Antiqua-Fraktur-Streit
Am 17. Oktober 1911 stimmten 75 % der Abgeordneten im deutschen Reichstag gegen den Antrag, die Antiqua-Schrift in den Schulen neben der Fraktur-Schrift
einzuführen.
Die
Fraktur, oft ungenau auch als „deutsche Schrift“ bezeichnet, ist die
jüngste Stufe der sog. „gebrochenen Schriften“. Ebenso wie die
Antiqua hat auch sie ihre Wurzeln in der Karolingischen Minuskel zu
suchen. Sie galt fast bis in die Mitte unseres Jahrhunderts nicht ganz zu
Unrecht als die deutsche Schrift und hat diesen Status größtenteils im
Ausland beibehalten.
Entwickelt hat sie sich im deutschen Kulturraum
aus der 'Schwabacher Schrift'. Das Verhältnis von Antiqua und Fraktur war im deutschsprachigen Kulturraum einer Reihe von Belastungen ausgesetzt, die von 1881 bis 1941 in einem Schriftstreit gipfelten, der 1941 durch das Frakturverbot
Adolf Hitlers
zugunsten der Antiqua entschieden wurde.
Schon
früh zeichnete sich ein religiöser Gegensatz zur Antiqua ab. So wird
angenommen, dass Luther seine Schriften bewusst in gebrochenen Schriften
setzen und drucken ließ, um sich von den Renaissancepäpsten zu
distanzieren. Bis Mitte des 16. Jahrhunderts hatte sich dann die
Verknüpfung von Sprach- und Schriftform herauskristallisiert. Ein
Beispiel gibt uns Goethes
Mutter, die am 15. Juni 1794 an ihren Sohn schrieb, sie sei froh, dass er
den Reineke Fuchs nicht mit
„den mir so fatalen Lateinischen Lettern“ habe drucken lassen
und fortfährt:
„Beym Römischen Carneval da mags noch hingehen – aber sonst im übrigen bitte ich dich: bleibe
deutsch auch in den Buchstaben.“
Einen
nationalen Akzent erhielt die Fraktur während der Befreiungskriege gegen
Napoleon. Von da an kam es zunehmend zur Verbindung von gebrochenen
Schriften und deutschem Gefühl. Doch hatte es durchaus nicht an
kritischen Stimmen gefehlt, vor allem aus dem Kreis der Gelehrten. So
machte der Grammatiker und Enzyklopädist Adelung
1765 die Fraktur dafür verantwortlich, dass man sich im Ausland davon
abhalten ließ, Deutsch zu lernen und zu lesen. Jakob Grimm ,
für den die Antiqua die Schrift der Gebildeten war, während er die
Fraktur als Schrift des Volkes charakterisierte, führte im Vorwort zum
'Deutschen Wörterbuch' eine ganze Reihe von Einwänden gegen die Fraktur
an,
„die ungestalte und häszliche schrift, die noch immer unsere meisten bücher gegenüber denen aller übrigen gebildeten völker von auszen barbarisch erscheinen läszt“.
Die
zum Teil auf die Einführung amerikanischer Schreibmaschinen mit Antiquatypen zurückgehende, zunehmende Verbreitung der Antiqua
im Geschäftsverkehr und amtlichen Schriftverkehr und die Gründung des Vereins für
Altschrift durch Friedrich Soennecken
im Jahr 1885/1886 riefen die Verfechter der Fraktur auf den Plan und lösten die öffentliche Debatte um die Schriftfrage aus. So kam es 1887 durch den Antiquagegner Hermann von Pfister
zur Ideologisierung der Schriftfrage in seiner Abhandlung Über deutsche und lateinische
Buchstaben, indem er die deutsche Schrift als bewahrenswerte Eigentümlichkeit des deutschen Volkstums
darstellte.
Der nun folgenden Schriftstreit wurde bis in den deutschen Reichstag getragen, wo zwischen 1908 und 1911 die Schriftfrage mehrfach behandelt wurde
(vgl. oben).
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten kam es zunächst zu einem Aufschwung für die gebrochenen
Schriften. Am 30. Juli 1937 verfügte z. B. das Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda,
dass im jüdischen Buchhandel für alle Drucksachen und Veröffentlichungen die Antiqua verwendet werden
müsse. Dagegen erklärte Adolf Hitler in seiner Kulturrede von 1934, der nationalsozialistische Staat müsse sich verwahren gegen das plötzliche Auftauchen jener Rückwärtse, die dem deutschen Volk
Straßenbenennungen und Maschinenschrift in echt gotischen Lettern aufdrängen
wollten. Der März 1940 brachte eine Änderung der bisherigen offiziellen Haltung. In einem Erlass wurde angeordnet, alles für das Ausland bestimmte Propagandamaterial sei zukünftig in Antiqua zu drucken.
Am 3. Januar 1941 kam es schließlich für die Öffentlichkeit völlig überraschend zum Frakturverbot
Adolf Hitlers und der Einführung der Antiqua als Normalschrift.
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