfektionsräume getarnten Massenvernichtungsanlagen errichtet, von denen in Ihrem Artikel die Rede ist. Diese notwendige Differenzierung ändert gewiß keinen Deut an der verbrecherischen Qualität der Einrichtung der Konzentrationslager. Sie mag aber vielleicht die fatale Verwirrung beseitigen helfen, welche dadurch entsteht, daß manche Unbelehrbaren sich einzelner richtiger, aber polemisch aus dem Zusammenhang gerissener Argumente bedienen, und daß zur Entgegnung Leute herbeieilen, die zwar das richtige Gesamturteil besitzen, aber sich auf falsche oder fehlerhafte Informationen stützen.


Dr. M. Broszat
, Institut für Zeitgeschichte, München

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