Wahrscheinlich gibt es jede Woche irgendwo in Deutschland Vorträge wie den von Dirk Helms in Stockelsdorf
(Schleswig-Holstein) : Keine 20 Zuhörer verfolgten, wie er am vergangenen Donnerstagabend über "Mut zu Deutschland" sprach. Es handelte sich um eine Veranstaltung der Alternative für Deutschland (AfD) – und Helms griff ganz tief in das Repertoire der Geschichtsfälscher.
Laut dem Bericht der "Lübecker Nachrichten" sagte er unter anderem, die Gaskammer im KZ Dachau sei erst nach der Befreiung von den Alliierten gebaut worden. Offenbar kein Einzelfall: Martin Sichert, den zeitweiligen Vorsitzenden des Nürnberger Kreisverbandes, will AfD-Chef Bernd Lucke aus der Partei ausschließen lassen – wegen der Äußerung, im Zweiten Weltkrieg hätten "die zwei größten Massenmörder
gesiegt" .
Beide Vorfälle zeigen voneinander unabhängig, dass Rechtsextremisten und ihre Sympathisanten weiterhin mit den Fakten der deutschen Zeitgeschichte hadern – und darauf setzen, beim Publikum auf Verständnis zu stoßen. Ein kleiner Überblick, was der deutschen Öffentlichkeit bevorstehen könnte.
Auschwitz
Das größte aller KZs und Vernichtungslager sei eigentlich gar nicht so schlimm gewesen, behaupten Neonazis unverdrossen. Eher ein idyllischer Ort, mit Gärten, Plantagen und gut ausgestatteten Häftlingsbaracken. Gaskammern habe es nicht gegeben, sagen viele Rechtsextremisten und stützen sich auf angebliche Laborergebnisse des selbst ernannten Hinrichtungsexperten Fred
Leuchter
, der an den Wänden der gesprengten Vergasungskeller keine Spuren von Zyanid festgestellt haben wollte.
Dabei stört nicht, dass der Massenmord in Auschwitz ungewöhnlich dicht dokumentiert ist. Es gibt alles, was ein Historiker braucht, um die Realität sicherzustellen: Teile der originalen Bauakten der Krematorien sind erhalten, in denen auch von "Vergasung" die Rede ist. Schon während des Zweiten Weltkrieges sickerten Berichte über das Geschehen in Ostoberschlesien durch, die auch veröffentlicht wurden, allerdings oft nicht geglaubt. Die Personalakten der SS-Mannschaften haben sich teilweise erhalten. Luftbilder von 1944 zeigen die Krematorien und die Stutzen in den Dächern der großen Gaskammern, durch die das Zyklon B eingeworfen
wurde
.
Es gibt Tausende Berichte von Überlebenden, die teilweise vor, öfter aber bald nach 1945 niedergeschrieben
wurden . Die Prozessunterlagen mehrerer großer Auschwitz-Prozesse enthalten unzählige Zeugenaussagen und Gutachten, die allesamt den Massenmord eindeutig belegen. Insgeheim aufgenommene Fotos aus dem Sommer 1944, als mehrere Hunderttausend ungarische Juden ermordet wurden und die Krematorien überlastet waren, zeigen die Einäscherung von Leichen in offenen Gruben. Das "Auschwitz-Album", dessen Bilder ein SS-Mann während dieser Vernichtungsaktion knipste, gehört zu den furchtbarsten Zeugnissen des Holocaust.
Doch die Auschwitz-Leugner stört all das nicht. Sie halten fest an ihren im Einzelnen Punkt für Punkt widerlegbaren
Zweifeln . Meistens aber setzen sie sich damit gar nicht auseinander, sondern behaupten einfach, alle Belege seien nach dem Krieg "produziert" worden. Irgendwelche Indizien dafür haben die Geschichtsfälscher aber natürlich
nicht .
Fall Barbarossa
Eigentlich sei Hitler mit seinem unbestreitbaren Angriff auf den bisherigen Verbündeten Sowjetunion am 22. Juni 1941 ("Fall Barbarossa") nur einer unmittelbar bevorstehenden Attacke der Roten Armee zuvorgekommen. Das verbreitete die NS-Propaganda schon unmittelbar nach Beginn des Angriffs. Der "Völkische Beobachter", das Parteiblatt der NSDAP, etwa schrieb: "Der Führer hat nunmehr der deutschen Wehrmacht den Befehl erteilt, dieser Bedrohung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzutreten."
In Wirklichkeit war dem sowjetischen Diktator Josef Stalin zwar buchstäblich alles zuzutrauen, auch ein Angriffskrieg. Das hatte er spätestens mit seiner Offensive gegen das neutrale Finnland im November 1939 bewiesen. Aber gegen Deutschland im Sommer 1941 bereitete er einen Kampf eben nicht
vor . Außerdem hatte der deutsche Generalstabschef Franz Halder schon am 22. Juli 1940 notiert, dass Hitler jetzt "das russische Problem in Angriff nehmen" wolle.
Das entsprach der grundsätzlichen Politik des Dritten Reiches: Neben dem Kampf gegen die vermeintliche "jüdische Weltverschwörung" war die Eroberung von "Lebensraum im Osten" das wichtigste Ziel Hitler-Deutschlands. Schon vor Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte der "Führer und Reichskanzler" versucht, die Regierung in Warschau für einen gemeinsamen Krieg gegen die Sowjetunion zu gewinnen. Als das scheiterte, plante er eben zuerst einen Krieg gegen
Polen , unterwarf dann Frankreich, fiel in Jugoslawien und Griechenland ein, bevor er zu seinem eigentlichen Ziel zurückkehrte.
Jüdische Kriegserklärung
Immer wieder taucht die Behauptung auf, das "internationale Judentum" habe Deutschland den Krieg erklärt. Das soll wohl die unbestreitbaren antisemitischen Verbrechen rechtfertigen, die Ausgrenzung, Ausplünderung und Deportation von jüdischen Menschen in Ghettos, KZs und Vernichtungslager.
Natürlich ist auch an dieser Behauptung kein wahres Wort . Zwar titelte der "Daily Express", eine Londoner Boulevardzeitung, am 24. März 1933: "Judea declares war on Germany". Doch war im gesamten Artikel nicht von einer "Kriegserklärung" die Rede, sondern nur von der Forderung, Deutschland wegen antisemitischer Ausschreitungen zu boykottieren – worauf sich die westlichen Regierungen allerdings nicht einigen konnten. Im Gegenteil machten viele amerikanische und britische Unternehmen noch jahrelang gute Geschäfte mit Hitler-Deutschland.
Ebenso wenig eine "Kriegserklärung" war ein Brief von Chaim Weizmann, dem Chef der Zionistischen Weltorganisation, an den britischen Premier Neville Chamberlain vom 29. August
1939 . Darin hieß es, man werde im Falle eines Krieges an der Seite der Demokratien gegen Deutschland kämpfen.
Allerdings sprach Weizmann nur für die Mitglieder seiner eigenen Organisation, rund eine Million Menschen und damit gerade einmal sechs Prozent der bekennenden Juden weltweit. Die jüdische Kriegserklärung an Deutschland ist nur ein nationalsozialistisches Propagandakonstrukt.
Morgenthauplan
Eigentlich sei der Krieg, der 1939 bis 1945 fast ganz Europa und große Teile der Welt verwüstete, ein abgekartetes Spiel von Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt gewesen, um den Aufstieg Deutschlands zur Weltmacht Nr. 1 zu verhindern. So oder ähnlich kann man das in unzähligen Publikationen der rechtsextremen Szene und auf noch mehr Websites nachlesen.
Als Beleg für den angeblichen Plan des britischen Premiers und des US-Präsidenten wird immer wieder der Morgenthauplan angeführt, den der amerikanische Finanzminister Henry Morgenthau 1944 vorlegte. Roosevelt hatte um eine radikale Alternative zu den Vorstellungen des State Department für eine Nachkriegsordnung in Mitteleuropa
gebeten .
Morgenthau schlug vor, das bisherige Deutschland in drei Staaten aufzuteilen und nahezu die gesamte Industrie zu demontieren; künftig sollten die Deutschen nur noch von der Landwirtschaft leben. Durch eine gezielte Indiskretion gelangte eine Zusammenfassung des Plans im September 1944 an die amerikanische Öffentlichkeit – und löste dort einen Aufschrei der Empörung
aus .
Sehr schnell distanzierte sich Roosevelt von dem nie auch nur in die Nähe einer Umsetzung gelangten
Plan . Es hatte sich wohl nur um einen Versuchsballon gehandelt, mit dem der fintenreiche Präsident ausprobieren wollte, was die Mehrheitsmeinung in den USA war. Morgenthau seinerseits fühlte sich zu Recht missbraucht und hinters Licht geführt.
Nach 1945 realisierten die USA übrigens das genaue Gegenteil des Morgenthauplans
: Statt Demontagen wurde mit den großzügigen Krediten des Marshallplans der Wiederaufbau Westdeutschlands massiv unterstützt.
Zweiter Weltkrieg
Nicht Hitler-Deutschland habe den Zweiten Weltkrieg provoziert , sondern Polen, wird oft behauptet – gerade wieder anlässlich des 75. Jahrestages des deutschen Angriffs auf Polen. Angeblich habe ein Angriff unmittelbar bevorgestanden, polnische Kavallerieeinheiten hätten sich bereits über den kommenden Einzug in Berlin
gefreut .
In Wirklichkeit betrieb Hitler nach dem Scheitern seiner Pläne für eine militärische Zusammenarbeit mit Polen gegen die Sowjetunion die Eskalation vorsätzlich weiter: Ende April 1939 kündigte er den Nichtangriffspakt von 1934, der eigentlich bis 1944 galt, einseitig auf. Einen Monat später bekam die Wehrmacht den Befehl, einen Krieg gegen Polen vorzubereiten: "Die Grenzziehung ist von militärischer Wichtigkeit. Der Pole ist kein zusätzlicher Feind. Polen wird immer auf der Seite unserer Gegner stehen."
Die polnische Armee war der mitten in der Aufrüstung steckenden Wehrmacht grenzenlos unterlegen. Sie hatte keine modernen Flugzeuge, keine Panzer, ja nicht einmal genügend Maschinengewehre. Entsprechend schnell errangen die deutschen Truppen einen militärischen Sieg – sogar bei Weitem schneller, als in den Plänen eigentlich vorgesehen.
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