Donnerstag, 25. September 2014

Grenzzaun Oder-Spree
ABCD
Lawitz - Gut zwei Autostunden nordöstlich von Bautzen liegt das Dorf Lawitz in Brandenburg. Es hat rund 640 Einwohner, liegt zwischen weiten Wiesen und Feldern und an der Oder als Grenzfluss zu Polen. In der Neuzeller Straße wohnt Roman Kühne, 50 Jahre alt, er ist Finanzmakler im nahen Eisenhüttenstadt. Am Abend muss Herr Kühne in Lawitz auf Streife gehen, drei, vier Stunden mit ein paar Nachbarn durchs Dorf, immer wieder rauf und runter, Signalweste an, Taschenlampen und Handys dabei. Am Ortseingang stehen seit sieben Wochen Schilder. Sie warnen Diebe auf deutsch, polnisch und russisch: "Wir schützen uns selbst!" Roman Kühne lacht: "Das hat sich schon rumgesprochen jenseits der Oder."

Bei der Landtagswahl am 14. September kam die AfD im Wahlkreis Oder-Spree II, zu dem auch Lawitz zählt, auf 21,3 Prozent. "Kein Wunder", sagt Kühne. "Wir haben ja auch ein richtiges Problem, regelrechte Raubzüge." Fast jeder zweite in Lawitz sei schon beklaut worden, erzählt er. Einbrüche in Nebengebäude, Garagen, Schuppen seien bislang an der Tagesordnung gewesen. Autos, Rasenmäher, Fahrräder, Metall, Werkzeug – "es gibt nichts, was nicht schon geklaut wurde". Er selbst hatte im Juni zwei Einbrüche: "Drei Motorräder weg. Geht alles rüber über die Grenze nach Osten."

Im August haben er und Bürgermeisterin Gudrun Schmädicke dann die Sache in die Hand genommen und eine Bürgerpatrouille gegründet, insgesamt 60 Leute, eine Handvoll ist jede Nacht im Dorf unterwegs. "Seitdem ist nichts mehr passiert", sagt er. Im Sommerwahlkampf war Ministerpräsident Dietmar Woidke im Nachbarort. Einige Lawitzer gingen hin und redeten mit ihm, erzählten ihm von den Einbrüchen. Woidke kennt sich aus, fast drei Jahre war er Innenminister. Auch er hat einen Wahlkreis an der Grenze. Er versprach Hilfe und mehr Polizeischutz. Zwei Streifenwagen tauchten auf, der eine sei bald wieder weg gewesen, weil er Transporte für das Cottbuser Gefängnis fahren musste, erzählt Kühne. "Ein Witz. Die Polizei hier kann man abhaken. Hier bei uns sind Tür und Tor geöffnet." Die Anzahl der Kfz-Diebstähle in Brandenburger Grenzgemeinden ist von 2007 bis 2013 auf 366 % gestiegen. Auch der Diebstahl von landwirtschaftlichen Geräten verdoppelte sich Die Aufklärungsquote sank in diesem Zeitraum von 38,1 Prozent auf 11,4 Prozent.

Dabei sollte alles ganz anders werden: Im Oktober 2010 trafen sich in Görlitz Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und sein polnischer Kollege Jerzy Miller, um über die Zusammenarbeit beider Länder im Grenzgebiet zu reden. Seit 2007 gibt es zwischen beiden Ländern einen Polizeikooperationsvertrag. Er soll Informationsaustausch und die Koordinierung von Einsätzen regeln. Seit 2007 reden Deutsche und Polen auch über die Frage der "Nacheile": Dürfen deutsche Fahndungsgruppen in Zivil Autodiebe über die Grenze nach Polen verfolgen? Schließlich sei es egal, wer eine Diebesbande fasse, Hauptsache, sie wird gefasst. Bis Ende Juli 2011, kündigten beide Minister damals an, werde das Problem gelöst sein. Im Mai 2014 schließlich unterzeichnete de Maizière das Abkommen mit Polen. 

"Wir wollen mehr", sagt Roman Kühne aus Lawitz. "Wir wollen mehr Polizei an der Grenze, wir wollen wieder richtige Grenzkontrollen. Verbesserte Kooperation, Informationsaustausch – hat doch bislang nicht viel gebracht." Einmal die Woche geht Kühne selbst auf Streife. Mittlerweile, meint er, würden überall entlang der Oder Bürgerpatrouillen wie Pilze aus dem Boden schießen. Und es sei ja auch wirklich kein Wunder, dass die AfD so gut in der Gegend abgeschnitten habe. "Wenn die etablierten Parteien nicht in der Lage sind, unsere Probleme zu lösen", sagt Kühne in ruhigem Ton, er meint SPD, CDU und Linke, "dann wählt man eben andere. Ist doch eine ganz normale Schlussfolgerung."

Zurzeit geben sich Journalisten in Lawitz die Klinke in die Hand. Neben der Märkischen Oderzeitung waren auch Redakteure von Berliner Zeitungen vor Ort, um Reportagen über die Initiativen zu schreiben und teils auch zu filmen. Für Bürgermeisterin Gudrun Schmädicke nichts verwerfliches, sie redet offen über die Probleme der Bürger. So erhoffte sich auch die Bürgerinitiative etwa zu erreichen: nämlich einfach mehr Sicherheit, mehr Aufmerksamkeit von der Polizei. "Alles, was wir wollen, ist unsere Ruhe und Idylle wiederzuhaben", sagt Gudrun Schmädicke.

Die Berliner Boulevardzeitung BZ hat am Wochenende mit einem Schlag all das zunichte gemacht. "Das ist eine ganz große Schweinerei", erklärt die Bürgermeisterin aufgebracht. Das Boulevardblatt war mit einem selbst gefertigten, nachgeahmten Baustellenschild nach Lawitz angerückt, plus Bagger und Lkw. Auf dem Schild steht in großen Buchstaben "Hier entsteht im Auftrag des Landes Brandenburg: Grenzzaun Oder-Spree", der rote Adler, das Wappentier des Landes, gibt dem Schild einen offiziellen Anschein.

 "Hätte ich das an dem Tag mitbekommen, ich hätte sie von unserem Boden gescheucht, ich hätte die Polizei gerufen", sagt Gudrun Schmädicke. "Mit soviel Frechheit rechnet doch niemand", so die Bürgermeisterin. Der Wunsch der Bürgermeisterin und der anderen Einwohner nach Ruhe wird sich in nächster Zeit wohl nicht erfüllen. Für diese Woche haben sich Journalisten vom Magazin "Stern" angekündigt. Und auch eine TV-Produktionsfirma aus Hamburg hat Interesse an Lawitz angemeldet.
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