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Donnerstag, 28. November 2013

ABCD
Der neue Pitaval ist eine Sammlung der interessantesten Kriminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit. Sie erschien von 1842 bis 1890 in 60 Bänden bei Brockhaus in Leipzig. Begründet wurde sie von Julius Eduard Hitzig und Wilhelm Häring (Künstlername: Willibald Alexis ), fortgeführt von Anton Vollert. Aus dem Neuen Pitaval von 1844:

Rosenfeld
Der neue Messias in Berlin *

  Zu Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sah man in der Uckermark, in der Priegnitz und auch im benachbarten Mecklenburgischen einen Mann herumstreifen, dessen Kleidung und dessen Wesen nicht viel von denen eines Bettlers verschieden waren. Er bat aber nie um eine Gabe, sondern höchstens um einen Trunk Wassers, und zuweilen wohl auch um ein Nachtquartier, wenn man ihm nicht mit einer Einladung dazu zuvorkam. Ihm schien es nur darum zu tun, mit denen, die er besuchte, ins Gespräch zu kommen, und zu dem Zwecke machte er sich meistens an Schäferknechte hinan, die er auf dem Felde traf, ging jedoch auch in einsam gelegene Häuser, wo Tagelöhner, Weber oder sonst arme Handwerker wohnten.

  Zunächst trug der Mann einen grünen Jägerrock; dann aber, als dieser Rock verschossen und zerrissen war, näherte sich seine Erscheinung immer mehr der eines Bettlers und hatte beinahe etwas Unheimliches, ja man konnte sie geradezu schreckenerregend nennen. Sein Gesicht war blass und erdfarben, die Augen lagen tief im Kopfe, und der Körper hatte eine schlaffe Haltung. Man brauchte jedoch keine Furcht wie vor einem gewöhnlichen Abenteurer zu hegen, der abends als müder Wanderer um eine Herberge bittet und morgens als Dieb verschwunden ist. Man kannte seinen Namen, er hieß Rosenfeld, und der grüne Jägerrock war ein letzter Überrest aus seinem früheren Jägerdienst beim Markgrafen von Schwedt.

Zwar führte er kein Geld in der Tasche, aber am Kinn trug er einen langen Bart, der nicht den Räuber, sondern den Propheten verkündete. Manchmal trat er an einen Hirten mit einem biblischen Gruß hinan, schlug dann aber, wenn der Hirt geantwortet hatte, plötzlich die Augen gen Himmel auf und wandte dem Angeredeten mit einem Seufzer den Rücken: so schnell ging er immer von denen fort, die seinen Gruß nicht so erwiderten, wie er es wünschte. Wo er aber empfänglichen Grund für den Samen fand, den er ausstreuen wollte, ließ er sich in längere religiöse Gespräche ein.

Einmal glaubte er im Dorfe Stendal bei Schwedt eine andächtige Versammlung gefunden zu haben, die gern auf seine Predigten hörte und seinen Lehren zugänglich wäre; als er aber, erwärmt von ihrer Aufmerksamkeit, die Arme erhob und zu prophezeien anfing, sagten sie, er sei nicht gescheit, worauf er sich enttäuscht hinwegbegab.

Rosenfeld erscheint schon jetzt, wie auch während seiner ganzen späteren sieggekrönten Laufbahn, nicht als Fanatiker, der mit eiserner Stirn Mauern einrennen und mit der Fackel der Begeisterung die Welt in Brand stecken will. Sein Feuer war eines, das still brannte; er wartete auf Zeit und Gelegenheit und verstand die Kunst der Berechnung. Er schwieg, wenn er bei den Leuten im Dorfe keinen Glauben sah, blieb aber, wenn sie ihn einluden, eine Zeitlang in der Gemeinde und ließ sich die gute Aufnahme gefallen. Später ergab sich, dass die Tochter eines Hauses, in dem er gastlich gepflegt worden war, von ihm schwanger geworden war. Er hatte jedoch, um sie sich gefügig zu machen, ausnahmsweise keine Prophezeiungen und keine frommen Sprüche angewandt: der Religionseifer hatte gerade während dieser Zeit in ihm geruht, um sich in der Stille zu neuen Offenbarungen zu stärken.

Nach den Akten taucht er erst wieder um 1765 in der Gegend von Prenzlau auf. Seine Erscheinung war hier schon viel armseliger und sein Blick irrer geworden. Er war der Prophet, der in langer Beschaulichkeit zu der Gabe gelangt war, nach der seine Seele dürstete. Einmal trat er zu Dedelow in das Haus eines Schäfers, bat um einen Trunk Wasser und sprach dann, indem er die Schale aufhob, mit bedeutungsvollem Tone zu Mann und Frau: »Kinder, so ihr nur wüsstet, wer ich bin!« Als sie ihn fragten, wer er denn sei, fuhr er fort: »Ich bin der Bote Gottes, ausgegangen, seine Schafe zu suchen. Von mir ist im Propheten Micha IV, 8 geweissagt: Du Turm Eder, eine Feste der Tochter Zion, es wird deine goldene Rose kommen, die vorige Herrschaft, das Königreich der Tochter Jerusalem!«

Da er gläubige Zuhörer fand, führte er noch ein langes biblisches Gespräch mit ihnen, wie die Umkehr gerade in dieser Zeit not tue; es werde bald die Zeit kommen, dass die Gerechten das Land beherrschen würden, das verheißene Reich – das Hauptthema seiner Verkündigungen, über das sich seine Vorstellungen freilich erst später vollständiger ausbildeten.

In diesem Hause hatten die Funken gezündet. Mann und Frau baten den gottseligen Mann dringend, dass er länger bei ihnen verweile; er blieb also mehrere Tage bei ihnen und kam dann noch oft wieder. Diese Anhänger in Dedelow blieben ihm auch nach seinem Sturze treu; sie hielten ihn auch dann noch für einen Mann Gottes, als seine große Prophezeiung nicht eingetroffen war. Zu beiden hatte er nämlich gesagt, sie möchten auf das Jahr 1770 achtgeben, es werde da eine große Wandlung geschehen. Sie achteten also auf alles, was in diesem Jahre geschah, die Frau aber musste später vor Gericht eingestehen, es sei doch gar nichts Merkwürdiges in dem Jahre vorgekommen, der heilige Mann müsse sich wohl im Jahre verrechnet haben.

Bald war nun Rosenfeld nicht mehr der umherirrende Vagabund, den man hier auslachte, dort aus Mitleid und Neugier aufnahm. Sein Name war auf dem flachen Lande weit verbreitet, er kannte alle seine Anhänger in jedem Orte, und bald bildete sich eine stille Gemeinde um ihn her. Wo er anklopfte, wurde er freudig empfangen, man drang in ihn zu bleiben, jeder schätzte es für ein Glück, wenn der Mann Gottes bei ihm Einkehr hielt.

Nach und nach bildete sich nun auch die Methode heraus, mit der er den einfachen Leuten vom Lande am besten beikommen konnte.

Gewöhnlich fing er damit an, in vielen Bibelstunden, von der jetzigen Verderbtheit des Menschengeschlechts und der bösen Welt, in der Recht und Gerechtigkeit verdreht seien, zu reden. Das war ja das ewige Thema, das die Leute von den Zeloten aller Kanzeln immerfort zu hören gewohnt waren. Die Verderbtheit der Welt legt sich jeder aus, wie er Lust hat. Jeder hat über Unrecht, das ihm widerfahren ist, zu klagen, und die uckermärkischen Landleute hatten besondere Ursache dazu; denn der Siebenjährige Krieg war kaum vorüber, und schwere Abgaben, wie die harte Akzise, drückten sie neben anderen allgemeinen Nöten.

Wenn der Prediger auf diese Weise leichten Eingang bei ihnen gefunden hatte, folgten zuerst allerlei allgemeine Besprechungen von einem Erretter aus diesen Trübsalen, einem Wiederherstellet des gekränkten Rechts, einem Heiland und Erlöser. Zwar war ein solcher Heiland schon dagewesen. Er sprach sich über diesen wichtigen Punkt zuerst ungewiss aus und hielt sich in verschwommenen Ausdrücken eine Tür offen, um später, wenn er seine Zuhörer dafür reifer fände, noch mit anderen Offenbarungen darüber hervorzutreten. Inzwischen zitierte er Bibelstellen, die von einem zweiten, künftigen Heiland redeten, wie Matth. III, 11: »Und er hat seine Worfschaufel in seiner Hand; er wird seine Tenne fegen und den Weizen in seine Scheunen sammeln, aber die Spreu wird er verbrennen mit ewigem Feuer«, oder Röm. XI, 26: »Es wird kommen aus Zion, der da erlöse, und abwende das gottlose Wesen von Jakob.« Dazu kamen dann noch andere, in denen davon die Rede war, dass Christus zum zweitenmal auf die Welt kommen werde, um die Menschen zu richten. Daneben sprach er auch schon aus, der Jesus, der auf Erden gelebt habe, sei nur ein prophetisches Luftbild, eine Art Fata Morgana des Jesus gewesen, der noch kommen müsse und werde. Ja, wenn er Zuhörer vor sich hatte, deren Glauben ihn zu erwärmen schien, überkam es ihn wie ein heiliges Feuer der Erkenntnis, und er rief aus, Christus sei ein falscher Messias gewesen; der richtige sollte doch gekommen sein, um die Welt vor Sünde, Tod und des Teufels Gewalt zu erretten, und diese drei Dinge seien nach wie vor noch in der Welt; das sei kein rechter Christus gewesen, der gen Himmel gefahren wäre und seine Jünger im Stich gelassen hätte. Endlich ging er noch weiter und erklärte die ganze Heilsgeschichte für unwahr; das Neue Testament sei als Erdichtung zu verwerfen.

Nachdem er so weit gegangen war, ergab sich die praktische Folge von selbst. Er schalt auf die Prediger als Propheten der Unwahrheit, er eiferte gegen das Kirchengehen, gegen die Taufe, gegen den Genuss des Abendmahls, gegen alle geistlichen Bücher mit Ausnahme des Alten Testaments. Endlich zog er auch gegen alle weltlichen Obrigkeiten vom Dorfschulzen an bis zum Könige in den härtesten Ausdrücken zu Felde.

Es spricht für den wunderbaren Einfluss, den er schon auf die Gemüter dieser Einfältigen erlangt haben musste, dass wir von keinerlei Art Widerspruch hören. Das Landvolk in jenen Gegenden betrachtete die Obrigkeiten als von Gott eingesetzt. Wer musste der Mann sein, der sich sogar gegen einen König wie Friedrich den Großen solche Angriffe erlauben durfte? Und was mehr war als gegen den König und seine Diener, auch gegen die geistlichen Bücher, die sich in jenen Bauernfamilen als Heiligtümer von Kind zu Kindeskind vererben, und selbst gegen den Hauptteil der Bibel, gegen das Neue Testament? Das Volk gegen die Prediger aufzubringen, war an und für sich nicht schwer. In jenen Gegenden, in denen religiöse Schwärmerei immer eine Heimstatt gehabt hat, finden sich unter den Landleuten die allerstrengsten Kritiker nicht nur des Lebenswandels, sondern auch der Dogmen ihrer Geistlichen, und die geringste Abweichung von den alt überkommenen Vorstellungen macht sie zu den strengsten Richtern, Gegnern und Anklägern ihrer Pfarrer. Diesmal, vermutlich nach langer Dürre, schlug der Gewitterregen einer religiösen Begeisterung so tief in den durstenden Boden, dass er mit den Predigern auch die Postillen, Gesangbücher und sogar das Neue Testament fortschwemmte. Einer der neu Bekehrten, der Schlosser Zimmermann aus Berlin, warf nach einer Versammlung, in der Rosenfeld seinen ganzen Hass gegen die falschen geistlichen Bücher entladen hatte, seinen ganzen Vorrat davon ins Feuer.

Bei der späteren gerichtlichen Vernehmung seiner Jünger kamen zwar die verschiedensten Zeugnisse, je nach den verschiedenen Auffassungsgaben der einzelnen, zutage, in mehreren Punkten aber stimmten sie vollkommen überein; ja für einige Lesesätze bedienten sie sich sogar derselben Worte, die natürlich die des »Meisters« selbst waren. So hieß es, der auf Golgatha gekreuzigte Messias sei nur die Verheißung des künftigen; Christus sei verflucht, weil er am Holze gehangen habe, und wer an ihn glaube, sei verdammt – ein Punkt, in dem man eine Annäherung an die Grundsätze der Gnostiker zu entdecken glaubte –; die ganze Lehre von seiner Kreuzigung sei eine heidnische Fabel; der Christus, der zu Jerusalem seinen Einzug gehalten habe, sei ein Hurensohn, ein Dieb, ein Zuhälter. Durch das Abendmahl genössen die Menschen den Teufel; es sei ein Götzenopfer, vom Drachen gesetzt. Nach der Meinung der Christen heiße das ja nichts anderes, als Gott verschlingen. In der Taufe würden die Kinder dem Könige verkauft, der der Teufel wäre. Durch diese Taufe solle der unreine Geist ausgetrieben werden; demnach also müsse Gott den Menschen einen unreinen Geist eingegeben haben. Die Taufe sei nach Röm. VI, 3: »Wisset ihr nicht, dass alle, die wir in Jesum Christum getauft sind, die sind in seinen Tod getauft?« und 1. Kor. XV, 29: »Was machen sonst, die sich taufen lassen über den Toten, so allerdings die Toten nicht auferstehen? Was lassen sie sich taufen über den Toten?« ein Bund mit dem Tode. Die Obrigkeiten seien krumme Schlangen und der König ihr Oberster, nämlich der Beelzebub, der den Mammon mehr liebe als Gott. Der König sei der ägyptische Pharao, der rote Meerdrache, der große Drache.

Das wurde von Rosenfeld nicht allgemein figürlich oder etwa von den Königen im allgemeinen, sondern von dem damals regierenden König von Preußen, von Friedrich dem Zweiten, ganz speziell gesagt. Über den Markgrafen von  Schwedt führte er den staunenden Landleuten als bestimmte Tatsache folgendes an. Als ihn der Markgraf von Schwedt auf der Jagd einmal vertraulich gefragt habe, wer er, der Markgraf, nach Rosenfelds Meinung eigentlich sei, habe er ihm geantwortet: »Der Drache!« Der verstorbene Markgraf sei darauf nicht zornig geworden, sondern habe geantwortet: »Du hast recht, der bin ich auch.«

Von Rosenfeld scheint man nichts Schriftliches über seine Lehre zu besitzen. Entweder hütete er sich aus weltkluger Vorsicht davor, etwas niederzulegen, oder er ahmte größere Vorbilder damit nach. Von zweien seiner eifrigsten Anhänger und Apostel hat man dagegen einen Hirtenbrief, der in Abschrift dem Prediger Fehland zu Biesenthal, einer Domäne unfern Berlin, zugeschickt wurde. In diesem Briefe heißt es ganz im Stil der Apostelbriefe unter anderem auch über die Prediger: »Im Alten Testament hat Gott zwar Priester verordnet, im Neuen Testament aber wieder aufgehoben. Jeremias XXXI, 33, 34, sagt: ›Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben; und wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: Erkenne den Herrn!, sondern sie werden mich alle kennen, beide, klein und groß, spricht der Herr.‹ Die Priester sollten auch keine Platten tragen und den Bart nicht abscheren und ohne Fehl sein, welches ich bei den jetzigen Priestern nicht finde; sondern sie sind gestaffiert, so wie Baruch die Götzenbilder beschreibt. Und Pharao hatte auch Priester, und Pharao war doch der Drache; also waren die Priester im Lohn. Die jetzigen Priester treiben Kaufmannschaft, tun nichts um Christi willen, sondern um Geld, weil sie's um Geld empfangen haben. Welches ich ihm auf göttlichen Befehl zuschreibe, und ihm also verkündige, dass seine Uhr ausgelaufen ist, und seine Verführung wird ein Ende haben.«

Diese letzte Drohung galt dem schon genannten Prediger Fehland in Biesenthal, und der Verfasser des Briefes gestand auch, dass er ihn in der Absicht geschrieben habe, Fehland zur Verteidigung zu veranlassen; die letzte Stelle aber bedeute, dass über solche Irrlehrer das Gericht Gottes hereinbrechen werde. Der Verfasser dieses Briefes, Richter, einer der eifrigsten Rosenfeldianer, gestand auch, auf das Vorderblatt eines Gesangbuches geschrieben zu haben: »Fehland ist ein Hurenmeister; denn er verführt ja die Leute zur geistlichen Hurerei. Die Bilder in der lutherischen Kirche sind Bilderdienst und Abgötterei, also geistliche Hurerei. Das Gesangbuch ist ein Zauberbuch, denn es ist von menschlichen Händen gemacht, und Salomo sagt: Viel Predigen macht den Geist müde, und des Büchermachens ist kein Ende. Die Kirche ist in vielen Stellen der Bibel ein Hurenhaus genannt. Man braucht nicht in die Kirche zu gehen, wo noch dazu so viel Gotteslästerliches gepredigt wird; sondern man braucht nur fromm und in Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit zu wandeln.«

Die Gemüter seiner Anhänger schienen Rosenfeld mit diesen Lehren endlich so weit vorbereitet zu sein, dass er wagen konnte, mit dem großen Satze hervorzutreten, den freilich auch jetzt noch nur die Eingeweihtesten unter den Eingeweihten klar und deutlich zu hören bekamen: Der Heiland Jesus war nicht der wahre Heiland, also muss der wahre Heiland noch erscheinen, und dieser zweite Heiland bin ich selbst, von Gott zur Erlösung der Welt gesandt. Rosenfeld nahm nur einen nach dem andern in die Weihe dieser letzten Erkenntnis auf. Auf die Frage hin, weshalb er diese Vorsicht beobachtet habe, antwortete er: »Es  wäre ja töricht gewesen, gleich einem jeden zu sagen, dass ich der bin.«

Denen aber, denen er sich zu erkennen gab, versprach er, wenn sie ihm treu nachfolgten, ewiges Leben schon hier auf der Erde. Er sprach diese Versicherung so unbedingt aus und half sich nicht durch eine zweideutige, dunkle Verheißung, dass er im Gegenteil gegen die Prediger vorzugsweise um deswillen zu Felde zog, weil sie den Tod verkündeten. Wenn jemand von seinem Anhang starb, sagte er zu den Zweiflern, der Gestorbene hätte es noch nicht treu genug gemeint. Selbst vor Gericht wiederholte er diese Antwort: nur in diesem Punkte blieb er sich selbst bis zuletzt treu.

Über diese seltsamste und, wie es uns scheint, für ihn gefährlichste Lehre hatte er sich eine eigene Beweistheorie gebildet. Gott hatte die Menschen zunächst zum ewigen Leben geschaffen. Als aber der Mensch Gottes Gebot übertrat, fiel Gottes Zorn auf ihn und übergab ihn dem Tode. So herrschte der Tod von Adam bis auf Moses (Röm. V, 14). Moses führte die Kinder Israel aus Ägypten, legte ihnen Leben und Tod vor und gab ihnen die Wahl. Das bewies er aus 5. Mos. XXX, 15–19: »Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse. – Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, dass du das Leben erwähltest und du und dein Same leben mögest.« Das ewige Leben war nämlich die Verheißung, die Gott Abraham gegeben hatte. Aber alle waren ungehorsam. Da kam statt der Verheißung das Gesetz. Die Gnade kann nicht durch das Gesetz erworben werden. So kam der Zorn Gottes über uns, und wir müssen sterben, bis der Zorn Gottes ein Ende haben wird, das ist, bis Christus kommt, der der verheißene Same und des Gesetzes Ende ist. Der wird den Tod verschlingen und  den Bund mit dem Tode lösen. Dann sollen wir wieder im Lande wohnen, das Gott Abraham, Isaak und Jakob zugesichert hat. Gott will nicht das Leben wegnehmen. Auferstehen ist ablassen von Sünde, und Gott sagt: »Ich will ihnen heraushelfen von allen Arten, da sie Unrecht getan haben.«

Es versteht sich, dass jeder dieser Sätze, ja auch jedes Wort in ihnen durch Bibelstellen belegt war, die hier natürlich nicht aufgeführt werden können. Es bewährte sich jenes alte Wort, dass aus den Buchstaben der Bibel sich alles beweisen lässt, und noch besser aus denen ihrer Übersetzung.

Rosenfeld war sicherer geworden und sein Anhang größer. Er trat nunmehr vor allem mit der Erklärung hervor, dass er der wahre Messias sei, Gott der Sohn, der wahre, einzige allmächtige Gott, der Herr aller Herren und König aller Könige.

Seine Gemeinde glaubte alles. Solche Dinge hatte noch kein Religionsstifter seinen Anhängern verheißen. Wie sollten die, die an ihn glaubten, nicht alles für ihn opfern! Willig brachten ihm die armen Leute, was sie nur erschwingen konnten. Aber er selbst forderte nie etwas und äußerte nie seine Unzufriedenheit, wenn ihm das Geschenk etwa zu gering schien, wenigstens niemals in Gegenwart des Gebers. Er nahm alle Geschenke mit den Worten an, was sie ihrem Heiland Gutes täten, das täten sie sich selbst zugut. Später übte der neue Heiland eine andere Taktik, er nahm fast gar nichts mehr von seiner Gemeinde an und gab selbst von dem, was er schon erhalten hatte, einen ganzen Teil zurück. Es braucht kaum angedeutet zu werden, wie dadurch der Glaube seiner Anhänger wiederum neue Nahrung gewann.

Sein Lebensunterhalt war durch die Spenden, die ihm in  reichem Maße zuflossen, gesichert. Der Heiland war aber auch ein Mensch mit einem von Jugend auf sehr starken Geschlechtstrieb. Plötzlich vertraute er seinen Anhängern an, dass er den Schlüssel zum verschlossenen Paradiese und das Buch des Lebens besitze, das, nach der Beschreibung in der Offenbarung Johannis, mit sieben Siegeln versiegelt sei. Um das Erlösungswerk zu vollenden, müsse er die Siegel öffnen, und dazu müsse er sieben Jungfrauen haben.

Mit dieser merkwürdigen Forderung trat er schon während seines Aufenthaltes in Prenzlau hervor. Der Glaube seiner Anhänger war so blind, dass die im bürgerlichen Sinne höchst ehrbaren Leute vor der Forderung nicht erschraken; sie würden ihrem Heiland gern zu Dienst gewesen sein, aber sieben Jungfrauen waren in der Prenzlauer Gemeinde damals nicht aufzutreiben, und die Erfüllung seines Begehrens blieb bis auf eine spätere Zeit ausgesetzt.

Es entsteht die Frage, woher Rosenfeld solche Anhänger nahm, eine Frage, deren Beantwortung Gebiete berührt, die über unsere kriminalistische Sphäre weit hinausgehen. dass in Pommern, den Marken und Niederschlesien unter dem Volke eine große Neigung zur religiösen Sektiererei besteht, dafür liegen aus allen Zeiten Beweise vor. Vor allem unter Webern, Schneidern und Schäfern, die zu sitzender oder untätiger Lebensart verurteilt sind, wirkte gerade hier der beschauliche Sinn so mächtig auf die Phantasie ein, die aus der Armut der Umgebung keine Nahrung zu schöpfen fand, dass in ihnen das Verlangen nach einer unmittelbaren Offenbarung aus der übersinnlichen Welt rege wurde. Da ihre protestantischen Kirchen und die damaligen rationalistischen Prediger diesen Durst in keiner Weise stillen konnten, waren diese Armen darauf angewiesen, ihn aus anderen Quellen zu befriedigen, und dabei gelangten sie wohl auch oft zu trüben Brunnen. Das ist  freilich noch lange keine erschöpfende Erklärung für Erscheinungen dieser Art, die sich freilich überhaupt nicht völlig erklären lassen; aber es ist eine tatsächliche Wahrnehmung, dass solche Verirrungen in Gegenden, in denen eine reichere Natur die Phantasie des Müßigen anregt – bei den eigentlich Tätigen treten sie überhaupt weit seltener auf – lange nicht so oft vorkommen. Über die Schwärmer, Pietisten und Stillen im Lande während des philosophischen Jahrhunderts in den damals ruhigen Straßen Berlins, dem Halleschen Tore zu, aus denen sie freilich jetzt Lokomotivenlärm und Wagengerassel längst verscheucht haben, besitzen wir in Nicolais Schriften (»Sebaldus Nothanker«) Mitteilungen, die allerdings für die Geschichte interessanter sind als für die Philosophie.

Unter seinen Anhängern erscheint als einer der bedeutendsten der Schäfer Gumto, gebürtig aus dem Mecklenburg-Schwerinischen, der seine Bekanntschaft gemacht hatte, als er um das Jahr 1765 in Prenzlau in Diensten stand. Der Ruf des Wundermannes war aus den umliegenden Dörfern schon zu ihm gedrungen, als Rosenfeld eines Abends an seine Tür klopfte und um ein Nachtlager bat. Beide waren bald in einem eifrigen Gespräch, das sich zum größten Teil aus Bibelsprüchen zusammensetzte. Als beim Abendtischgebet der Name Jesus genannt wurde, sagte Rosenfeld: »Jesus mag wohl schon bei euch am Tische sitzen, ihr kennt ihn nur nicht.« Ehe er von der Familie Abschied nahm, schrieb er verschiedene Sprüche auf und empfahl Gumto, über sie nachzudenken. Als er dann wiederkam, besprach er diese Bibelstellen mit ihm. Nach mehreren Besuchen entdeckte sich Rosenfeld dem erstaunten Gumto und seinem Weibe als den Heiland der Welt, durch den alle erlöst und gerettet werden würden. Zwar sei schon einer vor ihm gewesen, der sich dafür ausgegeben  habe, aber der sei nicht der rechte gewesen. Er sei der erste Held, der die Menschen, ohne dass sie stürben, ins Himmelreich bringen könne. Die Prediger, die vom Tode redeten, seien Lügner. Er habe die Schlüssel des Paradieses und das Buch des Lebens. Das Buch des Lebens sei aber mit sieben Siegeln verschlossen, und um es zu öffnen, brauche er sieben Jungfrauen. Diese wären schon von Anbeginn der Welt an dazu ausersehen, und unter ihnen befänden sich auch die drei Töchter des Gumto, die er ihm übergeben müsse. Täte er es nicht, so würden alle Seelen über ihn Ach schreien. Wenn er selbst aber nicht der rechte Heiland sei, so sollten alle Strafgerichte und Flüche, die sonst auf Gumto fallen würden, ihn selber treffen.

Gumto war ein äußerst ehrlicher Charakter, dessen Frömmigkeit aber schon an Einfalt grenzte. Er war bereits so von Rosenfeld eingenommen, dass er alles glaubte, was dieser vorbrachte. Er erschrak über den Gedanken, dass alle Seelen verloren gehen und über ihn Ach schreien sollten. Aus wahrhafter Gewissensangst, durch seine Weigerung seine Mitmenschen ins Verderben zu stoßen, willigte Gumto in alles. Seine Töchter waren aber damals noch zu jung; die Eröffnung der sieben Siegel des Buches des Lebens wurde also aus diesem Grunde nochmals verschoben.

Gumto sollte übrigens der erste Märtyrer seiner Sekte werden. Nachdem er sich als Schäfer nach Lichen verdungen halte, wurde seine Verbindung mit Rosenfeld ruchbar. Man wollte hier keine Sektierer zu irdischen Schäfern haben und entließ ihn. Er ging nach Berlin und nährte sich hier als Tagelöhner, bis er aufs neue mit Rosenfeld in nähere Verbindung trat, alles, was er besaß, zur Glorie des neuen Heilands und zur Errettung des Menschengeschlechts opferte, endlich aber in vollem, ehrlichem  Glauben an ihn wider Willen zum Verräter an ihm wurde und sein Ende herbeiführte.

Eine Hauptstation in Rosenfelds Wirksamkeit wurde bald darauf das Städtchen Biesenthal, das vier Meilen von Berlin entfernt liegt und damals von allen Hauptstraßen abgelegen war, während man es jetzt auf der Stettiner Eisenbahn in einer halben Stunde von Berlin aus erreichen kann. Diese isolierte Lage hat dort auch zu anderen Zeiten Impulse eigentümlichen Lebens hervorgerufen, und auch der neue Heiland fand hier außerordentlichen Zulauf. Sein Anhang wurde so zahlreich und trat zugleich so laut auf, dass man jetzt von seiner Person und seinem Treiben auch in Berlin hörte.

Ein erstes offizielles Dokument über ihn ist der Bericht des Amtes Biesenthal an die Regierung vom 19. August 1768, in dem es heißt, dass das ganze Städtchen voll Unruhe sei; ein gewisser Rosenfeld gebe sich für den Messias aus und lebe davon. Sein Anhang bestehe schon aus fünfundzwanzig Personen, mit denen Polizei und Justiz nicht mehr auskommen könnten. Die ganze Stadt sei erregt und in zwei sich heftig bekämpfende Lager geteilt: Gläubige und Ungläubige. Die Rosenfeldianer nämlich suchten die anderen zu bekehren, und in ihrem Eifer gegen die Unbekehrten störten sie oft den Frieden zwischen den Eheleuten und wiegelten die Kinder gegen ihre Eltern auf. Niemand sei in dieser Hinsicht eifriger als der Garnweber Glanz, der den neuen Messias in seinem Hause aufgenommen habe. Die aber, die sich nicht von ihm bekehren lassen wollten, seien nun andrerseits ebenso ergrimmt über seinen Bekehrungseifer und hätten ihm die Fenster eingeworfen. Ja sie hätten sogar gedroht, sein Haus in einen Steinhaufen zu verwandeln, wenn er nicht von Rosenfeld abließe, ihn fortjage und die sektiererischen Versammlungen  einstelle. Glanz aber sei so vernarrt in den neuen Heiland, dass er sich aus alledem nichts mache, und so sei das Äußerste zu befürchten.

Dazu kam es jedoch nicht. Rosenfeld wurde mitten in einer Gläubigenversammlung aufgehoben und verhaftet. Der Weber Glanz, sein Wirt, wollte durchaus zum Märtyrer für ihn werden und bat, ihn mitzuverhaften. Das wurde ihm diesmal aber noch nicht gewährt. Dagegen trat unerwartet ein anderer seiner Anhänger als sein Ankläger auf, Richter. Dieser Mann, der ihm bis dahin treu ergeben war und uns schon als der Verfasser oder Mitverfasser des angeführten Hirtenbriefes bekannt ist – auch der Beweis für das ewige Leben auf Erden soll von ihm herrühren –, also jedenfalls einer der bedeutendsten und tätigsten Anhänger seiner Sekte, gab zu Protokoll, er halte sich für verpflichtet, die Irrlehren des Bösewichts Rosenfeld dem Gericht anzuzeigen. Rosenfeld behaupte nämlich, der Heiden Zeit sei um; er sei als Jesus und Gott gekommen; wenn er nur erst die vierundzwanzig Ältesten zusammengebracht habe, würde er den königlichen Stuhl umstoßen, dem Könige das Schwert abfordern und mit seinen vierundzwanzig Königen den ganzen Erdkreis richten. Seine Anhänger brauchten nicht mehr zu arbeiten. Er, Rosenfeld, werde jetzt gefangen gesetzt werden: zum sechsten und zum letzten Male – er war wirklich schon fünfmal, wahrscheinlich aber nur wegen Vagabundierens arretiert gewesen –; wenn er dann wieder entlassen werde, gehe sein königlicher Stand an. Übrigens treibe Rosenfeld mit den Töchtern seiner Anhänger Unzucht.

Derselbe Richter, der seinen Meister hier so hart anklagte, erscheint aber bald darauf wieder als sein getreuester Anhänger, ein neuer Beweis für die ungeheure Macht, die Rosenfeld innewohnen musste. Richter schlug freilich  später noch einmal um, da seine gesunde Vernunft zuletzt doch noch die Oberhand behielt.

Unerschüttert ging dagegen der Weber Glanz am anderen Tage aufs Amt, um seinen gefangenen Meister zu besuchen. Dabei erklärte er laut, Rosenfeld sei der Gesalbte des Herrn, er wisse von keinem anderen und lasse nicht von ihm. Er tobte so lange, bis man es für geraten fand, auch ihn festzunehmen. Dem einundfünfzigjahrigen Manne, der als ein höchst fleißiger und ordentlicher Arbeiter bekannt, aber bei seinem beschränkten Verstand und seiner tiefsinnigen Gemütsart enthusiastischer war als irgendein anderer Anhänger der Sekte, ja als deren Meister selbst, konnte nichts willkommener sein, und er drängte sich ordentlich zu dem Verhör, um seinem Bekenntnis, das ihn bedrückte, Luft zu machen.

Zur Beichte war er seit zwei Jahren nicht gegangen, aber nur, weil er den Beichtgroschen nicht hatte erschwingen können. Dagegen antwortete er auf die Frage, ob er nicht wisse, dass Zusammenkünfte, wie sie in seinem Hause gehalten würden, verboten wären, man käme ja auch ganze Nächte zusammen, um Karten zu spielen. Feierlich und fest erklärte er, dass er Rosenfeld für den Messias halte, denn die Schrift lehre es ihn, wobei er sich wieder auf den Spruch Micha IV, 8: »Du Turm Eder, eine Tochter der Feste Zion« usw. berief. Außerdem sage es ihm der Geist Gottes, denn er bitte Gott täglich mit Seufzen, ihm den rechten Weg zu Gott zu zeigen, und im Gewissen sei er fest davon überzeugt, dass Rosenfeld selbst Gott sei. Rosenfeld verspräche ihnen das Gnadenreich, das auch der alte Gott ihnen versprochen habe. Es werde schon hier auf der Erde aufgerichtet werden, wo ja auch das Paradies gewesen sei, und in der Heiligen Schrift stände ganz deutlich, die Gerechten sollten das Erdreich besitzen ewiglich.

Auf die Frage hin, ob Rosenfeld nicht gesagt habe, dass nach seiner Gefangenschaft seine königliche Herrschaft beginnen würde, erklärte er, davon wisse er nichts; nur das sei ihm bekannt, dass in der Schrift stehe: »Aus sechs Trübsalen will ich dich erretten, und in der siebenten soll dir kein Leid widerfahren.« dass Rosenfeld mit seinen Töchtern Unzucht verübt habe, sei ihm nicht bekannt; als man ihn aber ganz allgemein fragte, ob er das für etwas Unrechtes halte, rief er aus: »Nein, Rosenfeld hat einen göttlichen Geist, er ist ein Gesalbter des Herrn. Bei anderen wäre es freilich eine Sünde.«

Noch entschiedener und fanatischer äußerten sich einige andere in Biesenthal verhaftete Sektierer, ein gewisser Beck und seine Frau und ein gewisser Seifart uno seine Frau. Auch diese vier erklärten, dass Rosenfeld der wahre göttliche Messias sei, und protestierten heftig gegen Jesus und seine Göttlichkeit. Ihr Vertrauen ging noch weiter als das des Webers Glanz. Sie erklären einstimmig, wenn ihr Herr und Meister Rosenfeld nur erst stark genug wäre, würde er die königliche Majestät selbst vom Throne stürzen und nötigen, ihm die Schuhe nachzutragen. Ein Rosenfeldianer könne mit der Frau und der Tochter eines jeden Glaubensgenossen verkehren, nur nicht mit Christen, das wäre ebenso, als wenn er es mit Vieh täte. Wenn das Jahr 1770 herankomme, würde man alles das über Christus erfahren, was sie jetzt nicht sagen dürften.

Die Untersuchung zog sich sehr in die Länge, da man von Gerichts wegen nach allen Orten schrieb, in denen eine Voruntersuchung gegen Rosenfeld stattgefunden hatte. Inzwischen wurde im Dezember 1769 ein Urteil gefällt, dessen wesentlicher Inhalt der war, dass Rosenfeld im Berliner Irrenhause bis zur Probe seiner Besserung eingesperrt  werden, jeder seiner Anhänger aber zur Strafe ein Jahr lang in Spandau sitzen solle.

Dadurch ward das Übel aber nur noch ärger. In Biesenthal wuchs die Gemeinde, die so viele Märtyrer aufzuweisen hatte, von Tag zu Tag. Besonders tätig waren die zurückgebliebenen Glieder der Glanzschen Familie, Sie wollten sich ihres Familienhauptes würdig zeigen. Dem Verbot und der Strafe zum Trotz versammelten sie sich wieder in demselben Hause, nur in noch größerer Zahl, und verkündeten laut jedem, der es hören wollte, der neue Messias werde wiederkommen mit Feuer und Schwert, und der Prediger Fehland würde das erste Schlachtopfer sein.

Es entstand ein förmlicher Tumult. Einige drangen zum Prediger Fehland selbst ins Haus und betrugen sich gegen ihn auf die unanständigste Weise. Es schien, als ob sie noch Schlimmeres gegen ihn im Schilde führten. Man warf zerrissene Blätter eines Gesangbuches aus dem Fenster und rief den Kindern zu, sie sollten damit Karten spielen.

Besonders tätig war dabei jener abtrünnige Gläubige, der kurz vorher eine Art Judasrolle Rosenfeld gegenüber gespielt hatte. Die Strafen, zu denen der Meister und seine Bekenner verurteilt worden waren, hatten eine andere als die erwartete Wirkung in ihm hervorgebracht. Er empfand sein ganzes Unrecht, einen solchen Mann verlassen zu haben, der nun im hellen Glorienschein des Märtyrertums strahlte. Derselbe Richter, der seinen Meister bei den Gerichten als Bösewicht angegeben hatte, bekannte sich in raschem Umschlag wieder zu seiner Lehre und versäumte nichts, um seine Reue und seinen wiedergewonnenen Glauben vor den Leuten leuchten zu lassen. Jetzt schrieb er den oben angeführten Hirtenbrief an die Gemeinde  und die anklagenden Stellen vorn in das Gesangbuch, und er schrie seinen Glauben so laut und ungestüm durch die Straßen aus, dass man genötigt war, jetzt auch ihn zu verhaften und auf ein Jahr nach Spandau zu schicken.

Auf die Frage hin, wie er zu seinen früheren Angaben komme und wie er jetzt sein Urteil darüber so schnell habe ändern können, erklärte Richter, seinen Aussagen habe das Gerede der Leute von der Unzucht, die Rosenfeld getrieben habe, und der Schwängerung des Mädchens in Stendal zugrunde gelegen; das Gerücht von dem unzüchtigen Verkehr aber beruhe auf Unwahrheit, und was die letztere beträfe, so wisse Rosenfeld jedenfalls, warum er es getan habe, da er nie etwas Unrechtes machen könne. Im übrigen müsse er den Rosenfeldschen Lehren beipflichten, weil er sie in der Heiligen Schrift begründet finde. Den Prediger Fehland aber könne er nur für den Teufel halten, denn er predige vom Tode, und nur durch des Teufels Neid sei der Tod in die Welt gekommen.

Rosenfeld befand sich wahrend dieser Zeit bei nicht zu strenger Haft in Berlin. Das Irrenhaus trug nur dazu bei, seine Glorie in den Augen seiner Anhänger zu vermehren. Sein treuer Gumto und dessen Familie beschlossen, alles zu tun, was in ihren Kräften stehe, um den Heiland, der für sie litt, für seine Leiden zu entschädigen, und Rosenfeld nahm diese Untertanentreue gnädig hin.

Er forderte von ihnen jetzt etwas, was wirklich der Autorität der Akten bedarf, um geglaubt werden zu können. Gumtos Frau musste auf ihres Mannes Befehl ihre nunmehr fünfzehnjährige Tochter, die sich bei Verwandten in der Nähe von Templin aufhielt, nach Hause holen. Auf dem Wege nach Berlin sagte sie ihr, sie solle  Rosenfeld vorgestellt werden und dabei nur ja genau acht haben auf dessen Worte und Vermahnungen und ihnen Folge leisten. Was Rosenfeld sage, sei recht, ihr bisheriger Glaube sei irrig, und sie wäre ewig verflucht, wenn sie Rosenfelds Lehre nicht annehme. Unterwegs nahm man noch einen Mann und eine Frau aus der Biesenthaler Gemeinde mit, um der Pilgerfahrt die rechte Weihe zu geben, und kurz vor Berlin wurde der jungen Dirne mitgeteilt, dass sie eine der sieben Jungfrauen werden solle, zu der sie schon durch die Geburt bestimmt sei, und müsse deswegen alles tun, was Rosenfeld ihr sagen und von ihr verlangen würde.

Die vier Personen kamen gegen Abend im Irrenhause an und wurden vom Türhüter in eine besondere Stube gewiesen. Rosenfeld, den man von ihrer Ankunft benachrichtigt hatte, erschien. Er fragte das Mädchen, ob sie eine Braut Christi werden wolle. Sie antwortete: »Ja!« Er fuhr fort, dann müsse sie auch alles tun, was er von ihr verlange; ob sie das aufrichtig wolle? Als das Kind auch hierauf mit Ja antwortete, legte er es auf ein dastehendes Bett und vollzog im Angesicht der eigenen Mutter, ihres nachmaligen Schwagers Lünemann und einer Frau Naumann den Beischlaf mit dem Mädchen. Dann sprach er: »Dies ist die Versiegelung, durch die wir beide aufs festeste miteinander verknüpft sind. Durch sie musste ich mich überzeugen, dass du vorher noch mit keiner Mannesperson zu tun gehabt hattest. Mache dir fortan auch mit keiner zu schaffen, wenn du nicht ewig verloren gehen willst.« Zugleich aber ermahnte er die Umstehenden, seinem Beispiel hierin nicht nachzufolgen. Denn was er getan habe, stehe nur ihm frei, da er ja der Christ sei, von dem geschrieben stehe, dass er kommen solle. Dann blieben die fünf Personen noch etwa eine Stunde beisammen, das  Mädchen aber wurde zu ihren Verwandten zurückgebracht, bei denen sie gegen vier Jahre blieb.

Im März 1771 berichteten die Inspektoren des Berliner Irrenhauses, Rosenfeld sei ein wahrhaftes Muster von Liebe und Mitleid; den Elenden in der Anstalt sei er aus eigenem Antriebe unverdrossen und gern zur Hand gegangen, habe die Kranken fleißig abgewartet und sich als ein treuer Gehilfe der Wärter gezeigt. Sie möchten ihn deshalb nur ungern missen, aber er bitte doch allzu dringend um seine Entlassung. Da auch der Arzt des Hauses berichtete, dass Rosenfeld sich ordentlich und ruhig aufgeführt habe und sein Geist nichts weniger als zerrüttet sei, wurde seine Entlassung verfügt, jedoch unter der Bedingung, dass sich Rosenfeld bei einem bekannten guten Bürger einmiete, der für den Fall, dass sich abermals schwärmerische Religionsideen bei ihm einstellen sollten, angehalten werden solle, darüber sofort dem Magistrat zu berichten.

Dieser bekannte gute Bürger fand sich auch sogleich in der Person des Schlossermeisters Zimmermann in Berlin, der ihn willig aufnahm und sich für ihn verbürgte, weil – er einer seiner eifrigsten Anhänger war, ohne dass die Behörden davon Kenntnis hatten. Zimmermann, sonst ein rechtlicher, fleißiger Mann, hatte sich im Zorn an dem Präfekten des Werderschen Singechors vergriffen und musste deshalb auf kurze Zeit in Spandau sitzen. Hier hatte er die Rosenfeldianer kennengelernt und wurde, noch ehe er Rosenfeld selbst gesehen hatte, eines der eifrigsten Glieder ihrer Gemeinde. Nachdem er aus der Haft entlassen worden war, wurde der redliche Bürger und fleißige Handwerker einer der fanatisiertesten Schwärmer für den neuen Heiland. Er vernachlässigte seinen Beruf, behandelte seine vernünftige und gute Frau, die sich  von ihm nicht wollte bekehren lassen, in brutalster Weise und lag nur im Irrenhause, um Rosenfelds Lehren anzuhören. Er war so ganz von seinen Lehren beseligt, dass er es für das größte Glück hielt, als Rosenfeld ihm im Mai 1771 ins Haus gegeben wurde.

Die Bedingung, dass Rosenfeld Berlin nicht verlassen sollte, wurde schlecht erfüllt. Zimmermann starb bald darauf, und niemand kümmerte sich um den neuen Messias. Er zog zu einem anderen Wirt und versuchte auch in Charlottenburg seine Gemeinde zu vergrößern, wo aber schon eine andere religiöse Sekte, die Musefeldsche, grassierte und infolgedessen sein Anhang gering blieb.

Im Jahre 1775 schlug er seinen dauernden Wohnsitz in Berlin auf, und mit einer Frechheit, wie sie nur ihm zuzutrauen war, schrieb er an seine Anhänger Befehle aus, ihm nunmehr die sieben Jungfrauen zuzuführen, damit er mit ihnen an das große Erlösungswerk gehen könne. Niemand machte Einwendungen. Der Schäfer Gumto lieferte drei Töchter, der Weber Glanz aus Biesenthal zwei, und zwei ein anderer Anhänger mit Namen Meyer. Alle beteuerten später, als reine Jungfrauen zu Rosenfeld gekommen zu sein, und nach ihren naiven Aussagen in den Protokollen darf man ihrer Versicherung vollen Glauben beimessen.

Es gibt einen Kupferstich von Chodowiecki, der den Sultan Rosenfeld in seinem Serail vorstellt. Er zeigte sich den armen, ihm in dummem Vertrauen zugeführten Geschöpfen gegenüber wirklich als kaltherziger, grausamer Wollüstling orientalischer Art. Nur eine von ihnen liebte er, wenn dieses Wort hier überhaupt passt; sie war seine Favoritin, seine nächtliche Bettgenossin, und er zeugte auch drei Kinder mit ihr, von denen jedoch nur eines am Leben blieb. Die anderen waren seine Sklavinnen, Sklavinnen  seiner Lust, die er zu sich rief und wieder fortschickte, wie es ihm passte, aber auch Sklavinnen im buchstäblichen Sinne, die für ihn arbeiten und vom Morgen bis in die späte Nacht hinein Wolle für ihn spinnen mussten: sechs arme Mädchen, einige davon kaum über das Kindesalter hinaus, mussten den in seiner Wollust und seiner Faulheit bequem dahinlebenden Mann allein ernähren. Um diese Zeit war es, dass Rosenfeld die Geschenke und Opfergaben seiner Anhänger abwies; er lebte vom Erlös der Arbeiten der armen geplagten Geschöpfe. Ihr Leben war wirklich jammervoll: er prügelte sie und ließ sie hungern. Denn ein ausgesprochener Grundsatz war, sie dürften sich nicht satt essen, sondern müssten nüchtern bleiben, um das Himmelreich zu schauen und das Werk zu vollenden; alles weltliche Fleisch müsse heruntergefastet werden. So tyrannisch und, wie sich dabei von selbst versteht, auch misstrauisch war sein Regiment, dass er den armen Geschöpfen nicht einmal erlaubte, mit ihren Eltern zu reden, ja, er verhinderte, dass sie sich auch nur untereinander besprachen.

Die Favoritin war die eine Tochter seines enthusiastischen Anhängers Glanz. Je mehr er sie auszeichnete, um so schnöder behandelte er ihre Schwester, die das Unglück hatte, von der Favoritin trotz der nahen Verwandtschaft aufs tödlichste gehasst zu werden. Die Arme konnte es nicht mehr aushalten und entlief einmal, von Hunger und Kummer überwältigt, zu ihrer Mutter. Aber Rosenfeld erschien vor der Tür und drohte, wenn sie nicht wiederkäme, gehörte sie nicht zu den sieben glücklichen Jungfrauen, sondern sei ewig verdammt und verloren. In unglaublicher Befangenheit und Verblendung zwang die Mutter ihre Tochter, zu dem furchtbaren Manne zurückzukehren. Das Mädchen klagte einer ihrer Leidensschwestern,  einer Gumtoschen Tochter, gegenüber: »Meine Schwester und Rosenfeld haben mir schon das Mark aus den Knochen gesogen; jetzt geht's aufs Herz los, das werden sie auch bald abfressen.« Sie hatte richtig prophezeit. Die Unglückliche starb bald darauf.

Sie war nicht die einzige, die die harte Behandlung nicht aushalten konnte. Eine andere seiner Beischläferinnen namens Meyer ging von ihm fort und war kaum zu ihren Eltern zurück, als der Tod sie ereilte. Auch die Töchter des frommen und gläubigen Gumto entliefen. Alle diese Vorgänge empörten weder die Eltern, noch öffneten sie den Anhängern Rosenfelds die Augen. Keine Beschwerde und keine Klage wurde laut, ja, zwei von Rosenfelds ältesten und eifrigsten Anhängern in Berlin heirateten sogar zwei von den Gumtoschen Töchtern. Es schien also, als hätten sie dem Meister tatsächlich das Recht der ersten Nacht bei ihren Bräuten zugestanden, und als fühlten sie sich geehrt, ihre so geweihten Frauen aus seiner Hand zu empfangen. Es ist übrigens in den Akten bemerkt, dass der Wollüstling bei seinen Frauen so zu Werke ging, dass er nach dem Gange der Natur nur von seiner Favoritin Vater werden konnte. Diese Andeutung darüber, auf welche Weise er die anderen armen Geschöpfe seiner Lust dienstbar machte, muss hier genügen; er zeigt sich hierin so kalt und grausam berechnend und so geübt in der Selbstenthaltung, dass die Vorstellung eines von seinen eigenen Wahngebilden umdüsterten Schwärmers damit vollständig ausgeschaltet wird.

Die beiden Anhänger, die sich mit seinen Beischläferinnen verheiratet hatten, hielten nun noch viel fester zu ihm. Sie gerieten dann beide, der eine, Richter, im Jahre 1778, der andere, Lüdemann, im Jahre 1779, mit den Predigern ihres Kirchspiels in Streit, weil sie ihre neugeborenen Kinder  nicht taufen lassen wollten. Des einen Kind starb bald, das des andern blieb wirklich ungetauft. Bei den Verhandlungen, die aus diesem Anlass stattfanden, erklärte Lüdemann neben anderem auch allen Ernstes, dass er nicht zu sterben hoffe. Aber 1781 äußerte er, doch etwas zweifelnd, er wisse jetzt noch nicht, ob Rosenfeld recht habe oder nicht. Zwar sei ihm sein fleischlicher Umgang mit den sieben Mädchen bedenklich; aber er könne darüber doch noch nichts sagen: es werde jedoch nicht mehr lange dauern, dann müsse sich alles herausstellen.

Erst im Jahre 1780 kam die ärgerliche Sache wieder zur öffentlichen Kenntnis, und zwar durch die Denunziation eines der eifrigsten Anhänger der Sekte. Der alte, ehrliche Schäfer Gumto reichte beim Könige Friedrich II. Klage gegen Rosenfeld ein, aber nicht zu dem Zwecke, dass die Untersuchung gegen ihn eröffnet und er bestraft werden möchte, sondern darüber, dass er nicht erfüllt habe, was er versprochen habe. In rührender Einfalt klagte der Schäfer seinem Könige die Undankbarkeit des neuen Messias, dem er doch fünfzehn Jahre lang treu gewesen sei und alle seine drei Töchter gegeben hätte, weshalb er jetzt in Armut, Spott und Verachtung geraten sei. Er wisse nun nicht mehr aus und ein, was er mit Rosenfelds Lehre anfangen solle; und so bäte er den König, den Rosenfeld zu prüfen, ob etwa seine Lehre nicht die rechte sei und er selbst nicht der rechte Messias sei, was er jedoch nicht glauben könne. Wenn es aber so wäre, dann möchte der König ihn bestrafen.

Aber in derselben Eingabe erklärte der ehrliche Mann, als gereue ihn schon, einen solchen Mann angeklagt zu haben: was an ihm sei, so halte er sich nach der Schrift und nach der Vernunft für völlig überzeugt, dass Rosenfeld  wirklich der sei, für den er sich ausgegeben habe, nämlich – der gerechte und lebendige Gott.

Das war in der ganzen Weltgeschichte wahrscheinlich noch nicht vorgekommen. Der Anhänger einer neuen Lehre, noch im Glauben, dass sein Meister sein Gott sei, verklagt diesen seinen Gott bei der weltlichen Obrigkeit, bei demselben Könige von Preußen, der nach dieser Lehre der große Drache ist, und bittet diesen, dass er ihm seinem Gott gegenüber zu seinem Rechte verhelfe. Das spricht deutlicher als irgend etwas von Gumtos Begriffsvermögen, dem das der meisten Anhänger Rosenfelds höchstwahrscheinlich durchaus glich. Es verrät aber zugleich den loyalen Geist – oder Instinkt – dieser rechtschaffenen preußischen Bürger, die auch in religiösen Dingen den letzten Schutz und den letzten Quell der Erkenntnis bei ihrem Könige suchten.

Durch diese Klagen wurde die Sache mit den sieben Siegeln und den sieben Jungfrauen zum erstenmal bekannt. Friedrich der Große duldete vieles, was unsere Sittlichkeitspolizei nicht duldet; aber das durfte er nicht dulden, und die gerichtliche Untersuchung und der Kriminalprozess gegen Rosenfeld wurden eingeleitet.

Aus den Aktenauszügen dieses Prozesses erfahren wir weniger den äußeren Gang der Verhandlungen, als die Lehrsätze und die innere Geschichte der Sekte. Der Prozess selbst mag einfach genug gewesen sein, da Rosenfeld sich im allgemeinen nicht aufs Leugnen legte, sondern da, wo es sich um Tatsachen handelte, ein freies, unumwundenes Geständnis ablegte. Über die zarte Grenze, wo er als Betrüger und wo er als selbstbetrogener Schwärmer und Fanatiker erscheint, werden auch die Akten schwerlich Aufschluss geben. Es muss daher jedem überlassen bleiben,  aus den folgenden Mitteilungen sich selbst eine Meinung zu bilden.

Rosenfeld, mit Vornamen Johann Paul Philipp, war 1731 im Eisenachschen geboren. Er war von gesunder, fester Leibesbeschaffenheit und erinnerte sich nicht, jemals krank gewesen zu sein. Aber der Hang zum weiblichen Geschlecht war nach seinem eigenen Geständnis schon von früh an in ihm mächtig. Nach dem Gutachten der Ärzte fand sich bei ihm keine Spur von geistiger Minderwertigkeit oder Gemütskrankheit; vielmehr bewies er in allen Gesprächen viel Geistesgegenwart und einen scharfen Verstand, aber legte dabei immer ein scheinheiliges, kriechendes Wesen an den Tag.

Rosenfeld stammte aus einer guten Familie. Sein Vater war Kriegs- und Kammerrat in Weimar gewesen und als Landrat in Stuttgart gestorben. Die Schwägerin seines Vaters, dessen Bruder Kammergerichtsrat in Berlin gewesen war, lebte dort noch während seiner sektiererischen Umtriebe. Rosenfeld hatte eine einigermaßen gelehrte Erziehung genossen, aber keine sittlichen Vorbilder in seinem elterlichen Hause gesehen. Der Vater lebte mit der Mutter fortwährend in Streit, und der Sohn stand bei diesen Zwistigkeiten auf seiten des Vaters, der mehrere Mätressen unterhielt. Später wurde Rosenfeld zu einem Landprediger in Pension gegeben, auf den er aber übel zu sprechen war. Einst sagte er vor Gericht: »Wenn ich auf die Prediger schimpfe, so meine ich solche, die wirklich falsche Lehren vorbringen, die so sind wie der Magister Schenk. Wenn ich mit seinem Paten Christian spielen musste, und der gewann, so sagte er: »Ach, der Christian behält doch die Oberhand über den Johann.« Der Christian ist nachher Apotheker geworden und der Magister Schenk ohne Erben gestorben.« Er hielt es für das entsetzlichste  Schicksal, aus der Welt zu gehen, ohne Kinder zu hinterlassen.

Als er erwachsen war, wurde er Jäger, weil ihm dieser Beruf bei seiner unsteten Art am besten zusagte. Er schickte sich aber schlecht zum Dienen und hatte in fünfzehn Monaten drei Herrschaften. Endlich gelang es ihm doch, eine Unterförsterstelle beim Markgrafen von Schwedt zu erlangen, bei dem er längere Zeit aushielt; er verheiratete sich in dieser Zeit und zeugte vier Kinder. Aber auch hier hielt er es auf die Dauer nicht aus. Er klagte bitter über das ihm durch die Oberförster widerfahrene Unrecht. Gewiss ist, dass er wegen einer falschen Holzassignation zur Untersuchung gezogen, aber freigesprochen wurde. Das habe, wie einige Zeugen versicherten, seinen Verstand zerrüttet. Dazu machte seine Mutter ein Testament, durch das sie ihn zum Besten seiner Kinder enterbte. Mit seiner Frau lebte er in dauerndem Unfrieden; er warf ihr und ihrer Mutter vor, es mit seinen Feinden gehalten und ihn verraten zu haben, wozu sie durch einen Prediger verleitet worden seien.

Genug, er verließ den Dienst, tief ergrimmt über die Prediger, die Weiber und die ganze Gerechtigkeit in dieser Welt. Von seiner Frau betrachtete er sich als gänzlich geschieden. Überall, wohin er kam, sprach er davon, dass jetzt die Weiber das Regiment über die Welt führten. Er erklärte den Leuten, er fühle sich berufen, dieses Übel abzustellen und das Mannerrecht, wie er es nannte, wieder einzuführen.

Während er nun von Ort zu Ort umherirrte, bildete sich in dem zerstörten Gemüte des Mannes ein fixer Gedanke aus, der sich zu einem System erweiterte, an das er zum Teil selbst geglaubt haben mag, aus dem er aber auch mit voller Berechnung die Vorteile für sich zog,  sobald er die Wirkung auf andere gesehen hatte. Im Müßiggang, zu dem er von früh an Neigung gehabt hatte, brütete er über einen Lebensplan, der seinen Leidenschaften, vor allem seiner Wollust, volle Nahrung versprach und zugleich sein Rachegefühl gegen die Obrigkeit und die Weiber, die ihm unrecht getan hatten, befriedigen konnte.

Vom Jahre 1762 an zog er dann im Lande umher, um seine Lehre zu predigen. Da er ohne Pass und ohne Geld war und jämmerlich zerlumpt aussah, griff man ihn mehrmals auf und steckte ihn ein, zweimal in Schwedt selbst, dann auch in Frankfurt an der Oder, in Magdeburg und in Bedra zwischen Leipzig und Naumburg, immer über nur auf kurze Zeit und nur als Bettler und Vagabunden. Für einen neuen Religionsstifter fehlte der Polizei zu Ende des Siebenjährigen Krieges die Rubrik.

Als man ihn nach seiner ersten Verhaftung wegen Religionsunfugs in Biesenthal vor Gericht gestellt hatte, trat er kühn auf und legte sein Glaubensbekenntnis, anscheinend in vollem Bewusstsein seiner göttlichen Sendung, ab. Es lautete im wesentlichen dahin:

Er gehe nicht in die Kirche; denn er fände in der Schrift keinen anderen Glauben als den, den Abraham, Isaak und Jakob auch gehabt haben, die ja auch fromme Männer gewesen seien. Gottes Tempel sei einzig und allein unser Herz; Gott wolle nicht steinerne Tempel haben. In der Kirche geschähen gotteslästerliche Sachen, weil man da sage, die Heilstatsache sei schon abgeschlossen, während doch in der Bibel, besonders in der Offenbarung Johannis, stehe, dass erst noch alles geschehen solle. Er glaube an das tausendjährige Reich, das in diesen Tagen schon angegangen sei. Er selbst habe es herbeigeführt, denn er habe Gottes Stimme gehört, Hebr. IV. Er gehe  täglich zum Abendmahl; denn er genieße ja Brot und Wein, das Gott gegeben habe; wer beides unrecht gebrauche, sei schuldig am Blute des Herrn. Christus hätte es selbst nur so gemeint: zusammenzukommen, ordentlich zu essen und dabei an Gott zu denken. Die Taufe verwarf er nicht; doch käme es aufs Wassertaufen nicht an; Gott sage ja selbst, wir könnten auch mit Feuer getauft werden. Er glaube nur an einen Gott, der aber drei Eigenschaften besitze. Er habe sich noch nicht so schlechtweg für den Messias ausgegeben, sondern nur gesagt, wer nach Gottes Gesetzen und Rechten einhergehe, der ist mit dem heiligen Geist gesalbt; Obadj. 21 stände, es würden Heilande heraufkommen, die würden die Welt richten; es werde also zugegeben, dass Christus nicht der einzige gewesen sei, und solche werden Könige und Priester sein. Seinen Anhängern habe er Königreiche versprochen nur in dem Sinne, indem uns die Schrift Gesalbte und Könige nennt. Er habe keine Soldaten, könne infolgedessen auch den König nicht absetzen. König sei ein jeder, wenn er nach Gottes Gerichten über sich selbst herrsche. Der König sei der große Drache; weil, wie der Drache alles verschlinge, so der König ein Schwert habe, uns alle zu töten, wenn wir sündigen. Die Leute brauchten nicht mehr zu arbeiten, wie auch bei Zacharias stehe, wenn die Zeit komme, dürfe man nicht mehr arbeiten; gemeint sei damit nur: auf so eine sklavische Weise. Er glaube, er sei in der Wahrheit und im Rechte. Was seinen sittlichen Lebenswandel betreffe, so habe er sich mit der Richter in Stendal nur abgegeben, weil seine Frau ihn verlassen habe, und das halte er weder für Unrecht noch für Hurerei; sondern er habe seinen Namen und sein Geschlecht nicht wollen untergehen lassen, und das könne Gott und dem Könige nicht zuwider sein.

 Schon aus diesem ersten Geständnis sieht man, dass er sich über den Punkt Obrigkeit sehr vorsichtig und diplomatisch aussprach. Er wiederholte auch später noch oft, dass er der Obrigkeit ganz und gar Untertan wäre und nichts gegen ihren Willen tun wolle und könne. Seine Anhänger dagegen behaupteten, er habe zu ihnen gesagt, sie müssten wenigstens jetzt noch gehorchen, solange die Drachen die Gewalt hätten.

Weniger kühn und entschieden benahm er sich bei der zweiten Untersuchung im Jahre 1781, da ja nun viel mehr Tatsächliches gegen ihn vorlag. Seine Sprache war verwirrter; vielleicht war das eine Folge der Angst, vielleicht aber lag auch die Absicht vor, seine Richter zu täuschen und für geistesgestört angesehen zu werden. In einem der ersten Verhöre erklärte er wie in aufgeregter Stimmung, man gehe darauf aus, das Weiberrecht an die Stelle des Männerrechts zu setzen, und das erstere aufrecht zu erhalten, das sei seine Absicht von jeher gewesen. Das Weib habe die Übertretung angefangen und eingeführt, und er habe nichts anderes getan, als das menschliche Geschlecht erhalten wollen. Er bejahte dann alle Fragen, und auch auf die, ob er sich nicht für Christus und Gott selbst ausgegeben habe, erwiderte er ohne Bedenken, ja, das habe er getan, und unterstützte seine Aussagen nach seiner Art mit einer Menge schnell herzitierter Bibelstellen, gleichviel, ob sie nun zu der Frage passten oder nicht. Nur das leugnete er, dass er mit den anderen sechs seiner Beischläferinnen den fleischlichen Umgang so gepflogen habe, dass sie nicht hatten schwanger werden können. Das, erklärte er, sei nur die Folge davon gewesen, Lass die sechs allzusehr mit Sünden behaftet und ihm nicht gehorsam genug gewesen wären.

dass Christus nicht der rechte Messias sei, habe er  allerdings gelehrt, denn das stände schon Offenbarung I, 8 geschrieben: »Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht der Herr, der da ist, der da war und der da kommt, der Allmächtige!« Nur nach Schriftstellen habe er behauptet, dass noch ein zweiter Christus kommen müsse. Er habe sich dafür ausgegeben, jedoch nur nach dem Glauben. Denn es sei eines jeden Sache, sich davon zu überzeugen, und er hätte es auch dem Glauben eines jeden überlassen. Der Glaube sei von Gott und lasse sich nicht erzwingen. Auch habe er sich den einzigen wahren Gott genannt; es stände aber nicht bei jedem, zu glauben, was er wolle. Es sei nicht so, dass er sich in der Welt habe groß machen wollen, sondern er habe stets das geistliche Reich im Auge gehabt.

Auf die Frage, ob er wisse, wer Gott sei, antwortete er: »Ein Geist, allwissend, allmächtig, allgegenwärtig, allgütig.« Als man ihn nun fragte, wie er sich denn für Gott habe ausgeben können, da er doch keine dieser Eigenschaften besitze, hatte er keine andere Antwort als die: »Ich will den Herrn nicht versuchen, er ist von Zion weggewichen.« Man stellte ihm vor, was er gelehrt habe, sei doch Gotteslästerung gewesen. Er erwiderte, nein; denn es stände geschrieben: »Er hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein.« Er habe es übrigens nicht um seines Wohllebens willen getan und gelehrt, denn er habe ja elend und jämmerlich genug leben müssen, sondern nur zu dem Zwecke, dass das Vaterrecht wiederhergestellt werde; denn wer an kein Vaterrecht glaube, der glaube auch an keinen Gott. Die Mädchen habe er nicht der Wollust wegen gehalten, sondern bloß, damit sein Geschlecht nicht ausgerottet werde; und nur weil der Mann herrschen müsse, habe er auch das Geld, das die Mädchen verdient hätten, an sich genommen. Außerdem hätten  sich die Mädchen auch selber prüfen sollen, ob sie zu dem großen Werke tüchtig wären, und auf die Jungfrauschaft käme es dabei gar nicht an, sondern nur auf die Gesinnung des Herzens: der Gehorsam und das Vertrauen müssten wiederhergestellt werden. Aber die Mädchen wären voll List und voll Tücke gewesen und hätten hinter seinem Rücken gefressen und üppig gelebt. Er habe es ihnen oft klargemacht, dass alles in der Welt morsch und faul sei. Das liege vor allem an dem Verhältnis zwischen Mann und Weib. Wenn es anders werden solle, müsse zwischen Mann und Weib Versöhnung geschlossen und das Ehebett wieder reingehalten werden. Sieben hatte er haben müssen, weil er nicht habe wissen können, welche die rechte sei, die ihm treu bleiben würde. Nur die eine Glanz habe sich darnach aufgeführt und den Mann nicht zu verderben noch zu verschlingen gesucht. Darum hätte er es auch besonders mit ihr gehalten, wolle beständig bei ihr bleiben und wünsche mit ihr ordentlich getraut zu werden – ein Wunsch, der natürlich nicht in Erfüllung gehen konnte.

Seine Bibelkenntnis war außerordentlich groß. Er fand für jeden Satz, den er selbst sagte, einen Beleg in der Schrift, was freilich allen Schwärmern und Sektierern gelungen ist, und worin zu allen Zeiten ihre Macht bestand, gegen die mit Mitteln der Vernunft nicht anzukommen ist. Noch weniger sind gegen sie die Waffen zu gebrauchen, die die Philologie an die Hand gibt. Nach den Büchern, die man in seiner Bibliothek fand, zu schließen, hatte sich Rosenfeld selbst wenigstens in der letzten Zeit auch mit Studien aus diesem Gebiet beschäftigt. Man fand verschiedene Grammatiken und Wörterbücher des Hebräischen, Griechischen, Lateinischen, Französischen, Englischen und Italienischen, einige Elementarbücher dieser Sprachen, ein deutsches Kompendium der Geschichte, dazu noch geographische Werke, Kalender und politische Broschüren bei ihm. Vergebens suchte man nach Schriften von älteren Schwärmern und Sektierern. Außer der Bibel fand sich bis auf einige Predigten von der christlichen Kinderliebe eigentlich kein religiöses Buch vor, dagegen der Koran, eine Schrift gegen die Juden und eine höchst mühsam und genau hergestellte Abschrift der bei der lutherischen Bibelübersetzung nicht befindlichen apokryphischen Bücher. Seine Hirtenbriefe an seine Gemeinde enthielten meistens Stellen aus diesen Büchern, aus der Offenbarung Johannis und aus dem Hebräerbrief.

Auf den äußeren Schein hat Rosenfeld wenig gegeben. Er verlangte von seinen Anhängern auch nicht einen Schatten von göttlicher Verehrung. Auch während seines Berliner Sultanlebens bewahrte er das dürftige Äußere, das er als wandernder Prophet zur Schau getragen hatte. Dagegen war er streng und scharf in der Aufsicht über die Erfüllung der Sittengesetze durch seine Gemeinde. Er forderte seine Anhänger mit aller Strenge auf, fromm und rechtschaffen zu wandeln, niemand zu betrügen, sondern gegen jeden gerecht zu sein. Doch führte er bei diesen Sittengeboten seltsamerweise weder in seinen Reden noch in seinen Aufsätzen die moralischen Stellen der Bibel an, die auf sie Bezug hatten.

An den Geschenken seiner Anhänger hatte er sich nicht bereichert, sondern stets nur so viel angenommen, dass er sein müßiges Leben fortsetzen konnte. Auch der Erlös, den die Arbeiten der Mädchen einbrachten, diente nur diesem Zwecke. Habsucht und Geiz waren ihm also in seinem Prophetengeschäft nicht hinderlich. Das erklärten selbst seine Ankläger. Wie fest das Vertrauen dieser Leute noch nach allen Enttäuschungen, ja selbst nach allen Misshandlungen  war, geht aus vielen Zügen hervor. So versicherte die eine Gumtosche Tochter, die so viel von ihm hatte erdulden müssen, noch vor Gericht, sie glaube auch jetzt noch, dass Rosenfeld der große Erlöser sei. Darum habe sie auch immer gebetet, Gott möge ihn doch das große Werk vollenden lassen, zu dem er ihn gesandt habe.

Aus einzelnen Andeutungen geht hervor, dass Rosenfeld vor dem Inquisitionsrichter später die Maske des heiligen Selbstbewusstseins dann und wann fallen ließ. Es ist zu bedauern, dass die Aktenauszüge diese Wendepunkte nur sparsam und nur gelegentlich berühren. Wie schon erwähnt worden ist, hatten zwei Anhänger Rosenfelds, Richter und Lüdemann, später zwei Gumtosche Töchter geheiratet, die von dem Propheten als Beischläferinnen benutzt worden waren. Das eine von diesen armen Mädchen war dasselbe, an dem Rosenfeld im Berliner Irrenhause in Gegenwart der Verwandten Unzucht verübt hatte. Damals hatte er vor allen Anwesenden erklärt, er habe sie als reine Jungfrau gefunden. Vor dem Richter gestand er, er habe das wohl sagen müssen; denn wenn man unter solchen Leuten sei, müsse man wohl so sprechen; in Wirklichkeit habe sie ihm nachher selbst eingestanden, dass sie sich schon damals mit Richter abgegeben hatte. Aus den Akten aber ergab sich freilich mit großer Zuverlässigkeit, dass dieses Vorgeben falsch war, und Rosenfeld scheint diese Angabe nur aus Hass gegen die sechs Mädchen erdichtet zu haben. Hier liegt also eine eingestandene Verstellung vor; sie wird nicht die einzige gewesen sein und hilft das Urteil rechtfertigen, das für einen Schwärmer zu hart, für einen Betrüger seiner Art aber durchaus gerecht erscheint.

Der Kriminalsenat des Kammergerichts verurteilte Rosenfeld  nach abgeschlossener Untersuchung zu Stäupung und lebenslänglicher Festungsstrafe. Das oberste Kriminaldepartement änderte das Urteil auf Zuchthausstrafe ab und drohte ihm nachdrückliche Züchtigung an für den Fall, dass er sich wieder mit Frauenspersonen würde abgeben wollen. Nach zwei Jahren sei von seiner Aufführung zu berichten.

Dieses letzte Urteil war ihm am 5. Dezember 1781 eröffnet worden. Er legte Berufung dagegen ein. Inzwischen hatte sich der König die Sache selbst vortragen lassen und verordnete durch eine Kabinettsorder vom 12. Januar 1782, dass es bei der Entscheidung des Kriminalsenats verbleiben solle. Rosenfelds weitere Verteidigung wurde zwar zugelassen, indessen verblieb es bei der letzten, königlichen, Verordnung.

Am 8. November 1782 erlitt Johann Paul Philipp Rosenfeld, der neue Messias, in Berlin öffentlich den Staupenschlag , ohne dass ein Wunder geschah. Nachdem er ihn überstanden hatte, bestieg er den bereitstehenden Wagen. Er rief dem versammelten Volke zu: »Ist jemand da, der mich beschuldigen kann, dass ich ihm ein Leid zugefügt, ihn betrogen oder bestohlen habe, der rede, hier bin ich!« Es antwortete niemand, und der Wagen rollte nach Spandau ab.

Vor der letzten Entscheidung seines Prozesses hatte Rosenfeld um die Vergünstigung gebeten, dass seine damals sechseinhalbjährige Tochter christlich getauft werde. Es geschah in seiner Gegenwart und der mehrerer seiner Anhänger.

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* Rosenfelds Kriminalgeschichte wurde zuerst in der 'Berlinischen Monatsschrift' von F. Gedeke und J. E. Biester
mitgeteilt: Januar 1783 [Zweite Auflage] Seiten 42 bis 79; Juli 1793 Seiten 20 bis 24; Januar 1803 Seiten 42 bis 48.

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